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Der Erste Bürgermeister Hamburgs: Olaf Scholz.

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Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz: "Wir müssen die Schwächeren auf dem Wohnungsmarkt schützen"

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) spricht im Interview über Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, Versäumnisse der Bundesregierung am Arbeitsmarkt und den Kampf um bezahlbaren Wohnraum.

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Herr Scholz, vergangene Woche war der zehnte Jahrestag von Gerhard Schröders Agenda-2010-Rede. Haben Sie sich an Ihre Zeit als SPD-Generalsekretär erinnert, in der Sie manchmal als Sündenbock für den Kanzler herhalten mussten?

Ehrlicherweise nicht. Ich neige nicht zur Rückschau und auch nicht zur Verklärung. Wichtiger ist, was die Agenda 2010 für den Wohlstand unseres Landes bedeutet. Heute sind sich doch fast alle einig: Die Agenda 2010 hat dazu beigetragen, dass Deutschland besser als andere Länder durch die letzte Wirtschaftskrise gekommen ist.

Ist die gesamte SPD überzeugt, dass diese Reform viel Positives gebracht hat?

Ja.

Und was ist mit den SPD-Linken, die weitere zentrale Elemente der Arbeitsmarktreform zurückdrehen wollen?

Zehn Jahre nach der Agenda stellen wir fest, dass wir über eine sehr stabile und leistungsfähige Volkswirtschaft und ein hohes Beschäftigungsniveau verfügen. Natürlich hätte man damals manche Folgen dieser Reform vermeiden oder besser abpuffern können. Für die Akzeptanz der Reform wäre es besser gewesen, wenn wir schon damals den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt hätten. Nun blicken wir nach vorne. Das eint uns.

Gerhard Schröder sagt: Wir brauchen eine Agenda 2020. Hat er recht?

Die größte Herausforderung der kommenden Jahre ist: Bildung. Wir müssen sicherstellen, dass alle eine ausreichende berufliche Qualifikation haben, die ihnen auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft eine Chance eröffnet. Noch immer haben rund 20 Prozent der jungen Leute keine schulische oder berufliche Qualifikation. Deshalb müssen wir den Übergang von der Schule in die berufliche Qualifikation besser organisieren. Wir müssen ungelernte Arbeitnehmer nachträglich besser ausbilden. Ich halte der Bundesregierung vor, dass sie die gute Konjunktur und die gute wirtschaftliche Lage nicht genutzt hat, um die Zahl der Langzeitarbeitslosen durch eine Qualifikationsinitiative erheblich zu verringern.

Wie niedrig könnte die Arbeitslosigkeit in Deutschland sein, wenn die Bundesregierung besser arbeiten würde?

Wenn sich nichts ändert, werden wir Ende dieses Jahrzehnts erleben, dass es in Deutschland zugleich Fachkräftemangel und eine hohe Zahl von Arbeitslosen gibt. Das wäre nicht nur ein ökonomischer, sondern auch ein moralischer Skandal. Die Politik kann dafür sorgen, dass niemand ohne berufliche Qualifikation durchs Leben gehen muss.

Heißt das, Sie sehen einen Bedarf für eine Agenda 2020 in der Bildungspolitik?

Bildung ist wichtig. In Hamburg haben wir ein flächendeckendes Angebot von Krippen- und Kitaplätzen geschaffen, von Ganztagsangeboten von der Krippe bis zum Abitur. Wir stellen sicher, dass ab August 2014 die Halbtagsbetreuung in Krippen und Kitas kostenfrei angeboten wird. Beide weiterführenden Schulen, das Gymnasium und die Stadtteilschule, ermöglichen das Abitur. Zugleich organisieren wir den Übergang von der Schule in den Beruf neu. Wir haben als Erste in Deutschland eine Jugend-Berufsagentur auf den Weg gebracht, in der viele staatliche Institutionen zusammenarbeiten.

Die SPD setzt in ihrem Wahlprogramm, das der Bundesvorstand vergangene Woche verabschiedet hat, stark auf soziale Gerechtigkeit. Was sind die Defizite der schwarz-gelben Koalition auf diesem Feld?

Die Bundesregierung hat erkennbar keinen Plan für die Zukunft unseres Landes, auch nicht, was die Fragen des Zusammenhaltes betrifft. Sie reagiert meist nur auf politische Vorschläge, die vor allem von der SPD formuliert werden. Deshalb sagen wir: Dann sollten die Wählerinnen und Wähler uns das Land doch lieber gleich anvertrauen.

Passt das Wahlprogramm mit seinen dezidiert linken Akzenten überhaupt zum Kanzlerkandidaten der SPD, der früher ganz andere Akzente gesetzt hat?

Das Programm passt zum Kandidaten. Es ist wirtschafts- und industriepolitisch sehr profiliert. Unsere industrielle Produktivität garantiert einen Großteil unseres Wohlstandes. Die Bundesregierung hingegen versagt gerade vor unser aller Augen in einer zentralen industriepolitischen Frage, nämlich bei der Energiewende.

Mit dem Kandidaten sind Sie bisher trotz der miesen Umfragewerte für die Bundes- SPD zufrieden?

Peer Steinbrück ist der richtige Kandidat. Er hat als Finanzminister bewiesen, dass man in der Krise bei ihm gut aufgehoben ist. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass sie einem Kanzler Steinbrück auch dann vertrauen können, wenn es hart zugeht im Ringen um die Finanzmärkte oder um die Zukunft Europas.

"Die Bundesregierung hat nicht verstanden, in welcher Dimension wir neue bezahlbare Wohnungen brauchen.

Die SPD hat das Thema bezahlbare Mieten entdeckt. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und andere Koalitionsvertreter sagen, auf dem Wohnungsmarkt zeichne sich eine Trendwende ab. Ist das Problem damit gelöst?

Keineswegs. In den Städten wächst die Zahl der Einwohner. Der Mangel war abzusehen, und wir müssen gegensteuern. Ich erwarte ein glasklares Bekenntnis der Bundesregierung zur Fortsetzung der vom Bund zur Verfügung gestellten Kompensationsmittel für den sozialen Wohnungsbau. Der Bau neuer Wohnungen ist das beste Mittel gegen Wohnungsmangel. In Hamburg haben wir das Ruder umgelegt und dafür gesorgt, dass die Zahl der Baugenehmigungen rasant steigt. Wir haben sichergestellt, dass bei größeren Neubauvorhaben zu einem Drittel Sozialwohnungen errichtet werden. Die Bundesregierung hat offenbar nicht wirklich verstanden, in welcher Dimension wir neue bezahlbare Wohnungen brauchen.

Am Freitag bringt Hamburg zwei Bundesratsinitiativen ein: Nicht der Mieter, sondern der Vermieter soll die Maklercourtage zahlen. Und Mieter sollen vor überhöhten Neuvermietungen von mehr als 20 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete geschützt werden. Ist das nicht eine Überregulierung?

Nein. Der Neubau von Wohnraum ist wichtig, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Immobilienbesitzer den gegenwärtigen Mangel an Wohnungen nicht ausnützen können. Wir schützen die Schwächeren, wenn wir den Missbrauch begrenzen und wenn der Vermieter die Maklergebühr bezahlt. Das ist im besten Sinne sozialdemokratische Politik.

Herr Bürgermeister, Hamburg plagt sich mit dem Bau der Elbphilharmonie, Berlin mit dem des Flughafens BER. Kann Demokratie überhaupt Großbaustelle?

Eindeutig ja. Aber natürlich müssen wir uns fragen, wie es dazu kommen konnte, dass so viele Großprojekte die ursprüngliche Dimension bei Zeitplänen und Kosten gesprengt haben. Ich sehe zwei Konsequenzen. Erstens: Wir müssen uns in der Vorbereitungsphase trauen, mehr Geld für Planung auszugeben, mehr Zeit zu investieren, damit wir besser Bescheid wissen und auf dieser Basis später entscheiden können. Und die Entscheidung kann dann auch mal bedeuten, dass man in diesem Stadium ein Vorhaben stoppt, weil es zu teuer wird. Zweitens müssen wir als Gemeinde, Land oder Bund über genügend eigenes Know-how verfügen, um ein Bauvorhaben von Anfang bis Ende zu beherrschen. Man ist dann nicht vor jeder Überraschung gefeit, aber doch vor vielen.

Sie regieren mit absoluter Mehrheit und legen in Umfragen sogar noch zu. Was können Sozialdemokraten in anderen Stadtstaaten von der Hamburger SPD lernen?

Viele Hamburger finden es gut, dass wir die Wirtschaft am Laufen halten und daran arbeiten, dass der Zusammenhalt in der Stadt besser wird. Aber weder ich noch die Hamburger SPD können aus unserer Hamburger Haut. Und das bedeutet, dass wir nie jemandem sagen, was er von uns lernen soll.

Auffällig ist, wie viele hanseatische Initiativen nun den Bundesrat beschäftigen. Sucht Hamburg unter Ihrer Führung eine Vorreiterrolle in der Länderkammer?

Wir Hamburger sind nicht so. Wir wollen unseren Beitrag leisten. Das ist die hamburgische Art. Das tun wir dann aber auch.

Das Interview führten Hans Monath und Christian Tretbar.

Zur Person:

PARTEIISCH

Der 54-Jährige ist seit 37 Jahren in der SPD. In der Agenda-Zeit war er Generalsekretär. Der arbeitsfreudige Politiker ist stellvertretender Bundesvorsitzender und leitet vor Parteitagen immer wieder

Antragskommissionen.

VIELSEITIG

In nur 15 Jahren in der Landes- und Bundespolitik hat Scholz wichtige Funktionen ausgefüllt: Er war Parlamentarischer Geschäftsführer, Innensenator sowie Bundesminister für

Arbeit und Soziales.

MACHTBEWUSST

Im März 2011 wurde Scholz zum Ersten Bürgermeister in Hamburg gewählt. Die SPD hatte in der Wahl die absolute Mehrheit geholt.

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