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Von Heidi Jäger: Die letzte Sommersonne

Das Filmmuseum widmet derzeit dem Regisseur Dominik Graf eine Filmreihe / Am Samstag kommt er zum Gespräch

Auch bei der sechsten Wiederholung schreit Arved Birnbaum seine Wut in ungeminderter Kraft heraus. „Gefangenenflucht – bei uns?“ brüllt er als Kommissar seine Polizei-Kollegen an, die einen Verbrecher beim Verhör entkommen ließen. Regisseur Dominik Graf feilt mit heiterer Gelassenheit an der Einstellung im „LKA“, findet lobende Worte für die konzentriert arbeitenden Schauspieler. Man spürt an seiner aufmunternden Art, dass er selbst schon vor der Kamera stand.

Seit Mai 2008 dreht der Münchner an dem großangelegten achtteiligen ARD-Krimi „Im Angesicht des Todes“: ein in Berlin spielendes Familiendrama um organisiertes Verbrechen, das seine Ausläufer bis nach Polen und in die Ukraine hat. Immer wieder greift Dominik Graf ins Krimifach und ist sich dabei keineswegs für’s Fernsehen zu schade. 13 Mal ermittelte „Der Fahnder“ in seiner Regie, auch den „Polizeiruf 110“ führte er mit dem „Scharlachroten Engel“ in ungeahnte Abgründe.

Die jetzt im Potsdamer Filmmuseum laufende Reihe „Filmemachen in Deutschland“ zeigt 13 seiner rund 50 Fernseh- und Kinoarbeiten. „Der Titel hört sich allerdings ein bisschen an wie ,Braunkohleabbau in der Lausitz’“, witzelt der kurzgeschorene, sportive Filmemacher, der sich in einer Drehpause in der leergezogenen Alliierten-Kaserne in der Clayallee aufgeschlossen den Fragen stellt. Er freue sich über diese Retrospektive, die ja wohl noch kein Alterspreis sei und auch nicht bedeute, dass man genug von ihm habe. Der 56-Jährige scheut keineswegs den Blick zurück. „Ich schaue mir öfter ältere Filme von mir an, gerade Krimis, die ähnliche Motive haben. Meine Autoren, mit denen ich immer wieder zusammen arbeite, stellen mich gern vor ähnliche Probleme. Da lässt sich gut aus Fehlern lernen.“

So oft wie Graf für seine Werke gelobt und prämiert wurde, so oft wurde er auch gescholten. Doch die Hoffung auf das, was rauskommt, gebe ihm immer wieder eine wahnsinnige Energie. „Auch wenn es mal wieder nicht so gut wird. Aber das Drehen hat für mich eine innere Motorik: Manchmal mache ich Filme wegen drei, vier Szenen, von denen ich glaube, die Menschheit muss sie unbedingt sehen.“

So wie bei „Deutschland 09“, ein Episodenfilm, in dem namhafte Regisseure wie Fatih Akin, Wolfgang Becker, Nicolette Krebitz, Tom Tykwer oder Hans Weingartner ihre ganz eigenen Geschichten erzählen. „Es ist eine Bestandsaufnahme, der Status quo, und beschreibt, wo wir gerade sind, was uns weh tut, was eine Chance haben könnte.“ Graf lässt in seinem Beitrag die Architektur sprechen: Mietshäuser im alten Westdeutschland, die kurz vor dem Abriss stehen, weil sie dem Bedürfnis nach Luft, Licht und Modernität nicht zu genügen scheinen. „Die Häuser erleben ihre letzte Sommersonne und verdeutlichen eine bestimmte Nutzlosigkeit.“ Ein Bild, das Graf durchaus auch auf Menschen beziehen möchte. Er belässt die dokumentarischen Aufnahmen, denen er einen eigenen Text unterlegt, im Westen. „Davon verstehe ich mehr.“

Als die DDR zusammenbrach, drehte er mehrfach auch Filme über das ihm fremde untergegangene Land, „über die Leute, die zu kurz gekommen sind.“ „Beim ,Roten Kakadu’, der in der Zeit des Mauerbaus spielt, nahm ich absichtlich die westliche Sicht auf die DDR ein, projizierte meine eigenen Dinge hinein. Als die DDR gegründet wurde, trat sie in Abgrenzung zu der noch immer braun durchzogenen BRD dazu an, das bessere Deutschland zu sein. Als die Mauer gebaut wurde, trug sie diese Hoffnung zu Grabe. Doch es gab diese Utopie DDR. Wann sie zu Ende ging, muss jeder für sich selbst entscheiden.“ Für Dominik Graf gibt es noch immer zwei Deutschlands. Aber nicht den Osten und Westen, „sondern ein Land, in dem Gerechtigkeit herrschen könnte und dem, in der machthungrige Bonzen regieren.“

Auch sein 2006 mit dem Grimme-Preis ausgezeichneter Krimi „Eine Stadt wird erpresst“ erzählt von persönlicher und kollektiver DDR-Vergangenheit, von Solidarität. „In Krimis geht es nicht nur um verderbliche, schreckliche Sachen, sondern auch um Lebenslust, gerade an der Grenze zwischen Leben und Tod. An den Übergängen zwischen körperlicher Gewalt und Sinnlichkeit: da fühle ich mich zu Hause. Fast alle Figuren in meinen Filmen balancieren am Abgrund und haben Freude daran.“ Da sei es egal, ob es sich wie bei „Das Gelübde“ um eine stigmatisierte und heilig gesprochene Nonne handelt, deren Visionen der romantische Dichter Brentano festhielt, oder um einen Bankräuber, den Götz George vor 20 Jahren in „Die Katze“ spielt: „Bei allem interessiert mich allein die Intensität der Figuren, die auf der Kippe stehen. Und manchmal sind die engen Räume, in denen sie agieren, wie Höhlen, in denen sich die ganze Welt spiegelt.“

Der Lebensgefährte von Regisseurin Caroline Link bekennt, dass ihm die Anerkennung für seine Arbeit durchaus wichtig sei. „Gerade wenn man schon nicht massenhaft das Publikum erreicht, helfen wenigstens Preise, dass man im Gedächtnis bleibt.“ Doch ein Film sei kein Flop, weil der Kassenerfolg ausbleibt. „Oft haben es gerade gute Filme schwer beim Publikum.“ Schmerzhaft sei es nur, wenn Sachen der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Da tritt Dominik Graf die Flucht nach vorn an, dreht eben für das Massenmedium Fernsehen, das er per sé nicht als flach und trivial abstempeln lassen will. „Gerade derzeit wird behauptet, dass das Fernsehen das Kino beschmutzt. Es wird dafür verantwortlich gemacht, dass Kinofilme wie die Buddenbrooks oder der Baader Meinhof Komplex, die als amphibische Filme fürs Fernsehen und Kino produziert wurden, nicht den höchsten Ansprüchen genügen. Es gab schon immer im Kino wie Fernsehen eine Menge Mist. Das liegt aber an den Stoffen und an den Regisseuren. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat sich auf perfide Weise verändert, das ist unbenommen. Aber es gibt dort durchaus tolle Redakteure und Chefs, die sich bemühen und nicht alles falsch und blöd machen.“ Und so fühlt sich Dominik Graf auch nicht von der Medienschelte Marcel Reich-Ranickis angegriffen. Getragen vom eigenen Anspruch dreht er weiter an dem Krimi-Mehrteiler, der Anfang 2010 in die Wohnzimmer flimmert. Und erneut schreit Arved Birnbaum als LKA-Kommissar seine Wut heraus – bis die letzte Klappe fällt.

Am 17. Januar läuft im Filmmuseum Das Gelübde, Eine Stadt wird erpresst, Der scharlachrote Engel und Der Fahnder – Nachtwache. Gegen 19. 30 Uhr gibt es ein Gespräch mit dem Regisseur.

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