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Landeshauptstadt: Modelkarriere mit achtzig

Das Alter ist schön, wenn es richtig inszeniert wird. Ingeborg und Horst Schubert haben sich für einen Kalender fotografieren lassen, dessen Bilder an Gemälde erinnern

Das Alter ist schön, wenn es richtig inszeniert wird. Ingeborg und Horst Schubert haben sich für einen Kalender fotografieren lassen, dessen Bilder an Gemälde erinnern Von Stefan Jacobs Den Bildkalender aus der Apotheke brauchen die Schuberts im nächsten Jahr nicht mehr. Sie haben jetzt ihren eigenen, den ihnen die Pflegeschwester gerade druckfrisch nach Hause gebracht hat. Das Foto von Ingeborg Schubert, 80 Jahre, seit einem Treppensturz querschnittsgelähmt und von einem Schlaganfall leidlich genesen, schmückt den Mai. Ihr beinahe blinder Mann Horst, 90, ist das Novembermodel. Abgesehen von einer Komparsenrolle vor 24 Jahren war es für beide das erste Mal, dass sie Modell gestanden haben. Aber bestimmt nicht das letzte. Die Einladung kam aus der Montagsrunde, von Werner Jahnke, dem Chef der Pflegestation in der Birkenstraße. Dort treffen sich jede Woche Senioren aus dem Moabiter Kiez, „um Erlebtes und Erlauschtes zu bereden“, wie Horst Schubert sagt. Seine Frau ist mit ihren 80 Jahren das Küken in der Montagsrunde. Sie ließen sich nicht lange bitten, als Jahnke sie zum Modeln animierte. Endgültig gecastet wurden sie dann von der Fotografin Esther Haase, die auch die – Gemälden von Toulouse-Lautrec, Gauguin, Manet und anderen Meistern nachempfundenen – Bilder gemacht hat. Ingeborg Schubert blättert den Kalender auf. „Sieht gar nicht aus wie 80, oder?“, fragt sie lächelnd. Sie trägt neuerdings einen dezenten rosa Lippenstift. Das Foto ist im Botanischen Garten aufgenommen und sieht aus wie bei Hofe. Im Vordergrund sitzt ein Porzellanleopard, neben ihr liegt lasziv ein Jüngling, einen ausgestopften grünen Papagei auf der Hand. Frau Schubert trägt ein voluminöses Kleid. „Mein erster Gedanke an dem Tag war: Wie komme ich in das Kleid? Aber es war gar nicht anstrengend. Es war einfach schön. Und ich hatte ja einen netten Liebhaber.“ Ein Pflege-Zivi hat den Jüngling gespielt. „Gott, war der aufgeregt!“ Horst Schubert raucht einen Zigarillo und hört seiner Frau zu. Er unterbricht sie nie – ebenso wenig, wie sie ihm ins Wort fällt. So viel Aufmerksamkeit nach so vielen Ehejahren. Wie viele sind es eigentlich? „Oh!“, sagt sie. „Schwierige Frage“, sagt er. Dann beginnen beide zu rechnen: Sie war Sekretärin bei den Amerikanern, er war Bauleiter für die Kasernen am Hüttenweg. 1951 muss das gewesen sein. Sie war die Einzige, die seine Handschrift lesen konnte. Später waren sie zusammen auf der Trabrennbahn Mariendorf. Sie wurde ohnmächtig, er rief einen Arzt – und der stellte fest, dass sie schwanger war. Also blieben sie zusammen. Ihre Tochter ist jetzt 50, geheiratet haben sie aber erst nach der Geburt... – macht 48 Ehejahre, auf die sie sich schließlich einigen. „Die Jugend wäre eine schönere Zeit, wenn sie erst später im Leben käme“, hat Charlie Chaplin einst gesagt. Der Spruch steht als Motto über dem Foto von Horst Schubert. Distinguiert zieht er auf dem Bild am Zigarillo, eine teuer zurechtgemachte junge Dame zu seiner Linken und Frau Nauheimer zu seiner Rechten. Frau Nauheimer ist 88 und sitzt in der Montagsrunde neben ihm. Die junge Dame ist eine Pflegerin. „Sie redet eher viel, ich rede eher wenig, das hat also gut harmoniert“, sagt Horst Schubert. Fünf Stunden lang waren sie im Studio von Esther Haase beschäftigt. Die Fotografin hat ihm einen Smoking ausgesucht, der ihm prächtig steht. Dass die Hose zwei Nummern zu weit ist und nur von einer großen Klammer gehalten wird, ist ja auf dem Bild nicht zu sehen. Die Schuberts sind nicht eitel. Aber als Fotomodelle sind sie selbstbewusster geworden, trauen sich kleine Ausflüge zu, gehen nur gut gekämmt und mit geputzten Brillen aus dem Haus. Ihr Kalender ist schon der siebte, den die Pflegestation und die Fotografin gemacht haben. Am Anfang musste Werner Jahnke die alten Leute überreden: „Alle haben gesagt, sie seien zu alt, zu hässlich, zu krank.“ Inzwischen ist er froh, dass er die Modelle nicht mehr selbst auswählt, sondern der Fotografin nur vorab Polaroids aller Kandidaten schickt. So ist er nicht schuld an Eifersüchteleien oder Neid auf die Auserwählten. Die Fotografin Esther Haase, deren Name in der Branche längst einen guten Klang hat, macht die Bilder zum Selbstkostenpreis. Auch Promis lassen sich gern mit den Alten von Moabit fotografieren: Iris Berben fürs laufende Jahr, Angelika Milster fürs nächste. Ingeborg und Horst Schubert drängen sich nicht auf. „Aber wenn wir gefragt werden, machen wir gern wieder mit“, sagen sie. Allein der Umstand, dass das Jahr nur zwölf Monate hat, begrenzt ihre Chancen. Der Erlös aus dem auf 1500 Exemplare limitierten Kalender geht an ein Resozialisierungsprojekt für straffällig gewordene Jugendliche. Einen Kalender gibt es gegen eine Spende von mindestens 20 Euro bei der Pflegestation Jahnke, Telefon: 394 99 99, oder online unter www.jahnkepflege.de.

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