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Der gehörlose Oscar-Preisträger Troy Kotsur ist einer der Stars beim ersten Della-Filmfestival in Potsdam-Babelsberg.

© Andreas Klaer

Kino in Gebärdensprache: Oscar-Gewinner Troy Kotsur und Filmstars bei Della Award in Potsdam

Beim Della Award im Babelsberg laufen bis 11. November Filme mit gehörlosen Stars wie Tory Kotsur, John Maucere und Anne Zander. Wie sie Filmdrehs erleben und warum auch Hörende zum Festival gehen sollten.

Stille im Thalia-Kinosaal. Leise Hintergrundmusik, ab und zu ein kaum hörbares Lachen. Auf der Leinwand erzählt Oscar-Preisträger Troy Kotsur mit seinen Händen, wie sein Vater ihn bestärkte, Schauspieler zu werden. Seine Gebärden sind untertitelt.

Der US-Amerikaner ist gehörlos, genauso wie der Großteil des Publikums im Thalia, wo am Freitag (10.11.) und Samstag das Della-Festival stattfindet. Beim Abspann des Dokumentarfilms „To my Father“ über Troy Kostur, gedreht von Troy Kotsur, reckt das Publikum schüttelnd die Hände in die Höhe, die Gebärde für Applaus.

Applaus für die Gehörlosen-Doku „To my Father“ von Troy Kotsur.
Applaus für die Gehörlosen-Doku „To my Father“ von Troy Kotsur.

© Andreas Klaer

Genauso applaudierte die Filmbranche im März 2022, als Troy Kotsur für das Drama „Coda“ mit dem Oscar als bester Nebendarsteller und damit als zweiter gehörloser Schauspieler jemals ausgezeichnet wurde. „Niemals in einer Million Jahre habe ich damit gerechnet, einen Oscar zu gewinnen“, erzählt der 55-Jährige in Potsdam. Er ist einer der Stars beim Della in Potsdam-Babelsberg, einem der ersten internationalen Filmfestivals für gehörlose Filmschaffende.

Troy Kotsur und Anne Zander.
Troy Kotsur und Anne Zander.

© Andreas Klaer

US-Stars erzählen von Herausforderungen am Set

Bekannte, gehörlose Filmgesichter aus Deutschland, Spanien, Frankreich und den USA sind angereist, darunter „The Walking Dead“-Schauspielerin Lauren Ridloff und „Deaf U“-Produzent Nyle DiMarco. Am Vorabend des Festivals erzählen sie, wie sie Drehs erleben. „Die meisten Skripte sind nicht für Gebärden geschrieben“, sagt Schauspieler Nyle DiMarco. Das Übersetzen des Skripts in Gebärden sei die größte Herausforderung beim Schauspielern.

„Am wichtigsten sind Dolmetscher, die durchgehend da sind und die alles mitbekommen, was der Regisseur sagt“, so Benjamin Piwko, bekannt aus „Tatort“, „Let’s Dance“ und „Du sollst hören“. Sie übersetzen, wenn plötzlich der Dreh aufgrund von Beleuchtung oder anderer Umstände stoppt.

„Wir haben dem Team jeden Tag eine Gebärde beigebracht“, berichtet Shoshannah Stern, bekannt aus den US-Serien „Supernatural“ und „Grey’s Anotomy“. Zum Beispiel Geh nach links, geh nach rechts, Cut. „Das hilft beim Timing. Wir waren immer pünktlich fertig.“

Viele Gäste wollen ein Autogramm und ein Gespräch mit Troy Kotsur.
Viele Gäste wollen ein Autogramm und ein Gespräch mit Troy Kotsur.

© Andreas Klaer

Oscar-Gewinner Troy Kotsur sagt, dass das Team vor Drehbeginn Gebärden üben sollte. „Während des Drehs muss man darauf achten, dass die Gebärdensprache im Film gut zu sehen ist“, so der Schauspieler. Der 55-Jährige kennt beide Seite. In der Doku „To my Father“ führte er Regie. „Wenn du ein gehörloser Regisseur bist, ist jemand anderes für den Ton zuständig“, berichtet er. Ein hörender Regisseur müsse mehr aufs Bild achten.

Film und Fernsehen werden diverser

Was er dem Filmstudio Babelsberg rät, um mehr gehörlose Schauspieler einzubinden, will jemand wissen. „Experimentiert und werdet miteinander vertraut“, sagt Troy Kotsur. Für ihn fühle es sich in der Filmbranche derzeit nach einem Wendepunkt an.

Auch der deutsche Film verändere sich, sagt Schauspielerin Anne Zander. Seit drei Jahren finde mehr Diversität statt. Sie spielt in „Du sollst hören“, zu sehen beim Della, eine der Hauptrollen. Zugleich berichtet sie, dass die Ausbildung an einer klassischen Schauspielschule anstrengend sei und Gehörlose seltener besetzt werden.

Anne Zander beim Della-Filmfestival in Potsdam.
Anne Zander beim Della-Filmfestival in Potsdam.

© Andreas Klaer

Ihre Mitstreiter fordern diversere Rollen, auch mal gehörlose Bösewichte oder gehörlose Komödien, und mehr gehörlose Drehbuchautoren und Filmmacherinnen. „Unsere gehörlose Community ist klein, wir brauchen ein globales Netzwerk“, sagt der US-Schauspieler John Maucere. Er ist gleich für zwei Della Awards, die am Sonnabend in zehn Kategorien verliehen werden, nominiert. Als Regisseur des Kinderfilms „No Ordinary Hero“ mit stummem Superhelden, und als Hauptrolle in „What?“, der von der Diskriminierung in der Filmbranche handelt.

Ein Festival für Gehörlose und Hörende

Am Freitagmittag stehen mehrere Schulklassen Schlange, um ein Autogramm oder Selfie mit dem US-Schauspieler zu ergattern. Manche tragen Hörgeräte, alle unterhalten sich mit Gebärden.

Schulkinder stehen für ein Autogramm von US-Schauspieler John Maucere Schlange.
Schulkinder stehen für ein Autogramm von US-Schauspieler John Maucere Schlange.

© Andreas Klaer

„Wir zeigen, was wir alles können. Auch Gehörlose können Filme machen“, sagt die 27-jährige Loredana Boncot. Sie ist mit Freunden aus Baden-Württemberg angereist und genießt es, so viele Gehörlose zu treffen. Für die Rumänin ist es das erste Mal im deutschen Kino, denn „in Deutschland gibt es fast keine Untertitel“, gebärdet sie.

Auch Anke Ottmann hat sich aus Neugierde ein Ticket gekauft. Sie sehe Filme oft mit Untertiteln. In Gebärdensprache und mit gehörlosen Charakteren gefallen ihr Filme noch besser. „Es ist interessant, die internationale Filmwelt zu sehen“, gebärdet die Besucherin aus der Nähe von Hamburg.

Das Publikum im Thalia unterhält sich in Gebärdensprache.
Das Publikum im Thalia unterhält sich in Gebärdensprache.

© Andreas Klaer

Das Festival sei aber nicht nur für Gehörlose, sondern auch für Hörende, sagt Christina Schönfeld. Drei Jahre lang hat die Chefin des Zentrums für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen in Berlin/Brandenburg (ZFK) den Della Award organisiert. Die Filmgespräche im Thalia und die Panelrunden im Studio Babelsberg werden gedolmetscht, die 80 verschiedenen Lang-, Kurz- und Dokumentarfilme von, mit und über Gehörlose sind untertitelt.

„Uns ist es wichtig, ein Netzwerk aufzubauen. Nicht nur in Potsdam oder Deutschland“, sagt Schönfeld. Ihr Traum: „So einen Film wie ‘Coda’ hätte ich gern für Deutschland.“ Die Star-Besetzung dafür ist schon in Potsdam.

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