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Kultur: Das Ende von Golzow

Zum 70. Geburtstag ein gefragter Regisseur: Winfried Junge kommt ins Filmmuseum

Zum 70. Geburtstag ein gefragter Regisseur: Winfried Junge kommt ins Filmmuseum Von Marion Hartig Filmdosen. Überall Filmdosen. In den Regalen, gestapelt auf dem Fußboden, auf dem Schneidetisch. Die Fenster sind zugehängt. Filmposter an der Wand. Kaffeemaschine, eine offene Tüte Fruchtgummis. Das ist Winfried Junges Reich. Ein Filmarchiv im fast ausgestorbenen Medienzentrum Mitte in Johannisthal, südöstlich von Berlin. Ein Neubau mit grünem Teppich in den Gängen. An den Büros nebenan hängen nur noch Namensschilder, die Räume sind leer. Viel Ruhe für den bekannten deutschen Dokumentarfilm-Regisseur und seine Frau Barbara, die ihn bei seiner Golzow-Langzeitdokumentation unterstützt. Zuerst hat sie das Archiv aufgearbeitet, später auch das Drehbuch mitgeschrieben und Regie geführt. Er hat nicht viel Zeit, sagt der Filmemacher. Er ist gefragt zu seinem 70. Geburtstag. Termine: Kulturradio gestern, dpa morgen, Gespräch in der Akademie der Künste in Berlin am Sonntag. Am Mittwoch ist er zu Gast im Filmmuseum Potsdam. Gezeigt wird kein Golzow-Film, sondern „Wenn jeder tanzen würde, wie er wollte, na?“, eine lustige Dokumentation über eine Tanzschule, meint Winfried Junge über seinen1972 gedrehten Film. Der Regisseur sitzt in einem alten Sessel, scheint sich wohl zu fühlen zwischen den aufgetürmten Golzow-Geschichten. Dabei wird es mit dem Projekt bald ein Ende haben. Die Junges sitzen an Film Nummer 19, der wahrscheinlich letzten Folge der weltweit längsten Film-Chronik. 44 Jahre hat der Regisseur Schüler von Golzow begleitet, vom Einschulungstag bis heute. Bei den aktuellen Aufnahmen, die er in Nummer 19 mit Archivmaterial verwebt, sind seine Protagonisten fast 50 Jahre alt. Junge reist weit umher, um sein Werk vorzustellen. Zuletzt war er in Bologna, dort soll ein Biografie-Film- Festival eröffnet werden. Neben der Golzow-Dokumentation hat er 35 andere Filme gedreht. Die Lebensgeschichten aus Golzow aber sind das einzige, was wirklich von ihm bleibt, sagt er. Jeder Film war für den Regisseur ein neues Thema. Golzow-Überdruss habe es nie gegeben. Sondern nur die Neugier, was aus den Kindern, den Jugendlichen, den Erwachsenen wird, ob ihr Leben in die Richtung geht, die er erwartet hat. Denn: Die mit den Einsern in der Schule meistern ihr Leben nicht unbedingt besser als die Träumer. Das ist auch in Golzow nicht anders, erzählt Junge. Könnte er die Zeit zurückdrehen, würde er mit den Menschen in seiner Geschichte vorsichtiger umgehen. Das hat er nach und nach gelernt, als die Kinder keine Lust mehr hatten, vor die Kamera zu treten. Manchmal, wenn die Fördergelder für einen neuen Film fehlten, fuhr er ohne Filmteam nach Draußen. Um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Dass seine Filme vom DDR-Staat zur Volksaufklärung eingesetzt wurden, zur Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft, störe ihn nicht. „Ich hab mich für keinen Film verbogen“, sagt der Regisseur. Er habe es ehrlich gemeint, helfen wollen, eine bessere Welt aufzubauen. Als die Kinder in die Pubertät kamen, musste er allerdings im Film-Kommentar Sätze der Jugendlichen ausbügeln, die nicht in das Konzept der Partei passten. Doch Junge ist Pragmatiker. Er akzeptierte lieber kleine Veränderungen, so dass die Zensur seine Filme durchgehen ließ. „Besser als sie im Keller verstauben zu lassen.“ Nach der Wende konnte er, anders als viele seiner Ost-Kollegen, einfach weiterarbeiten. Eine Chronik kann man nicht ohne Weiteres abbrechen, sagt der Regisseur. Zumal gerade nach 1990 ein spannender Bruch in den Biografien zu erwarten war, die Helden seiner Geschichte mussten sich neu orientieren. Jetzt laufen die Dokumentationen im Fernsehen – und nur noch selten im Kino. Der Verleih bemühe sich nicht genug, meint der Regisseur. Über das Fernsehen würden aber immerhin viele Westler die Golzow-Studie kennen lernen. Die Ostler dafür zu interessieren sei leichter, sie würden wissen wollen, wie die Geschichten von damals weitergehen. Nach Nummer 19 wird Junge erst einmal tief durchatmen und seinen Lebensabend genießen. Keine Filme mehr. Zumindest solange nicht, bis ihm ein Thema quasi vor die Füße fällt. Das zieht er dann allein durch, ohne viel Technik. Für solche Notfälle hat er noch eine digitale Kamera im Regal. Die Filmdosen von Golzow werden indes in das Bundesfilmarchiv wandern. Mi, 20 Uhr, Filmmuseum

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