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MITGEREDET: Ausfall Ost

Platzecks Botschaft: Der Westen kann vom Osten lernen / Das „Forum Ost“ der SPD hat zur Podiumsdiskussion geladen

MITGEREDETPlatzecks Botschaft: Der Westen kann vom Osten lernen / Das „Forum Ost“ der SPD hat zur Podiumsdiskussion geladen Von Thorsten Metzner Potsdam - „Wenn man in Stuttgart, München und Düsseldorf die Flexibilität und das Engagement aufbringen würde wie die Ostdeutschen in den letzten 14 Jahren, hätten wir in Deutschland manche Probleme weniger“. So hat es Matthias Platzeck gerade selbstbewusst ins Mikrofon formuliert. Und die gut fünfhundert Genossen im Saal sind offensichtlich zufrieden mit dem SPD-Regierungschef, der anders als sein Vorgänger Manfred Stolpe nicht nur die ostdeutsche Seele streichelt, sondern Tacheles redet, neuerdings zumindest. In Bayern, im Saarland oder Nordrhein-Westfalen, das seit Jahrzehnten Milliarden-Subventionen für die Steinkohle bekomme, legt Platzeck noch einmal nach, möge man ganz ruhig sein, was Finanzhilfen angehe. „Wir haben keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen.“ Ortstermin im proppenvollen Theatersaal der Potsdamer „Reithalle“, Dienstagabend. Das „Forum Ost“ der SPD hat zur Podiumsdiskussion geladen: „Kann der Westen vom Osten lernen?“ Das ist seit geraumer Zeit eine Kernbotschaft Platzecks, der im September trotz eines widrigen Bundestrends seine erste Landtagswahl gewinnen will. In diesen Tagen, wo die Debatte um versenkte Milliarden im Osten nicht verstummt und die rot-grüne Bundesregierung prompt die Gelder für den Aufbau-Ost zusammenstreichen will, klingt sie besonders provokant. Klar, dass die Erwartungen groß sind, doch sie werden enttäuscht. Die Diskussion, moderiert von Toralf Staud (Die Zeit), gerät zur quälenden Nabelschau, bei der in Ost-West-Befindlichkeiten gestochert, altbekannte Klischees bedient werden: Im Nachwendejahr 14 bewegt sich deutsch-deutscher Dialog offenbar immer noch auf vermintem Gelände, so tief sitzen Vorurteile. Da fehlt nicht die Treuhand als „Fördergeld-Vernichtungsmaschine“, auch nicht der „Obduktionstisch“ des Westens, auf den 17 Millionen Ostdeutsche gekommen seien, wie die Buchautorin und Journalistin Abini Zöllner klagt. Wem hilft das Eingeständnis von Toni Krahl, dem Lead-Sänger der Ost-Band „City“, dass er immer noch nach „Westberlin“ fährt, inzwischen sogar selbst in Ostberlin fremdelt: „Die Oranienburger und die Hackeschen Höfe gehören uns auch nicht mehr.“ Zwar mochte niemand bestreiten, dass die Tausenden „Emigranten“ aus dem Osten, die zu City-Konzerten in München strömen, sich immer noch als Ostdeutsche fühlen mögen. Aber soll der Osten wirklich ewig „Osten bleiben“, wie Krahl geradezu als Verheißung prophezeit? Kein Wunder, dass nach einer Stunde einem Zwischenrufer der Kragen platzt. Er trifft die Stimmung vieler im Saal. „Das ist doch alles viel zu rückwärtsgewandt.“ Und ein Jüngerer pflichtete bei: „So zementiert man Unterschiede, die es so gar nicht mehr gibt. Ist ein heute Sechzehnjähriger aus dem Prenzlauer Berg etwa ein Ossi, ein Gleichaltriger aus Tiergarten ein Wessi? Das ist doch unanständig“. Auch Matthias Platzeck scheint nicht glücklich angesichts der Klagelieder, die so gar nicht mit dem propagierten neuen ostdeutschen Selbstbewusstsein zusammenpassen wollten. „Das hilft uns nicht weiter“. Oder ist es ein Omen, dass der Osten als Vorbild womöglich nur eine Mär ist? Ist die viel gerühmte Flexibilität vieler „Ossis“, die sich nach 1990 in der Not der Arbeitslosigkeit neue Jobs suchten oder abwanderten, wirklich übertragbar auf die aktuellen Reformen? Sind die „Ossis“ womöglich veränderungszermürbt und deshalb sogar reformmüder als die Westdeutschen, was Umfragen andeuten? Oder, meint der Sozialdemokrat Platzeck, dass der Westen von der Duldsamkeit der Ostdeutschen lernen könne, auf Tariflöhne und Streiks zu verzichten, von der Bereitschaft, so lange zu arbeiten wie nirgendwo sonst in der Republik? Ist das der Weg, der Deutschland aus der Krise führen könnte? Diese Debatte, die an dem Abend nicht geführt wird, wäre spannend. Platzecks Schwachstelle trifft die Hamburger Journalistin Susanne Leinemann: „Bei den ganzen Reformen in Deutschland habe ich mich immer gefragt: Wo sind denn die Stimmen aus dem Osten?“ Diesen Ausfall Ost kann Brandenburgs Regierungschef denn auch nicht bestreiten – und erklärt ihn mit dem Mangel an ostdeutschen Eliten. „Wem gehören die Betriebe, die Zeitungen?“ Nur 12 Prozent der Führungspositionen seien von Ostdeutschen besetzt, so Platzeck. Es sei kein Wunder, dass die Ostdeutschen weniger vernehmbar seien. „Aber da hilft kein Jammern. Wir müssen im zweiten Anlauf deutlicher, klarer werden.“ Bis in die Morgenstunden hämmern dann, Sozi-Party statt Podium, einige Meter weiter im Potsdamer Waschhaus die Disko-Bässe. Die DJs sind Platzecks Staatskanzleichef Rainer Speer und Gesundheitsminister Günter Baaske, zu DDR-Zeiten einmal Manager von „Keimzeit“. Wenigstens jetzt, auf den Plattentellern und auf der Tanzfläche funktioniert die Versöhnung, ist die Verbiesterung und Verbissenheit der vorherigen Ost-West-Debatte weggeblasen. Hier folgt auf einen Song von „Renft“ (Ost) nahtlos „Fehlfarben“ (West): „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht. Es geht voran.“ Susanne Leinemann, geboren 1968 in Hamburg, ist Journalistin und Autorin: Sie fragte bezüglich der ganzen Reformen in Deutschland: „Wo sind denn die Stimmen aus dem Osten?“ Toni Krahl, geboren 1949 in Berlin, seit 1975 Leadsänger von „CITY“ – fremdelt inzwischen sogar selbst in Ostberlin.

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