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Lisa Andergassen (32) hat 2012 den Master in Europäischen Medienwissenschaften an der Uni Potsdam gemacht. Die Medienwissenschaftlerin organisiert nun mit drei Kommilitonen und zwei Dozenten an der FH Potsdam eine Konferenz über Pornografie.

© A. Klaer

Homepage: „Heute klingelt auch mal die Postfrau“

Die Medienwissenschaftlerin Lisa Andergassen über Pornografie, deren wissenschaftliche Deutung, Youporn und die „SuicideGirls“. An der Fachhochschule Potsdam organisert sie mit Kommilitonen ein internationale Konferenz zu den "Porn-Studies". Beginn ist am 25. Januar im Filmmuseum Potsdam

Frau Andergassen, ich bin überrascht.

Warum?

Zum Thema Pornografie hatte ich keine junge Frau erwartet. Eher einen älteren Herrn, der mit dem Thema seine heimlichen Obsessionen bedient.

Nein, so verhält sich das eben gerade nicht. Wir machen keine Konferenz zur Pornografie als solcher, sondern es geht um den relativ jungen Zweig der interdisziplinären Porn-Studies. Insofern ist es auch kein Zufall, dass wir alle noch recht jung sind. Es handelt sich um ein sehr aktuelles Thema, mit dem man sich auch als junger Mensch gut beschäftigen kann.

Pornografie hat durch das Internet eine enorm große Verbreitung gefunden.

Das ist einer der Gründe dafür, dass das Thema heute so virulent ist. Einerseits ist es ein Millionengeschäft. Andererseits hat der relativ leichte Zugang den Umgang mit Pornografie geändert. Es handelt sich heute um ein massenmediales und gesellschaftliches Phänomen. Die Porn-Studies suchen nun Wege, wie man sich dazu verhalten kann. Die Disziplin ging aus der eher kritischen feministischen Theorie hervor. Seinerzeit ging es auch um die entwürdigende Darstellung von Frauen in der Pornografie. Heute geht es auch darum, das Phänomen zu verstehen und einordnen zu können.

Der Blick hat sich also gewandelt?

Es gibt tatsächlich eine Öffnung. Mittlerweile gibt es auch in der Forschung und im gesellschaftlichen Diskurs positive Stimmen. Wir wollen allerdings keine Polarisierung, wir wollen weder verteufeln noch glorifizieren. Wir wollen überhaupt erst einmal einen Blick auf das Phänomen entwickeln. Denn bislang gibt es vor allem im deutschsprachigen Raum wenig wirkliche Auseinandersetzungen, die sich etwa mit konkreten Beispielen beschäftigt hätten. Wir wollen erst einmal herausfinden, worum es dabei eigentlich geht, was Pornografie ausmacht. Wir suchen die theoretische Auseinandersetzung.

Die Frage ist ja auch, welche Folgen die starke Verbreitung von Pornografie für die Gesellschaft hat.

Dass bestimmte Ausdrucksformen aus den Medien einen Einfluss auf die Gesellschaft haben, ist ein bekanntes Phänomen. Ob und wie das nun auch auf die Pornografie zutrifft, wäre tatsächlich zu hinterfragen. Die Forschung steht hier noch am Anfang. Auf unserer Konferenz fragt ein Wissenschaftler etwa, wie Internetpornografie Bilder von Geschlechterverhältnissen und Sexualität verändert. Clarissa Smith bringt erste Ergebnisse einer empirischen Studie mit. Sie wollte wissen, was die Menschen mit der Pornografie eigentlich machen. Ob sie das nur anschauen, um sich zu erregen.

Und?

Offensichtlich hat sich der Umgang mit Pornografie gewandelt. Überraschenderweise wird Pornografie nicht nur zur Erregung angeschaut, sondern sie wird auch aus ganz anderen Gründen betrachtet.

Jetzt bin ich aber gespannt. Warum schaut man sich denn sonst Pornos an?

Das Stimulierende spielt natürlich eine Rolle. Es ist aber nicht mehr so, dass es zwischen Porno und Erregung nichts anderes gibt. Es wird einfach auch aus Interesse geschaut. Etwa um sich ein Bild davon zu machen, welche verschiedenen Sexualpraktiken es gibt. Darüber hinaus ist auch eine Sensibilisierung für ein eigenes Genre zu beobachten, ästhetische Unterschiede spielen mittlerweile eine Rolle.

Weiß man, welche Auswirkungen Pornografie auf das Sexualverhalten der Heranwachsenden hat?

Es gibt Studien, beispielsweise von Silja Matthiesen, durchgeführt am Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie in Hamburg, die belegen, dass Jugendliche eine sehr hohe Medienkompetenz haben und zwischen einem Film und der Realität sehr gut unterscheiden können. Die jungen Menschen können damit besser umgehen, als man annehmen würde.

Ist Pornografie eine Männerdomäne?

Nicht mehr. Es gibt eine Entwicklung zur Aneignung der Pornografie durch Frauen, aber auch durch Menschen jenseits des heterosexuellen Geschlechtermodells – etwa Pornografie, die von Transsexuellen gemacht wird. Auch schauen heute Frauen nach den Produktionsbedingungen von Pornografie und fragen sich, was sie selbst in dem Genre machen können. Es gibt Bestrebungen, sich vom Mainstream unabhängig zu machen, etwa beim Alt-Porn.

Das müssen Sie erklären.

„Alternative Porn“ ist eine wachsende Nische im Hardcore-Markt. Alt-Porn zeichnet sich dadurch aus, dass die Macher und Darsteller sich Subkulturen wie Punks, Goths, Skatern, Ravern oder HipHopern zuordnen. Tätowierungen, Piercings und gefärbte Haare sind hier zum Beispiel Erscheinungsmerkmale. Bekannt geworden sind damit beispielsweise die „SuicideGirls“ aus Los Angeles. Dazu wird Giovanna Maina auch auf unserer Konferenz sprechen.

Was ist dabei anders?

Es gibt ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Visualisierungen jenseits der bekannten Klischees. Etwa künstlerische Darstellungen oder eine andere Erzählstruktur, bei der man mehr über die Personen, die miteinander Sex haben, erfährt. Einfach aneinander geschnittene Episoden gibt es zwar immer noch, aber auch immer mehr neue Ansätze. Die Pornografie differenziert sich immer stärker aus, wobei jede Sparte eine eigene Zielgruppen hat.

Es ist also nicht mehr nur der Postmann, der zweimal klingelt?

Nein, eben nicht. Der klingelt zwar noch recht häufig. Aber es gibt auch die Postfrau. Und zahlreiche andere sexuelle Orientierungen, die sich hier eine Nische schaffen. Die haben auch ein Recht auf ihre eigene Pornografie.

Und was ist mit Youporn?

Hier spielt eine Rolle, dass man scheinbar die Bilder und Filme miteinander teilen kann, man will sich darstellen. Allerdings ist dieser Gestus des Authentischen zu hinterfragen. Die Frage ist, ob es sich tatsächlich um echte Paare handelt oder ob die Industrie diesen Look einfach kopiert.

Für Ihr Forschungsvorhaben haben Sie sich sicher auch Pornofilme angeschaut?

Natürlich. Das war erst einmal eine interessante Erfahrung.

Was meinen Sie?

Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man mit anderen Personen zusammen pornografisches Material anschaut. Aber schließlich überwiegt der professionelle Blick, es handelt sich ja um den Gegenstand, den man untersuchen will.

Wenn vier Wissenschaftler Pornos schauen, bekommt keiner rote Ohren?

Man betrachtet das schnell nur noch als Korpus. Es gibt dabei natürlich auch Dinge, die man selbst ablehnt, aber es geht ja um die Analyse. Das ist am Ende genauso, wie wenn man blutrünstige Horrorfilme untersuchen würde.

Also nicht wegschauen, sondern hinschauen?

Das könnte man so sagen. Aus wissenschaftlicher Perspektive zumindest. Weil man sonst gar nicht weiß, worum es eigentlich geht. So kann man aus der Rollenverteilung in der Pornografie viel herauslesen, sie sagt viel über unsere Gesellschaft aus.

Wann sind Sie selbst zum ersten Mal mit Pornos in Berührung gekommen?

Wie viele andere auch recht früh im Internet. Das hat mich allerdings nicht interessiert, ich habe mir das nicht weiter angeschaut. Erst das Forschungsvorhaben im Rahmen der Porn-Studies hat mich neugierig gemacht. Mir wurde klar, dass man aus dem Thema sehr viel rausholen kann.

Das ist sicher auch interessanter, als langweilige TV-Krimis zu analysieren.

Das Thema ist unheimlich aufgeladen. Es polarisiert. Jeder meint eine Position dazu zu haben, meint zu wissen, worum es eigentlich geht. Aber dem ist gar nicht so. Denn es gibt wenig empirisches Material darüber, auch fehlt teilweise die historische Vergleichsebene, die frühen Pornofilme vom Beginn des 20. Jahrhunderts sind größtenteils verschollen. Auch fehlt eine gesetzliche Definition. Die Frage, was Pornografie ist, hat der Gesetzgeber an die Gesellschaft abgegeben. Hier wollen wir erst einmal ein Vokabular finden, um einzugrenzen, worüber wir eigentlich sprechen.

Welche Haltung haben Sie persönlich zur Pornografie?

Ich denke man sollte sich dem Thema vorurteilsfrei nähern, ohne von Anfang an eine Haltung zu haben. Sexarbeit ist ein heikles Thema. Dennoch würde ich von einer Polarisierung abraten. Man sollte die Pornografie in ihrer ganzen Verschiedenartigkeit wahrnehmen, es geht um mehr als ein paar Clips im Internet.

Welche Antworten erwarten Sie von Ihrer Konferenz?

Im deutschsprachigen Raum gibt es bislang sehr wenig Forschung zu dem Thema. Unsere Konferenz ist hier recht einzigartig. Wir wollen eine Plattform für Porn-Studies schaffen, für interdisziplinären Austausch. Antworten auf konkrete Fragen erwarte ich nicht. Eher, dass erst einmal viele Fragen auftauchen. Wir wollen klären, was Pornografie alles sein kann. Ein Erfolg wäre, wenn wir eine Grundlage für die Auseinandersetzung mit Pornografie schaffen könnten.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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