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Demographischer Umbruch: Eine Tagung in Genshagen hat Deutschland, Polen und Frankreich verglichen

Demographischer Umbruch: Eine Tagung in Genshagen hat Deutschland, Polen und Frankreich verglichen Von Jan Kixmüller Ein Patentrezept gibt es nicht. Wieso die Geburtenraten in Europa, wie auch in anderen Industriestaaten, zurückgehen oder auf niedrigem Niveau stagnieren können Forscher, Politiker und Experten nicht eindeutig sagen. Klar ist nur, dass Deutschland mit einer Geburtenrate von rund 1,3 Kindern pro Frau weder seine Sozialsysteme in Zukunft sichern noch den Arbeitsmarkt mit Fachkräften versorgen kann. Auf einer Tagung zur „Demographie, Familienpolitik und gesellschaftlichen Entwicklung“ in der Stiftung Genshagen versuchte man nun, den Vergleich zwischen Deutschland, Frankreich und Polen zu ziehen. Was recht eindeutig ausfiel. Während Deutschland und Polen mit ähnlich geringen Geburtrenraten hadern, glänzen die Franzosen mit 1,9 Kindern pro Frau – hinter Irland (1,98) die zweithöchste Rate in Europa. Wo liegen die Unterschiede? Die Tagung gab Hinweise. Etwa die der politischen Einflussnahme. Aus dem Geburtenknick zwischen den Weltkriegen hatte man in Frankreich gelernt. Damals wurde ein nationaler Dialog geführt, um das Heimatland vor dem Aussterben zu bewahren. Heute bietet Frankreich unter anderem Steuervergünstigungen, ganztagsbetreute, kostenlose Vorschulen ab drei Jahre, einen kräftigen Aufschlag beim Kindergeld ab dem dritten Kind und neuerdings 14 Tage Urlaub für die Väter nach der Geburt eines Kindes. Die Väter seien auf diesen staatlich verordneten Kinderurlaub sofort angesprungen, vor allem um den Müttern zu helfen. Die Maßnahme habe zu einem Umdenken in der Beziehung zu Kleinkind und Familie geführt, schilderte die französische Abgeordnete Paulette Guinchard-Kunstler. Auf deutscher Seite hingegen ist bekannt, dass Arbeitgeber immer noch hilflos bis verschnupft reagieren, wenn ein Vater Erziehungsurlaub nehmen will. Und das von Rot-Grün in Aussicht gestellte Elterngeld droht nun in den Mühlen der Koalitionsverhandlungen zerrieben zu werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, gerade für die Frauen, eine der wichtigsten Fragen beim Kinderwunsch. „Vorhersehbarkeit und Vertrauen in die staatlichen Leistungen sind wichtig für den Kinderwunsch“, so der französische Soziologe Claude Martin. Es müssten Strukturen geschaffen werden, die einen Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt für Mütter garantieren, flankiert von einem Netzwerk von Betreuungseinrichtungen, Lohnersatzleistungen und steuerlichen Vergünstigungen. „Indem man die Frauen zurück an den Herd schickt, lassen sich heute die Geburtenzahlen nicht mehr steigern.“ In Frankreich ist die Betreuung weitgehend so organisiert, dass die Mütter arbeiten könnten. Frankreich also als das große Vorbild? Aus französischer Sicht noch lange nicht. Zwar habe es eine positive Entwicklung bei der Berufstätigkeit der Frauen gegeben, doch die eigentlichen Ziele seien auch hier noch längst nicht erreicht. Die Präsidentin von Europartenaires Elisabeth Guigou nannte flexiblere Krippenzeiten, Kindertagesstätten an Unternehmen und „längeren, gut bezahlten Elternurlaub schon beim ersten Kind“ als Ziele. Zudem sei die Rollenverteilung im französischen Haushalten nach wie vor traditionell geprägt: die Hausarbeit bleibe zum Großteil an den Frauen hängen. Ein Fakt, den auch die deutschen und polnischen Teilnehmer der Tagung als kritisch bemängelten. Für Polen musste die Professorin für Europastudien Bozena Choluj sogar konstatieren, dass nach der Wende die Männer plötzlich für die Frauen sprachen. Das rigide Abtreibungsrecht und das fehlende Gleichstellungsgesetz seien für die polnischen Frauen geradezu ein Schock gewesen und hätten eine neue Frauenbewegung ausgelöst. Ein Problemfeld in allen drei Ländern ist die Berufstätigkeit der Mütter. „Mit der Geburt eines Kindes ändert sich nach wie vor die Erwerbsbiografie der Frauen“, so die Soziologin Brigitte Stolz-Willig. Für gering qualifizierte Frauen bedeute die Mutterschaft sogar meist den Ausstieg aus dem Berufsleben. In Polen verhält es sich ähnlich. Aus Angst vor Arbeitslosigkeit würde in Polen der Kinderwunsch allzu oft verdrängt, so die Soziologin Danuta Duch-Krzystoszek. In Deutschland nehme zwar die Erwerbstätigkeit der Frauen zu. Doch sage dies, so Brigitte Stolz-Willig, nichts über das Niveau der Arbeit aus. Viele Tätigkeiten von berufstätigen Müttern würden sich heute im Bereich der Geringfügigkeit finden. „Mehr Frauen teilen sich heute das gleiche Arbeitsvolumen wie vor Jahren“, resümierte auch die parlamentarische Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel. „Familienpolitische Maßnahmen müssen in Deutschland nun gerade vor dem Hintergrund von Deregulierungen am Arbeitsmarkt und einem neoliberalen Umbau der Gesellschaft gesehen werden“, warnte zudem die Soziologin Stolz-Willig. Die Beschäftigungspolitik basiere heute ausschließlich auf Wachstum. Familien hingegen würden Wohlstand bedeuten, der nicht auf Reichtum fußt. Die Professorin für Europäische Politik und Gesellschaft Christiane Dienel bemerkte schließlich, dass neue Modelle für Familien auch jenseits der Erwerbstätigkeit fehlen würden: „Die aktuelle Debatte, die nur auf den Ausbau des Betreuungsangebotes blickt, vergisst, was die Familie alles leisten kann.“ Hier flackerte kurz wieder die Debatte um die Ganztagsbetreuung junger Kinder auf: der alte Streit um die Frage, ob die Kita negative Auswirkungen auf die Mutter-Kind Beziehung habe. Prof. Dienel merkte an, dass das gemeinschaftliche Mittagessen der Eltern mit dem Kind wichtig für die Sozialisierung sei. Doch schnell wurde in der Diskussion deutlich: Nach dem PISA-Schock gibt es heute kaum noch Vorbehalte gegen Betreuungseinrichtungen, in denen die Kinder schon im frühen Alter auch im Lernen gefördert werden können. Am Ende eines langen Konferenztages war klar, dass staatliche Eingriffe allein kein Geburtenwunder erzielen können. Auch in der DDR brachte der Ausbau des Betreuungsangebotes nach einem Geburtenrückgang Mitte der siebziger Jahre nur kurzfristig eine Erholung, nach 1980 ging die Quote – allerdings auf höherem Niveau als im Westen – wieder langsam zurück. Experten machen heute auch andere Faktoren für die geringe Zahl an Geburten aus, etwa die mangelnde Verlässlichkeit von Beziehungen und lange Ausbildungszeiten. Wenn man sich dann für ein Kind entscheide, sei es oft schon zu spät. Denn eigentlich wünschen sich die Deutschen Kinder: 86 Prozent der Männer und 94 Prozent der Frauen zwischen 16 und 26 Jahren wollen laut einer Umfrage von Allensbach Kinder haben.

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