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Kultur: Aschenputtel putzt sich heraus

Der Albanologe Elton Prifti erzählt bei der Urania über sein Heimatland Albanien und malt weiße Flecken farbig aus

Der kleine Junge steigt mit seinen Klassenkameraden auf den hohen Berg. Mühselig tragen sie große Steine zusammen. Patrouilliert von Soldaten formen die Kinder aus ihren Fundstücken den Satz: „Hoch lebe Enver Hoxha.“ Anschließend bepinseln sie die Worte mit weißer Farbe, so dass sie weithin leuchten und von Flugzeugen aus gut sichtbar sind.

Ansonsten ist von Albanien nichts zu sehen: schon gar nichts Leuchtendes. Das kleine Land, nicht mal so groß wie Brandenburg, liegt von der Außenwelt abgeschottet in der geistigen Versenkung. Diese Zeit der Abkapselung ist zwar vergangen – doch das Wissen um den Balkanstaat hat sich kaum gemehrt.

Inzwischen ist aus dem kleinen Jungen ein erwachsener, weltoffener Mann geworden: Sprachwissenschaftler und umtriebiger Multikulturarbeiter an der Universität Potsdam. Der Romanist, Germanist und Albanologe Dr. Elton Prifti erzählt mit nachdrücklichen Gesten und übersprühendem Herz – und gibt Albanien ein Gesicht. Er ist schon ganz aufgeregt, wenn er an seinen Vortrag am 30. Januar in der Urania denkt. Es ist das erste Mal, dass seine Wahlheimat Potsdam Interesse an sein einstiges Zuhause zeigt. „Es berührt mich zutiefst.“ Für den temperamentvollen Mann wird dieser Exkurs keineswegs ein Spaziergang, er gibt auch viel Persönliches preis, wenn er über das „Aschenputtel Europas“ berichtet, das ihm die „schönste Kindheit“ bescherte – trotz politischer Enge, die er natürlich instinktiv spürte.

So, als er ein kleines Kreuz, das er von der Oma eines Freundes geschenkt bekam, in Ton nachformte und mehrfach auch für die Kumpels in Blei goss. „Ich war sechs Jahre, und es war mir schon etwas unheimlich dabei zumute.“ Als sein Vater nachts das Kreuz an seinem Hals hängen sah, wurde der Sohn unsanft mit Ohrfeigen aus dem Schlaf gerissen. Der Vater, Universitätsprofessor, wusste um den Sprengstoff des Kruzifixes. Schließlich war jede Religionsausübung per Gesetz verboten. „Priester sind massenhaft ermordet worden, froh waren die, die nur zum Steineklopfen abkommandiert wurden. Ob Moscheen oder Kirchen – die Parteiobrigkeit ließ fast alles platt machen. Schließlich gab es nur eine zugelassene ,Religion’: den Kommunismus.“

Obwohl Albanien inzwischen für Touristen die Tore weit öffnet – was die wenigsten wissen – gibt es noch immer keine objektive Geschichtsschreibung. „Die Archive sind bis heute geschlossen.“ Doch Elton Prifti bemüht sich um Erhellung. Er schwört dabei auf das Buch „Albanien, mein Leben“ von Waltraud Bejko, die in der DDR aufwuchs, beim Studium in der Sowjetunion einen Albaner kennenlernte und über 30 Jahre mit ihm verheiratet in Albanien lebte. „Eine sehr objektive Beschreibung, die ich in meinem Vortrag einbinden werde.“

Elton Prifti hat sich einiges vorgenommen, doch natürlich lassen sich an einem Abend nicht alle Wissenslücken von über einem halben Jahrhundert füllen. Es gibt ja nicht mal den Namen eines Politikers oder Schriftstellers, den man außerhalb Albaniens mit seinem Land verbindet. Selbst, dass Mutter Theresa aus Albanien stammt, wissen die wenigsten, so seine Erfahrung.

Und fürwahr: Wer seinen Blick vom wieder bereisbaren Urlaubsland Montenegro über das gegenüberliegende Adria-Ufer schweifen lässt, verspürt noch immer ein unheimliches Gefühl. Die Schatten Albaniens liegen tief über unseren unerleuchteten Horizont.

Als Elton Prifti 1996 mit einem Stipendium nach Potsdam kam, freute er sich, dass wenigstens einige den Cognac, Marke „Skanderbeg“, und die „Adria“-Zigaretten kannten, „die allerdings in unseren eigenen Läden nicht zu bekommen waren.“ Ein Umstand, der bestens aus DDR-Zeiten bekannt ist. Doch der 31-jährige Albaner wischt alle Vergleiche mit einer rigorosen Handbewegung vom Tisch. „Es gibt keine Parallelen, was die Strenge und Brutalität in diesem Sozialismus angeht. Einen Antrag auf Ausreise zu stellen, hätte bei uns zur Hinrichtung geführt. Schon der Satz: ,Wie lange sollen wir noch Schlange stehen, um Brot zu bekommen’, genügte, um einen Nachbarn für 15 Jahre hinter Gittern zu sperren und seine Familie zu politisch Verfolgten werden zu lassen.“

Die Abschottung seines Landes setzte nach dem Tod Stalins ein, blickt Prifti in die Geschichte zurück. „Als in der Sowjetunion mit Chrustschow der Führerkult zerbröselte, hatte Enver Hoxha, der Stalin Albaniens, Angst vor einem entsprechenden Chrustschow. Es wurden alle Beziehungen zu Russland offiziell abgebrochen und auch zu allen mit Russland verbündeten Staaten, wie der DDR, die nun auch als revisionistisch galten. Nur in China sah man später einen Partner, mit dem man den Sozialismus noch ,pur’ praktizieren konnte. Welche Anmaßung der gerade mal drei Millionen Albaner: Das war, als wenn eine Maus am Meeresufer ihr Nest baut und sagt: ,Ich habe das ganze Meer gemacht’.“ Mit dem Umbruch Chinas und der „Kulturrevolution“ sei auch die letzte Hoffnung auf Demokratie zerstampft worden. China sei auch nicht mehr bereit gewesen, den kleinen „Bruder“ mit Krediten zu unterstützen. „Albanien leuchtete indes tapfer weiter die rote Laterne, ,die die finstere kapitalistische Welt erhellt’, wie es so schön bei uns hieß.“

Als 1985 Enver Hoxha starb, wagte sich Elton Priftis Vater immerhin schon mal mit dem Radio heimlich ins Bad, um „The Voice of America“ zu hören. Doch eine frische Brise wehte noch immer nicht durchs Land. Auch alle kirchlichen Feiertage wie Weihnachten oder Ostern blieben weiter strengstens verboten. „An Eier färben war nicht mal zu denken. Nur heimlich im Stillen feierten wir, denn den Eltern und vor allem Großeltern fehlten natürlich diese Rituale.“

Im Nachhinein könne er jedoch sagen, dass alle politischen Entwicklungen, vor allem die beginnende Perestroika, sich in Albanien in kleinen Zeichen widerspiegelten. Doch noch hieß es weiter anstehen für die zwei Kilo Fleisch, die es pro Monat gab und auf die längst paradox klingende Parole vertrauen: ,Wir müssen nur noch ein bisschen durchhalten, dann sind wir im Paradies''.“ Obwohl reich an Bodenschätzen wie Chrom, Erdöl, Erdgas und sogar Gold musste die Bevölkerung den Gürtel immer enger schnallen.

Alle Kenntnis über die Außenwelt konnte auch dieses, sich selbst isolierte Land nicht vor der eigenen Bevölkerung wegdrücken. „Es gab ja einige Albaner, die im Ausland arbeiteten oder studierten. Und wenn sie wiederkamen, erzählten sie. Wie unser Nachbar, der in China und Schweden war. Als er nach Hause zurück kehrte, sprach er aber zuerst zwei Wochen gar kein Wort mehr, so groß war sein Kulturschock. Die jungen Leute, die im Ausland lebten, schickten Geld zu ihren Familien. Ohne diese ,Sauerstoffmaske’ wäre die schwere Zeit in Albanien nie friedlich verlaufen.“ Auch das Westfernsehen flimmerte begehrliche Bilder ins Wohnzimmer. „Natürlich mussten wir aufpassen, dass der Geheimdienst nicht entdeckte, dass die Antenne in die falsche Richtung zeigte. Aber ich sah Zeichentrickfilme aus Mazedonien und lernte so nebenbei auch die Sprache.“ In seiner an Griechenland und Mazedonien grenzenden Heimatstadt Korçë ließ sich trotz Störanlagen der Empfang nicht verhindern.

Prifti war 15, als das kommunistische Regime gestürzt wurde. Massenhaft wanderten die Menschen aus, holten nach, was sie versäumt hatten. „Inzwischen kehren viele wieder zurück.“

Elton Prifti wird voraussichtlich in Potsdam bleiben. „Ich bin fast elf Jahre hier und es würde mich sehr traurig machen, wenn ich gehen müsste. Wir haben einen sehr großen Freundeskreis. Das ist unser Reichtum.“ Auch seine italienische Frau lernte er in Potsdam kennen, bei einem der von ihm organisierten internationalen Abende „Himmelein“, die ausländischen Studenten das Ankommen in der Fremde erleichtern. „In Potsdam bin ich zudem am Knotenpunkt neuester Erkenntnisse in der Albanologie. Hier kann ich für meinen Sprachraum mehr tun als vor Ort. Leider.“ Was er allerdings vermisst, sei für seine beiden kleinen Söhne die gleiche Sozialisierung, die für ihn die Kindheit so glücklich machte. „Wir waren immer über 20 Kinder, die zusammen auf der Straße spielten. Zwar hatten wir kaum Spielzeug, dafür aber viel Natur und kaum Autos.“ Er schaut aus dem Fenster seiner Babelsberger Wohnung und sieht zugeparkte Bürgersteige. Kein Platz zum Austoben. Deshalb versuche er, seinen älteren Sohn am Nachmitag in der Musikschule einzubinden.

Einmal im Jahr reist Elton Prifti nach Hause zu den Eltern und freut sich, dass sie heute ihr gesundes Auskommen haben, „sicher extrem wenig für europäische Verhältnisse, aber sie sind zufrieden.“ Der umtriebige Mann, der auch das Benefizkonzert „Golm openair“ und „Golm-drin“ initiierte, beklagt, dass die Phase des mangelndes Interesses an Albanien sich weiter fortsetzt. „Man hört in Deutschland nur etwas über Albanien, wenn Unerfreuliches passiert.“ Dabei setze das Land auf Tourismus, kann noch mit den letzten unberührten Stränden am Mittelmeer punkten. Und wurde damit auch schon von 350 000 Urlaubern 2006 erhört. „Entweder man liebt Albanien oder nicht, andere Facetten gibt es nicht. Auf jeden Fall wird man zutiefst berührt sein von der großen Gastfreundschaft. Touristen, die erstmals dort waren, sagen, dass sie nie gedacht hätten, dass Albanien so modern ist, sie kommen mit einem ganz neuen Eindruck zurück.“

Das „Aschenputtel Europas“ schüttelt also seine graue Verkleidung ab und geht selbstbewusst auf die herausgeputzten, möglichen Schwestern der EU zu. Schön, wenn ein Gesicht Kontur bekommt und aus dem Schatten heraus tritt.

30. Januar, 18 Uhr, Urania: Axel Blum im Gespräch mit Dr. Elton Prifti, unterstützt von der Deutsch-Albanischen Freundschaftsgesellschaft und von der albanischen Botschaft. Eintritt 4/erm. 3 €.

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