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Kultur: Besser als ein Geschichtsbuch

Zum Historikerstreit um den Film „Rosenstraße“

Zum Historikerstreit um den Film „Rosenstraße“ Von Jan Kixmüller Erst rief eine Frau: „Ich will meinen Mann zurück“. Dann wagte sich eine andere, dann riefen immer mehr der Frauen vor dem Sammellager mit, bis die private Sehnsucht der Frauen nach ihren jüdischen Ehrenmännern in kollektive Empörung umschlug und alle riefen: „Wir wollen unsere Männer wiederhaben.“ Das langsame Erwachen des Aufbegehrens der nichtjüdischen Frauen ist mit Sicherheit die Schlüsselszene in Margarethe von Trottas Film „Rosenstraße“. Eine tatsächliche Begebenheit aus dem Frühjahr 1943, die der Spielfilm im vergangenen Jahr in die Kinos brachte. Just entbrannte in den Feuilletons ein „kleiner“ Historikerstreit. Belegt ist, dass es spontanen Proteste von Ehefrauen inhaftierter Juden vor dem von den Nationalsozialisten zum Sammellager umfunktionierten jüdischen Wohlfahrtsamt in der Berliner Rosenstraße gab. Belegt ist auch, dass ein Großteil der Gefangenen wieder freigelassen wurde. Allerdings bleibt die Frage, ob der Protest der Frauen dazu geführt hat, oder ob die Freilassung von den Nazis schon vorab geplant war. Der Historiker Jean-Christoph Caron hat nun in der seit diesem Jahr in Potsdam erscheinenden Fachzeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ (siehe auch www.zeithistorische-forschungen.de) die Auseinandersetzung um die historische Authentizität des Films und seine Bedeutung als geschichtliches Medium betrachtet. Geschichtsklitterung wurde dem Film vorgeworfen, vor allem wegen einer fiktiven Szene, in der die Filmfigur Lena Fischer (Katja Riemann) Propagandaminister Goebbels (Martin Wuttke) mit Klavierspiel und weiblichen Reizen schmeicheln will, um die Freilassung der Männer zu erwirken. Der Historiker Wolfgang Benz sieht in dieser erfundenen Handlung eine Verhöhnung und Entwertung des Widerstands der Frauen in der Rosenstraße. Allerdings lässt der Film keine eindeutige Interpretation der „Goebbels-Szene“ zu, Lena Fischers Reaktion auf die Begegnung kann auch so gedeutet werden, dass ihr Versuch am Ende misslang. Unter Historikern haben sich indes zwei Lager gebildet. Die einen sehen es als erwiesen an, dass die Deportation der jüdischen Ehemänner durch Gestapo und SS im Frühjahr 1943 geplant gewesen sei, ihre Freilassung somit Ergebnis des Protestes war; ein Protest, den sich der NS-Staat im Zentrum seiner Macht nicht leisten konnte. Die andere Seite geht davon aus, dass die Inhaftierung „nur“ der Auswahl von Ersatzkräften gedient habe, und die Freilassung der „Mischehen-Partner“ vorab bereits beschlossen gewesen sei. Für den Historiker Jean-Christoph Caron schwankt die Goebbels-Szene zwischen Kunstgriff und Karrikatur, eine Geschichtsklitterung sieht er allerdings nicht. „Angesichts der unsicheren Quellenlage und streitenden Fachwelt zum Eingreifen von Goebbels im Frühjahr 1943 ist es von Trotta unbenommen, anhand von Indizien historischen Plausibilitäten und Erzählkunst zu verflechten“, schreibt der Geschichtswissenschaftler. Tatsächlich hat Goebbels nach dem Besuch eines Ufa-Jubiläums während des Rosenstraßen-Protests am 11. März 1943 rückblickend notiert: „Die Verhaftung von Juden und Jüdinnen aus privilegierten Ehen hat besonders in Künstlerkreisen stark sensationell gewirkt.“ Dass Goebbels während des Ufa-Empfangs auf den Vorfall angesprochen wurde, erscheint Jean-Christoph Caron somit plausibel. Auch die Aussage von Goebbels damaligen Staatssekretär Leopold Gutterer gäbe genug Indizien, um das Eingreifen des Propagandaministers vermuten zu dürfen. So lange aber weitere Dokumente zum genauen Ablauf der Rosenstraßen-Aktion und quellenkritische Analysen der Zeitzeugenaussagen fehlen, bleiben breite Deutungsspielräume. Dem Historienfilm als Medium der historischen Aufarbeitung rechnet Caron ein hohes Potenzial zu. Durch seine Visualität und Personendramaturgie sei er prinzipiell besser geeignet, „zeitgenössische Sozialatmosphären“ zu veranschaulichen, als dies ein Geschichtsbuch vermag. Im Fall Rosenstraße könne der Film ein dichtes Psychogramm eines kollektiven Protests zeichnen. „Und erst die Darstellung der Geschichte des Rosenstraßen-Protests im Film macht deutlich, was es heißt, im historischen Umfeld einer Diktatur Zivilcourage zu wagen“, betont Caron. Schließlich habe es sich gezeigt, dass der Film das Publikum angeregt hat, sich aktiv mit der Geschichte auseinander zu setzen. In Buchläden und im Internet gingen viele Zuschauer nach dem Kinostart von „Rosenstraße“ der Frage nach, welcher Aspekt des Films Fakt war, und welcher Fiktion.

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