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Beten statt bummeln. Potsdams falsche Moschee an der Neustädter Havelbuch sollte aus Kostengründen 2016 eigentlich geschlossen bleiben. Der Schlösserstiftung fiel aber eine neue Nutzung ein.

© Andreas Klaer

Ein fiktiver Jahresrückblick: Das war 2016

Hier kommt unser ganz besonderer Rückblick – mit einem neuen Baudezernenten, neuen Radwegen, dem neuen Bad und manch altem Übel

Potsdam -

Januar

Das neue Jahr beginnt mit den Resten des vergangenen: Die Biotonne für alle Haushalte kommt. Damit das Befüllen gleich von Anfang an flutscht, bietet die Volkshochschule (VHS) Kurse an: „Ist das noch essbar oder kann das weg?“ Die Übungslebensmittel kann die VHS günstig von der Grünen Woche beziehen. Zum Festival „Unterwegs im Licht“, das am 23. Januar zum zweiten Mal gefeiert wird, spendiert Potsdam der Klimapartnerschaftsinsel Sansibar ein Dutzend Gelbe Tonnen, Bäume und Solarleuchten. Zur Inbetriebnahme fliegt eine zehnköpfige Delegation der Stadtwerke auf die Insel und erklärt den Einheimischen die Zusammenhänge des Klimawandels.

Februar

Klimakatastrophe. Nach dem milden Winter wird es plötzlich doch noch richtig kalt, sogar die Neustädter Havelbucht friert zu. Ende des Monats ist die Eisdecke zwanzig Zentimeter dick. Um den Stau an der Zeppelinstraße zu umgehen, nehmen Radler und Smart-Fahrer eine Abkürzung über das Eis. Potsdams Radfahrbeauftragter Torsten von Einem freut sich: So unkompliziert und schnell habe die Stadt noch nie neue Radwege in Betrieb genommen. Bei einer Begehung des Krampnitz-Areals werden im Gebälk eines Dachbodens geschützte Heldbockkäfer entdeckt. Detlef Knuth, der in diesem Jahr in den Ruhestand gehende Direktor des Naturkundemuseums, ist begeistert – ein vorläufiger Baustopp ist unausweichlich.

März

In den Streit um den Pfingstberg-Zaun kommt Bewegung, die Villa Schlieffen soll endlich saniert werden. Aber als die Bauplanen von der Villa entfernt werden, kommt der Schock: Es ist nichts mehr übrig von dem denkmalgeschützten Gebäude. Jahrelanger Leerstand und Pilzbefall ließen das Mauerwerk in sich zusammenfallen. Anwohner schlagen vor, hier einen Nettomarkt zu errichten. Aber dann werden ein paar Zauneidechsen gefunden, die sich auf den Mauerresten sonnen. Auf Antrag der Grünen wird die Ruine als Biotop für Eidechsen und die Krampnitz-Käfer eingerichtet. Detlef Knuth platziert die Insekten persönlich zwischen den Resten der Turngeräte der russischen Soldaten, die hier zuletzt hausten.

April

Begleitet von Protesten von Uni- und HPI-Studenten, die vom Campus in Babelsberg plötzlich abgeschnitten sind, beginnt die angekündigte Sperrung der S-Bahn zwischen Potsdam und Wannsee. In den kommenden Monaten finden hier Gleisarbeiten statt, zudem wird der Bahnhof Babelsberg saniert. In der Bausubstanz finden sich allerdings Reste eines slawischen Festungswalls, das Denkmalamt schreitet ein. Statt Rolltreppe soll nun ein Bohlenpfad zum Bahnsteig führen. Am 16. April beginnt die Spargelsaison. Weil es immer weniger polnische Saisonarbeiter gibt, werden erstmals Soldaten als Erntehelfer eingesetzt. Zwischen den Spargelreihen heben sie Gräben aus, damit man, ohne sich zu bücken, ernten kann. Zur Eröffnung kommt Verteidigungsministerin von der Leyen auf den Spargelhof Klaistow und kocht holländische Soße. Zum RBB-Lauf am 24. April wird eine Sonderdisziplin eingeführt: Hürdenlauf am Griebnitzsee.

Mai

Potsdams neuer Baubeigeordneter, Harald Glööckler, enthüllt ein weiteres Unisex-Klo im Schloss Sanssouci und darf als erster in den goldenen Pisspott in Friedrichs Schlafzimmer pinkeln. Kleine Krönchen markieren künftig sämtliche Unisextoiletten der Stadt. Zu Pfingsten feiert Potsdam ein multikulturelles Fest, auf dem Alten Markt wird ein Tofu-Schaf geschächtet.

Juni

Kurz vor den Sommerferien ist die Schulsituation noch immer angespannt. Der Kommunale Immobilienservice kann allerdings kurzfristig ein ausrangiertes Segelschulschiff der Marine übernehmen. „Wir hoffen, damit auch das Problem der vielen Ausfallstunden in den Griff zu bekommen“, sagt Brandenburgs Bildungsminister Günter Baaske. Künftig werde sich kein Lehrer unerlaubt von seinem Arbeitsplatz entfernen können. Die Musikfestspiele, Thema „Bonjour Frankreich“, sind ein voller Erfolg. Erstmals werden sie mit dem Festival Localize für Off-Kultur zusammengelegt. Ausgewählte Gäste aus Potsdams neuer Partnerstadt Versailles dürfen im Park Sanssouci campen – ohne Bettensteuer zahlen zu müssen.

Juli

Das Potsdam Museum wird vorübergehend geschlossen, um endlich das käfigartige Geländer abzubauen. Die Teile des Gitters werden an der Brandmauer des Bildungsforums, wo früher die bunten Banner hingen, montiert – als Rankhilfe für Knöterich und wilden Wein. Die AG Urban Gardening übernimmt die Pflege. Der Vorschlag, mit den Gittern die Betondecke der neuen Da-Vinci-Schule zu verstärken, wurde vom Architekten abgelehnt. Begründung: Kunst habe in einer Schule nichts zu suchen.

August

Das erste Treffen der neuen Bürgerbeteiligungsarbeitsgruppe Garnisonkirche, Codename „Two Dirty Dozen“, findet statt. Tagungsort ist die 17. Etage im Hotel Mercure – die Höhenlage soll ein möglichst authentisches Gefühl ermöglichen. Erstes Ergebnis der Tagung: Im Archiv der Kirchgemeinde findet sich keine rechtsgültige Baugenehmigung. Die historische Garnisonkirche war offensichtlich ein Schwarzbau und zudem neun Quadratmeter in der Fläche größer als im Bauplan ausgewiesen. Die Arbeitsgruppe empfiehlt einen Prüfauftrag zu möglichen Konsequenzen für den geplanten Wiederaufbau der Kirche. Steckt eventuell nur ein Rechenfehler dahinter? Bewohner des benachbarten ehemaligen Rechenzentrums bieten zur Klärung spontan Hilfe an.

September

Die neue Theatersaison beginnt. Das Hans Otto Theater zeigt „Die unendliche Geschichte“ nach Michael Ende. Einige Gastspiele des Potsdamer Ensembles finden auf dem zu 75 Prozent fertigem BER-Terminal Gate „Neundreiviertel“ statt. Etwas ist vorfristig fertig: das Schwimmbad am Brauhausberg. Flüchtlinge aus dem Heim im alten Landtag haben gemeinsam mit freigestellten Mitgliedern des Landespolizeiorchesters in der letzten Bauphase mit angepackt. Im Untergeschoss wurden zusätzlich ein Hamam und eine Mikwe eingebaut. Dafür gewinnt Potsdam den Integrationspreis „Blubb global“.

Oktober

Weil der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten nach wie vor Geld für den Unterhalt und Betrieb sämtlicher historischer Gebäude fehlt, entscheidet sich die Stiftung, die falsche Moschee, das Pumpenhaus am Kiewitt, der muslimischen Gemeinde zu überlassen. Wild gebetet wird hier ohnehin bereits seit Langem. Zur Eröffnung kommt Rapper Bushido aus Kleinmachnow, bringt Kartoffelsalat mit und singt: „Du spürst die Blicke und du weißt, du bist hier nicht willkommen, hier nicht willkommen.“

November

Auf dem Baufeld der geplanten Synagoge in der Schlossstraße wird ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden, der gesprengt werden muss und die Tiefgarage der Synagoge elegant vorbereitet. „Wir haben immer gewusst, dass es mit Gottes Hilfe eines Tages sehr schnell gehen wird“, heißt es in einer Pressemitteilung der jüdischen Gemeinden.

Dezember

Der Sinterklaasmarkt im Holländischen Viertel darf stattfinden – allerdings wie bereits 2014 ohne Zwarte Pieten. Auf Wunsch der Gleichstellungsbeauftragten reitet Sinterklaas außerdem auf einem Zebra. Es kommt zum Eklat, als einem Marktbesucher mit schwarzer Hautfarbe und Pudelmütze von Antirassismusaktivisten der Eintritt verwehrt wird. Auf dem Polizeirevier stellt man fest, dass der Mann Günter Wallraff ist, der mit Hape Kerkeling, der im Sinterklaaskostüm steckt, auf ein Schwarzbier verabredet war. Unklar bleibt, wer die Reinigung der mit schwarzer Schminke versauten Uniformen der Beamten zu zahlen hat.

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