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Landeshauptstadt: Per Mausklick zum Dolmetscher

Rathaus wird bundesweit Vorreiter mit Video-Dolmetschersystem bei der Beratung von Flüchtlingen und Gehörlosen

Einen Dolmetscher auch für ausgefallene Sprachen zu finden, um Flüchtlinge besser beraten zu können, ist im Rathaus ab sofort noch Minutensache: Potsdam wird bundesweit die erste Kommune, die das sogenannte Videodolmetschen einsetzt. Zunächst drei Arbeitsplätze werden für ein Jahr mit dem System eines Anbieters, das in Österreich unter anderem schon an mehreren Kliniken läuft, ausgestattet. Ab Montag beginnt die Testphase. Die Details stellte Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos) am Donnerstag gemeinsam mit Peter Merschitz von der in Wien ansässigen SAVD Videodolmetschen GmbH vor.

Wie das System funktioniert, demonstrierte Verwaltungsmitarbeiterin Melanie Münch in zwei Testläufen mit einer russischsprachigen Frau und einem Gehörlosen. Technische Voraussetzung sind eine kleine Kamera, die auf dem Monitor montiert wird, und eine flüssige Breitband-Internetverbindung. Danach ist das Prozedere denkbar einfach: Nach dem Mausklick auf die gewünschte Sprache springt ein Videofenster auf, wie man es vom Videotelefondienst Skype kennt. Eine Frau mit Headset erscheint auf dem Bildschirm und stellt sich mit ihrem Namen vor: „Ich bin Ihre Dolmetscherin für Russisch. Was kann ich für Sie tun?“ Nach der Bitte um das Einverständnis der russischsprachigen Kundin dolmetscht sie das Gespräch. Die Frage nach dem Krankenversicherungsschutz kann innerhalb kürzester Zeit geklärt werden.

Unterstützt werden soll mit dem System in erster Linie die Arbeit mit Flüchtlingen – aber auch Gehörlose können profitieren, da auch Gebärden-Dolmetscher erreichbar sind, erklärt Müller-Preinesberger. Die Zahl der Flüchtlinge ist bekanntlich wegen der weltweiten Krisen stark gestiegen, in diesem Jahr erwartet Potsdam 980 neue Flüchtlinge. Die Beratung der Neuangekommenen stelle die Verwaltung vor sprachliche Herausforderungen: Nicht immer ist mit Englisch oder Französisch weiterzukommen. Dann musste bislang ein Sprachmittler eingeschaltet werden – für Flüchtling und Verwaltungsmitarbeiter heißt das: Ein neuer Termin einige Tage später muss vereinbart werden, was für Frustration auf beiden Seiten sorgt und das Verfahren verzögert. In diesen Fällen kann künftig der Dolmetscher sofort „virtuell ins Büro geholt“ werden, sagt die Sozialbeigeordnete.

Hinter dem System stehen insgesamt rund 500 zertifizierte Dolmetscher, wie Peter Merschwitz von der SAVD Videodolmetschen GmbH erklärte. Die Dolmetscher arbeiteten teils fest angestellt, teils als freie Mitarbeiter vom Büro oder zu Hause aus – alle Dolmetscher arbeiteten in der Europäischen Union. Ihre Arbeitsplätze seien dahingehend überprüft worden, dass keine dritten Personen im Raum sind – eine Frage des Datenschutzes. Für größere Sprachen könne ein Dolmetscher innerhalb von 120 Sekunden gewährleistet werden, bei selteneren Sprachen wie Urdu oder Paschtu geht Merschwitz von einer Wartezeit von fünf bis zehn Minuten aus. Entwickelt wurde das System 2011 für das Dolmetschen in Kliniken in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Gesundheitsministerium.

Die Kosten für die Stadt sind überschaubar: Eine Grundgebühr von 126 Euro pro Monat – 99 Euro plus 9 Euro je Arbeitsplatz – fällt an, hinzu kommt eine minutengenaue Abrechnung der Dolmetscherleistungen. In der ersten Viertelstunde kostet die Minute zwei Euro, danach einen Euro. Empfohlen wird das System auch vom Deutschen Städte- und Gemeindebund: Videodolmetschen solle Deutschkenntnisse bei Flüchtlingen nicht ersetzen, könne aber deutlich zur Verbesserung der Beratung beitragen und das zu moderaten Preisen, sagte Sprecher Franz-Reinhard Habbel. Nach Potsdam interessierten sich unter anderem Koblenz, Wolfsburg und Trier dafür.

Die Sozialbeigeordnete geht davon aus, dass das System nach dem Testjahr in weiteren Bereichen eingesetzt werden kann: Man prüfe unter anderem den Einsatz im Gesundheitsamt, am städtischen Bergmann-Klinikum oder im Jobcenter.

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