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Landeshauptstadt: 60 Zeugen sollen Gewalttat aufklären

Nächsten Mittwoch beginnt der mit Spannung erwartete Prozess zum Fall Ermyas M. – ein Rückblick

Die rund 30 Plätze im Sitzungssaal 009 des Landgerichts Potsdam werden am kommenden Mittwoch wohl restlos besetzt sein. Denn an diesem Tag beginnt um 9 Uhr der Prozess um den Angriff auf den aus Äthiopien stammenden Potsdamer Ermyas M. – den wohl bekanntesten Kriminalfall der Stadt seit der Wende. In der Folge geriet Potsdam knapp zwei Wochen lang in das Zentrum der Berichterstattung von Presse, Funk und Fernsehen.

Ein Rückblick: Nachdem am 16. April, dem Ostersonntag vergangenen Jahres, der 37-jährige Familienvater kurz nach vier Uhr beim Bahnhof Charlottenhof gefunden und lebensgefährlich verletzt ins Klinikum Ernst von Bergmann eingeliefert wird, spricht die Polizei kurz darauf von versuchtem Mord und einem fremdenfeindlichen Hintergrund. Als wichtigste Spur gilt der Mitschnitt eines Handyanrufs von Ermyas M. auf der Mailbox seiner Frau, auf dem einer der mutmaßlichen Täter mit den Worten „dreckiger Nigger“ zu verstehen ist. Das spektakuläre Indiz ist immer noch im Internet veröffentlicht. Zu einer ersten Demonstration gegen Rechtsextremismus in der Innenstadt kommen am Tag nach der Tat rund 400 Teilnehmer kurzfristig zusammen, vornehmlich aus der linken Szene.

Das sogar internationale Medieninteresse an der Gewalttat ist spätestens am Dienstag nach Ostern geweckt, als der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen von Karlsruhe aus übernimmt und von einer „Gefahr für die innere Sicherheit“ spricht. In der Folge streitet sich Nehm mit Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), ob tatsächlich ein rassistisches Motiv vorliegt. Auch CDU-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble warnt vor zu schnellen Schlüssen und verursacht Empörung, als er in einem Radiointerview hinzufügt, dass auch „blonde und blauäugige“ Menschen Opfer von Verbrechen würden. Kritiker werfen ihm deswegen die Verharmlosung rechtsextrem motivierter, politischer Gewalt vor.

Denn in der Öffentlichkeit scheint die Sache klar: Ein dunkelhäutiger Mitbürger ist wegen Ausländerhass verprügelt worden. In renommierten Zeitungen wie der „Zeit“ erscheinen Reportagen, in denen der Fall Ermyas M. in eine Reihe mit anderen rechtsextrem motivierten Überfällen in der Stadt gestellt wird. Potsdam als „No Go-Area“? Eine Delegation aus Nigeria sagt ihren Besuch in Potsdam ab, auch der Verband der Hausärzte will einen geplanten Kongress in eine andere Stadt verlegen. Die Bürger der Stadt versuchen sich gegen den Imageschaden zu wehren. Am Freitag nach der Tat – die Verdächtigen Björn L. und Thomas M. werden gerade in Karlsruhe verhört – demonstrieren rund 4000 Menschen auf dem Luisenplatz gegen Rassismus und Gewalt. Innerhalb von zehn Tagen gehen auf einem Spendenkonto rund 25 000 Euro ein. Wochenlang wird der Tatort an der Tramhaltestelle Charlottenhof zu einem Ort der Anteilnahme: Eine Gruppe Jugendlicher betreut die Kerzen und hofft, dass Ermyas M. aus dem künstlichen Koma erwacht, in das ihn die Ärzte versetzen mussten: Am 28. April hören sie die erlösende Nachricht.

Unterdessen werden neue Details des Überfalls bekannt. Danach soll Ermyas M. nur mit einem gezielten Schlag niedergestreckt worden sein und sich zusätzliche Kopfverletzungen durch den Sturz zu Boden zugezogen haben. Zudem soll dem Schlag ein Streit zwischen Ermyas M. und den beiden Tatverdächtigen vorangegangen sein, alle Beteiligten seien betrunken gewesen. Zusätzlich wird die Öffentlichkeit verwirrt, weil der Hauptbeschuldigte Björn L. zweimal aus der Untersuchungshaft entlassen und kurz darauf jeweils wieder festgenommen wird. Am 26. Mai gibt die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen wieder nach Potsdam.

In dem nun beginnenden Prozess ist Björn L. wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt, der Mitbeschuldigte Thomas M. dagegen wegen unterlassener Hilfeleistung und Beleidigung. Im Landgericht sollen bis Ende Februar rund 60 Zeugen gehört werden. Ermyas M.-Anwalt Thomas Zippel kündigte bereits an, dass er und sein Mandant den rassistischen Hintergrund der Tat belegen wollten. Ermyas M. wird bereits am ersten Verhandlungstag aussagen. Henri Kramer

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