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© dpa

Jamlitz: Suche nach Massengrab von SS-Opfern beginnt

Auf einem privaten Grundstück im brandenburgischen Jamlitz vermuten Historiker das letzte unbekannte Massengrab von KZ-Opfern. Das Innnenministerium plant einen Ort des "stillen Gedenkens", falls man dort fündig wird.

Es geht um die Totenwürde von 753 ermordeten Juden. Und um den Versuch, ein Zivilisationsverbrechen doch noch aufzuklären: In Jamlitz beginnen am heutigen Mittwoch Suchgrabungen nach dem bislang größten unentdeckten Holocaust-Massengrab in Deutschland – auf den Tag genau 64 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen, in dessen Außenstelle Lieberose/Jamlitz die SS am 2. Februar 1945 kranke und nicht gehfähige Männer und Frauen aus Ungarn und Polen erschossen hatte. Vor Ort zeigten sich Peter Fischer vom Zentralrat der Juden Deutschlands und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) erleichtert, dass endlich Klarheit gewonnen werden kann. „Brandenburg ist in der historischen, moralischen und politischen Pflicht“, sagte Schönbohm.

Fischer wies darauf hin, dass Jahrzehnte „verabsäumt wurde, diesen Tatort zu untersuchen“. Man sei umso dankbarer, dass dies nach früherem „Unvermögen“ endlich geschieht, dass dies heute ein gesellschaftliches Anliegen sei, auch in Jamlitz selbst. Es gehe um diesen „großen seelischen Zusammenhang“, denn jede jüdische Familie vermisse ermordete Angehörige. Der frühere Eigentümer des 5000 Quadratmeter großen Grundstücks im 600-Seelen-Dorf Jamlitz, auf dem ab heute ein Team aus Archäologen, Gerichtsmedizinern, Kriminalisten und Staatsanwälten tätig ist, hatte dort zehn Jahre lang Grabungen verhindert – und vor Gerichten Recht bekommen. Erst Ende 2008 wurde vor dem Oberlandesgericht Brandenburg ein Vergleich geschlossen, bei dem das Grundstück ins Eigentum des Amtes überging. Über die Einzelheiten, etwa den Kaufpreis, sei Stillschweigen vereinbart worden, hieß es. Zwar hatte man auch im Umfeld zwanzig Flächen mit einer Größe von 200 000 Quadratmetern untersucht, zum Teil mit Infrarotkameras aus Flugzeugen – vergeblich.

Doch das jetzige Grabungsgrundstück war von Anfang an die „Hauptverdachtsfläche“, betonte Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, der in einem Gutachten die Existenz und Lage des Massengrabes rekonstruiert hat. „Alle Indizien sprechen dafür, dass es hier ist.“ Obwohl er sich als Historiker mit NS-Spezialgebiet seit Jahrzehnten mit der Materie befasst, kam er nach der Jamlitzer Expertise zu einem sehr persönlichen Fazit: „Ich bin dem Morden noch nie so nah gekommen.“ Nach seinen Worten steht aufgrund von deutschen und russischen Quellen sowie Zeugenaussagen fest, dass die SS am 2. und 3. Februar 1945 1342 Häftlinge ermordete. Zu DDR-Zeiten war in einer nahen Kiesgrube ein Massengrab mit 577 Gebeinen entdeckt worden, die unter Missachtung des jüdischen Glaubens umgebettet wurden. Die Gedenkstätte wurde einige Kilometer entfernt errichtet. In Jamlitz schreckte man davor zurück, weil in der KZ-Außenstelle nach Kriegsende ein sowjetisches Speziallager eingerichtet wurde, in dem Tausende umkamen. Später wurde auf dem Areal eine Einfamilienhaussiedlung errichtet.

Die Grabungen in Jamlitz sollen drei Wochen dauern. In dieser Zeit gilt eine Nachrichtensperre. Wenn das Massengrab entdeckt wird, werden die sterblichen Überreste aus Rücksicht auf den jüdischen Glauben der Ermordeten nicht exhumiert. Das Grab soll „zu einem Ort würdevoller Totenruhe und stillen Gedenkens werden“, so Schönbohm.

Parallel zur Suche nach dem Holocaust-Grab ist der damalige Mord jetzt erneut ein Fall für die deutsche Strafjustiz. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft Cottbus 2002 schon einmal zwei Täter ermittelt, doch die Verfahren wegen Schuldunfähigkeit einstellen müssen. Jetzt wurden aufgrund der detaillierteren Erkenntnisse der Historiker „die Ermittlungen wegen Mordes gegen unbekannt wieder aufgenommen“, sagte Oberstaatsanwalt Eugen Larres von der Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg. Mord verjährt nicht.

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