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Angela Merkel am Donnerstag beim Wirtschaftstag.

© dpa

Wirtschaftsrat der CDU: Abteilung Marktwirtschaft und Nörgelei

Der Wirtschaftsrat der CDU fremdelt mit der eigenen Partei und deren Chefin. Man sehnt sich zurück in schwarz-gelbe Zeiten. Angela Merkel nimmt's gelassen.

Einmal im Jahr macht er von sich reden, der Wirtschaftsrat der CDU. Dann versammeln sich die Mitglieder in Berlin zum Wirtschaftstag, es kommen prominente Redner, internationale Gäste, die Debattenpodien brummen vor Kompetenz. Am Donnerstag konnte Kurt J. Lauk, der Vorsitzende des Wirtschaftsrates, die Kanzlerin, EZB-Präsident Mario Draghi, Bundesbank-Chef Jens Weidmann und den irischen Ministerpräsidenten Enda Kenny begrüßen, auch EU-Kommissare sowie Konzernchefs, darunter die von Volkswagen, BASF und RWE. Aber das Bild einer mächtigen Organisation täuscht – den Einfluss, den die Inszenierung im Interconti nahelegte, hat der Wirtschaftsrat auf die Union nicht (zumal er, streng genommen, gar keine echte CDU-Vereinigung, sondern außerhalb der Parteistruktur angesiedelt ist). Dass dem Parlamentskreis Mittelstand (PKM) mehr als die Hälfte der Unions-Fraktion im Bundestag angehört, ändert daran wenig.

Merkels anderer Stil

Der Wirtschaftsrat mit seinen etwa 11 000 Mitgliedern, zumeist Mittelständler, fühlte sich seit der Gründung 1963 als die marktwirtschaftliche Speerspitze der Union. Genau das aber ist seit einiger Zeit sein Problem: Die Spitze soll nicht mehr pieken. Merkel hat nach dem Schock der Bundestagswahl 2005, als die CDU mit einem marktwirtschaftlich-liberalen Reformprogramm schlecht abschnitt und am Ende fast noch hinter die SPD zurückfiel, ihr Heil in einer weicheren, sozialeren Profilierung der Partei gesucht. Seither ging es aufwärts mit der CDU. Der Wirtschaftsrat aber fremdelt zunehmend mit der eigenen Partei - was Merkel mit Gelassenheit registriert. Und dann fiel am Donnerstag der Wirtschaftstag ausgerechnet mit der Verabschiedung des Mindestlohns zusammen, den der Wirtschaftsrat ablehnt.

Unzufriedene Speerspitze

Die Speerspitze ist so zur Nörgelabteilung geworden. Das zeigt eine aktuelle Umfrage unter den Mitgliedern des Wirtschaftsrats. Danach sind sie mit den Ergebnissen der schwarz-roten Koalition auf nahezu allen Feldern eher unzufrieden. Die Europapolitik kommt bei einer Mehrheit gut an, aber die ist mit 56 Prozent auch nicht beeindruckend hoch. Zudem gefällt den Wirtschaftsleuten, dass die Koalition bisher keine Steuererhöhungen vereinbart hat und der Haushalt fast ausgeglichen ist. Aber beginnend mit der Haushaltspolitik, mit der 52 Prozent weniger oder gar nicht zufrieden sind, wächst der Unmut: Die Gesundheitspolitik lehnen 57 Prozent ab, die Arbeitsmarktpolitik stößt bei 63 Prozent auf Widerstand, die Umweltpolitik mögen knapp zwei Drittel der Wirtschaftsrat-Mitglieder nicht, in der Steuerpolitik sind es sogar fast drei Viertel, und die Maßnahmen in der Energiepolitik (82 Prozent) und der Rentenpolitik (88 Prozent) fallen praktisch komplett durch. Der Grund dafür ist natürlich das Gefühl, die Regierung handele zu wenig marktwirtschaftlich. Auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz wird deswegen kritisch gesehen – es dürfte den Mitgliedern des Wirtschaftsrats immerhin gefallen haben, dass Merkel in ihrer Rede zwar die Einmischungen aus Brüssel kritisierte, aber auch davon sprach, die Ökostrom- Förderung müsse „marktkonformer“ ausgestaltet werden. Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA verteidigte die Kanzlerin, auch das ein Pluspunkt aus Sicht des Wirtschaftsrats.

Einsame Haltung

Aber koalitionspolitisch sehnt sich der Wirtschaftsrat zurück in schwarz-gelbe Zeiten. Doch damit steht er in der Union ziemlich allein da. In München etwa ist die CSU gottfroh, dass es wieder mit der eigenen Mehrheit geklappt hat. Auch in Sachsen, wo die letzte schwarz-gelbe Landeskoalition regiert, gilt die FDP nach vier Jahren Partnerschaft als nervig, Ministerpräsident Stanislaw Tillich träumt von der CDU-Alleinregierung nach der Wahl am 31. August. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Unions-Fraktion im Bundestag wollte am Ende raus aus dem Bündnis mit der FDP. Nur im Wirtschaftsrat weinen sie der gescheiterten Ex-Partnerin nach. 42 Prozent setzen für die Zukunft weiter auf die FDP, gar 71 Prozent vermissen sie als marktwirtschaftliches Korrektiv. Die Fünfprozenthürde abschaffen, was den Freidemokraten helfen würde, will der Wirtschaftsrat immerhin nicht – 69 Prozent der Mitglieder würden sie sogar im Grundgesetz festschreiben. Also schaut man nach Ersatz: Für 20 Prozent wären das die Grünen, immerhin 15 Prozent sehen in der AfD den besten Zukunftspartner. Mit der SPD dagegen wollen nur acht Prozent weitermachen.

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