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Homepage: Die ewige Stadt

Reale und imaginäre Orte im Judentum

Reale und imaginäre Orte im Judentum „Es war eine Gegend in der Menschen und Bücher lebten“, schrieb Paul Celan einst über die Bukowina. Zentrum des heute von den meisten Landkarten verschwundenen Landstrichs zwischen der Ukraine und Rumänien war die Stadt Tschernowitz. Wie Celan schon andeutete mehr eine Idee, ein Mythos denn eine wirkliche Stadt. Heute liegt die Stadt in der Ukraine, von ihrer Blüte als Schmelztiegel vielzähliger Völker und Konfessionen vom 18. bis frühen 20. Jahrhundert zeugt nur noch die Erinnerung. Und in der Erinnerung, so Celan, ist Tschernowitz zu einem endgültigen Ort, zur ewigen Stadt geworden. Das Verhältnis von realem und imaginärem Ort im Judentum ist der Fokus einer internationalen Konferenz, die bis heute noch im Alten Rathaus stattfindet. Veranstalter ist das Graduiertenkolleg „Makom – Ort und Orte im Judentum“ der Universität Potsdam. Dem Mythos von Tschernowitz, der ehemaligen Hauptstadt der Bukowina, einst am östlichsten Ende des österreichischen Herrschaftsgebietes gelegen, hat sich die Potsdamer Doktorandin Anna-Dorothea Ludewig angenommen. Sie fand einen Ort, den zahlreiche Schriftsteller dieser Stadt – Sperber, Franzos, Ausländer, Celan, von Rezzori, Manger – mit märchenhafter Symbolik aufgeladen haben. In dem „Kleinwien des Ostens“, wie man es einst nannte, lebten Deutsche, orthodoxe wie chassidische Juden, Polen, Rumänen, Ruthenen und noch viele weitere Kulturen friedfertig beieinander. Einen Grund für diese multikulturelle Koexistenz sieht die Forschung darin, dass keine der Gruppen die anderen dominierte. Die intellektuelle und vermögende Oberschicht stellte im 19. Jahrhundert meist die deutschsprachig jüdische Bevölkerung, die politische wie kulturelle Ämter bekleidete und Künstler hervorbrachte. Über 50 000 Juden lebten einst in der Stadt. Die Blüte der jüdischen Kultur fußt in der Zeit zwischen der Thronbesteigung Kaiser Franz Josefs (1848) – er gewährte den Juden weitgehende Rechte – und dem Beginn der rumänischen Herrschaft (1919). Was folgte waren antisemitische Hetze, Verfolgung, Ghettoisierung und Vernichtung durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Schließlich wurden die Juden auch deportiert, als die Stadt an die Sowjetunion fiel. Nur wenige von ihnen überlebten diese Zeit. So bleibt Tschernowitz eine „versunkene Stadt“ (Rosa Ausländer), der der Filmemacher Volker Koepp erst unlängst mit seinen Filmen „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ und „Dieses Jahr in Czernowitz“ ein Denkmal gesetzt hat. Als Ort fügte sich Tschernowitz, das einstige Czernowitz und heutige Tschernowzy, bestens in die Fragestellung des Graduiertenkollegs nach der Bedeutung und der Konstruktion von Orten im Judentum. Die Konferenz stellt die Wechselwirkungen zwischen dem realen, also sinnlich erfahrbaren Ort, und den an ihn geknüpften Konzepten in den Mittelpunkt. Die Wissenschaftler interessieren jüdische Orte, die gleichermaßen real existieren wie auch imaginär besetzt sind. Eben auch Erinnerungsorte, die an einen realen Ort gebunden sind. Jan Kixmüller Heute noch 9.15 bis 13 Uhr, Altes Rathaus, Alter Markt. Programm unter www.makom-potsdam.de.

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