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Erst Schlecker, jetzt Netto: Wie viele ihrer Kolleginnen wurde auch Nicole Zocher nach der Insolvenz der Drogeriekette zunächst arbeitslos. Doch sie hatte Glück. Schon bald soll sie eine Potsdamer Filiale des Lebensmitteldiscounters übernehmen.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Die „Anschlussverwendete“

Vor einem Jahr ging Schlecker pleite. Die Potsdamerin Nicole Zocher hatte Glück – sie hat eine neue Arbeit

An den Tag, an dem das Fax kam, erinnert sie sich noch genau. Es war der 23. Januar 2012. Der Tag, an dem die Drogeriekette Schlecker den Insolvenzantrag stellte. Wie alle anderen wurde auch die Filiale, in der die Potsdamerin Nicole Zocher arbeitete, von der Unternehmenszentrale auf diese Weise informiert. Kein Anruf, kein persönliches Gespräch. Überraschend kam die Mitteilung nicht. „Wir wussten es ja schon von unseren Kunden“, sagt sie. Über die Medien hatte sich die Nachricht bereits verbreitet.

Ein bitteres Ende nach fast 13 Jahren im Unternehmen. Dabei sei die meiste Zeit schön gewesen, sagt Zocher. Sie sei immer fair behandelt worden. Schlecker zahlte Tarif inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld. Nach Stationen bei Tchibo und Yves Rocher in der Brandenburger Straße hatte die gebürtige Berlinerin bei Schlecker angefangen. Dort ging es schnell aufwärts für die gelernte Altenpflegerin. Sie wurde stellvertretende Filialleiterin, ging nach Michendorf, leitete eine Filiale in Kleinmachnow. Die letzten zwei Jahre war sie als Bezirksleiterin für Potsdam und Umgebung für 35 Verkaufsstellen verantwortlich. „Die waren alle in den schwarzen Zahlen“, sagt Zocher.

Doch dann begannen die Probleme. So schloss Schlecker im Jahr 2010 seine Filiale in der Drewitzer Konrad-Wolf-Allee. Nach langem Leerstand öffnete dort im vergangenen Jahr mit dem I-Café ein integratives Projekt, bei dem auch Behinderte mitarbeiten. Bei anderen Filialen dauerte der Niedergang länger. Im Herbst 2011 kam kaum noch Ware in die Verkaufsstellen. „Manche Lieferanten kamen gar nicht mehr“, so Zocher. Erklärungen von der Zentrale blieben dürftig. „Es fehlte an Transparenz“, sagt Zocher. Im letzten halben Jahr vor der Insolvenz sei der Umsatz stark zurückgegangen. „Wir hatten ja kaum noch etwas zu verkaufen“, sagt sie. Dann zeigt sie auf ihre roten Haare: „Bei Schlecker gab es meine Haarfarbe nicht mehr. Ich musste zu Rossmann gehen!“

Zwölf Filialen hatten Schlecker und das Tochter-Unternehmen „Ihr Platz“ bis vor einem Jahr in Potsdam. Einige davon stehen noch leer – wie das Geschäft in der Babelsberger Rudolf-Breitscheid- Straße oder das am Johannes-Kepler- Platz am Stern. Für das Ladenlokal in der Straße Am Kanal hat der Vermieter, die kommunale Pro Potsdam, inzwischen einen Nachmieter gefunden: Hier soll in Kürze eine Filiale des Potsdamer Schuhgeschäftes Schuhbaar eröffnen. In der Filiale in der Jakob-von-Gundling-Straße im Bornstedter Feld verkauft die Bäckerei Exner seit September 2012 Brötchen.

Auch die Zukunft der ehemaligen Schlecker-Mitarbeiter ist in vielen Fällen unklar. Nach den aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur haben sich in Potsdam und den Nachbargemeinden insgesamt 67 Schlecker-Mitarbeiter arbeitslos gemeldet. Fast alle sind Frauen. Nicht erfasst sind Mitarbeiter, die beispielsweise in Berlin wohnen. Etwa zwei Drittel von ihnen haben sich im Juni arbeitslos gemeldet. Bis dahin hatte der Insolvenzverwalter einen Teil der Filialen weiter betrieben. Derzeit suchen noch 28 einen Job. „Die meisten arbeiten wieder als Verkäuferin, Kassiererin oder Verkaufsstellenleiterin. Auch als Bürokraft oder Auslieferungsfahrerin haben einige angefangen“, teilte die Arbeitsagentur auf PNN-Anfrage mit. Ob es sich dabei um befristete oder unbefristete Stellen handelt, erfasst die Statistik nicht.

Nicole Zocher macht sich um einige ihrer ehemaligen Kolleginnen Sorgen. Sie kenne eine ehemalige Marktleiterin, die jetzt bei Rossmann als Halbtagskraft an der Kasse sitzt. „Es gibt bestimmt genug Arbeitsplätze. Aber nicht genug, von denen man leben kann“, sagt sie. Sie selbst habe Glück gehabt. Nach kurzer Zeit hatte sie die ersten Vorstellungsgespräche. Betreuung und Beratung bei der Arbeitsagentur seien bestens gewesen. Im September fing sie beim Lebensmitteldiscounter Netto mit der Einarbeitung an: Sie soll in Potsdam eine Filiale leiten.

Auf ihre ehemaligen Kolleginnen lässt Zocher nichts kommen: Wer bei Schlecker gearbeitet habe, sei ein Alleskönner. In den kleinen Filialen mussten die Mitarbeiterinnen immer sehr selbstständig sein, so Zocher. Auch die älteren Mitarbeiterinnen seien mit ihrer Erfahrung wichtig gewesen. „Über die kann sich jeder Arbeitgeber freuen“, sagt sie.

Weniger gut zu sprechen ist sie auf den Insolvenzverwalter. Der Sozialplan sei fehlerhaft gewesen. Mit dem Versprechen auf eine Transfergesellschaft sei auf die Mitarbeiter Druck ausgeübt worden. Und auch FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler hat bei Zocher keine Sympathiepunkte gesammelt. Er hatte 2012 geäußert, die Verkäuferinnen von Schlecker sollten sich schnell eine „Anschlussverwendung“ suchen. Es gebe schließlich doppelt so viele freie Stellen für Verkäufer im Einzelhandel wie die insgesamt gut 23 000 Schlecker-Mitarbeiter. Dass es zum gleichen Zeitpunkt bundesweit bereits 160 000 arbeitslose Verkäuferinnen gab, erwähnte er dabei nicht.

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