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Von Henri Kramer: Zu wenige Junge für die Alten – immer mehr Zivi-Stellen bleiben unbesetzt

Zahl der Schulabsolventen sinkt, die der ausgemusterten Wehrpflichtigen steigt

So oft wie in den vergangenen viereinhalb Monaten hat sich Björn Lorenz noch nie umziehen müssen. Bis zu zehn Mal an einem Tag muss der 19-jährige Potsdamer seine normalen Klamotten gegen ein grünes Hemd, eine grüne Hose und klobige Plastikschuhe eintauschen. Denn wenn er in den Operationssälen des Klinikums Ernst von Bergmann gebraucht wird, benötigt er frische und möglichst keimfreie Wäsche, wie alle Mitarbeiter des Krankenhauses. Björn Lorenz ist einer der 15 Zivildienstleistenden in dem Komplex an der Charlottenstraße. „Ich will sowieso Medizin studieren, da hat sich so eine Stelle angeboten“, sagt der junge Mann über seine Motivation, nicht bei der Bundeswehr zu sein.

Doch Jungen wie Björn gibt es in Brandenburg von Jahr zu Jahr weniger – auch viele Potsdamer Einrichtungen, in denen Zivis eingesetzt werden, erhalten eine immer kleinere Zahl an Bewerbungen. Experten wie der Bundeszivildienstbeauftragte Jens Kreuter machen dafür zwei Gründe verantwortlich: Einmal liege der Anteil der Ausmusterungen seit einer Gesetzesänderung vor fünf Jahren bei konstant rund 40 Prozent, so Kreuter. Und zudem gehöre die Generation der heute 18- bis 20-Jährigen zu geburtenschwächeren Jahrgängen, weil kurz nach der Wende und den Umbrüchen nach 1989 zunächst viel weniger Paare in Ostdeutschland den Mut hatten, ein Kind in die Welt zu setzen.

Häuser wie das Bergmann-Klinikum spüren das, wenn auch langsam. 2006 waren hier noch durchschnittlich 17 Zivis beschäftigt, vergangenes Jahr noch 14. 42 zu besetzende Stellen gibt es insgesamt. Und die jungen Männer werden gebraucht. „Die Pflegekräfte in unseren Stationen werden durch die Zivis als zusätzliche Hilfskräfte in ihrer täglichen Arbeit unterstützt“, sagt Damaris Hunsmann, Sprecherin des Klinikums.

Björn Lorenz hilft im Operationssaal. 6.30 Uhr beginnt seine Frühschicht, erzählt er. Das erste Mal umziehen. In seiner grünen Kluft muss er Patienten „einschleusen“, also sie auf dem Weg zum operativen Eingriff begleiten – etwa sie von einem Pflegebett auf eine OP-Liege umheben. Manchmal warten vierzig Menschen pro Tag auf den bangen Moment vor ihrer Narkose. Sind die ersten Patienten „umgebettet“, zieht sich Björn zum zweiten Mal um. Wege stehen an, in die Apotheke, ins Lager, „und Frühstück holen“. So muss er als Bindeglied zwischen Operationssaal und dem Rest des Klinik-Komplexes agieren, etwa wenn er frisch entnommene Gewebe-Proben von Krebspatienten ins nahe Labor bringen muss, damit die Befunde schnell wieder zurück zu den Ärzten gelangen. Und jedes Mal muss er sich umziehen. „Das ist schon ein ernster Arbeitsalltag hier, anders als in der Schule mit den vielen Pausen“, stellt der Abiturient fest. Die Umstellung sei „krass“ gewesen. Doch gleichwohl auch erhellend: Die Abläufe im Klinik-Alltag seien ihm nun bekannt, das Medizin-Studium noch immer sein Ausbildungswunsch: „Ich weiß jetzt, dass ich mit Patienten klarkomme.“

Anders liegen die Motive bei Fabian Rhode. „Ich wollte in meinem Zivildienst direkt Menschen helfen, statt dabei nur als Hausmeister zu arbeiten“, sagt der bekennende Pazifist, der nach den neun Monaten Dienst eine Geisteswissenschaft studieren will. Doch noch sind es mehr als vier Monate, in denen der 20-Jährige im Hausnotrufdienst der Malteser im Treffpunkt Freizeit arbeiten wird. Das Angebot soll vor allem Senioren ermöglichen, per Knopfdruck sofort mit den Maltesern Kontakt aufzunehmen – und bei Bedarf eine Vertrauensperson anzufordern. Vier Zivis arbeiten in dem Haus.

Doch auch bei den Maltesern ist das Problem bekannt. Der christliche Träger erhält immer weniger Bewerbungen um einen Zivildienstplatz. „Gerade beim Hausnotdienst haben wir Probleme, die Stellen zu besetzen – zum Teil müssen Kollegen aus Berlin die Arbeit mit abdecken“, sagt Treffpunkt-Leiter André Martin. In der Stadtverwaltung Potsdam sind die Schwierigkeiten noch größer. 18 Zivis arbeiten derzeit auf Grünflächen, in der Denkmalpflege oder in Bibliotheken. „Für 2009 liegt noch nicht für alle Stellen eine Bewerbung vor“, sagt Stadtsprecherin Regina Thielemann. Dies sei ein Trend, der aber nur Tätigkeiten betreffe, die nicht „notwendigerweise“ von der Landeshauptstadt verrichtet werden müssten – es seien eben nur zusätzliche Aufgaben, die Zivis für Potsdams Bevölkerung erledigen. Einzig das Oberlinhaus und seine Einrichtungen spüren den Mangel noch nicht: Seit Jahren gäbe es laut Sprecherin Andrea Weingart bis zu zehn Bewerbungen für einen der 24 Zivi-Plätze, die sich beispielsweise in der Oberlinkrippe befinden. Und auch Fabian Rhode reagiert verwundert, als er von den sinkenden Bewerberzahlen hört. Schließlich kenne er in seinem Freundeskreis niemand, der zur Armee gegangen sei. Doch dann wird er nachdenklich: „Es sind aber auch viele ausgemustert worden, selbst sportliche Typen, die aber eine Brille tragen.“

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