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Das 11-line-Duo Giancarlo Arcieri und Lars Kaiser.

© Andreas Klaer

Kultur: Die Welt ein bisschen besser machen

Im Galerie Caffé 11-line gibt es Literatur und Tischtennis, Theater und Massagen: Eine Oase gegen den Konsum- und Geschwindigkeitsrausch

In der Vitrine am Tresen liegen die Mauerbilder des Berliner Malers Olaf Hoffmann direkt neben dem Apfelkuchen. Gutes Essen und Kultur sind im Galerie Caffé 11-line nicht voneinander zu trennen. Die vor einem halben Jahr eröffnete Freigeist-Oase ist für die beiden Begründer Giancarlo Arcieri und Lars Kaiser wie ihr ausgelagertes Wohnzimmer. „Nachdem wir älter geworden sind und Frau und Kinder haben, waren die langen Nächte mit Kunstgefährten in der heimischen Stube nicht mehr machbar“, sagt Lars Kaiser, der seinem Freund aus Neapel in keinster Weise im Temperament nachsteht. Der italienische Journalist und Autor von Novellen und Erzählungen ist inzwischen zum Geschäftsführer avanciert und sorgt neben korrekter Buchführung für frischen Büffel-Mozzarella aus der Heimat. Seine Frau hat ihn vor drei Jahren mit in ihre Heimatstadt Potsdam „verschleppt“, die ihm als Großstädter zwar manchmal etwas klein erscheint, in der er aber seine Leidenschaften leben kann. Und dank Easy Jet ist Neapel ja gleich um die Ecke.

Die beiden Mitt-Dreißiger verstecken sich nicht hinterm Tresen, sondern fahren neben Pasta und Cappuccino einen feinen Kulturmix auf. Da werden jeden Montag Bilder abgehängt, um Künstlerfilme an die Wand zu werfen. Dienstags wird bis nach Mitternacht durchgejazzt, scharen sich um Hausmusiker Sebastian Kommerell und Helge Sauer andere Musikanten zur Session. Und auch zufällig reingeschneite Gäste bekommen schon mal eine Rassel in die Hand gedrückt, „denn bei uns soll keiner anonym bleiben“. Das italienische Lebensgefühl des Zusammenrückens will ganz bewusst die deutsche „Tugend“ des Sich-Abschottens aufbrechen. „Bei Giance hat keiner eine Chance, sich einzuigeln.“ Es werde aber auch niemand zur Geselligkeit gezwungen.

Inzwischen macht das quicklebendige „Wohnzimmer“ stadtweit von sich Reden. Gern greifen auch andere Kultureinrichtungen auf das Angebot von „11-line“ an der Ecke Elflein-Straße/Charlottenstraße zurück, mietfrei den Ort für eigene Veranstaltungen zu nutzen. Den Genuss des fairen Mietpreises, den das deutsch-italienische Männerduo durch Einnahmen des Cafés gut stemmen kann, reichen sie gern weiter. So an das Frauenzentrum für Prima-Donna-Kulturveranstaltungen oder an das Literaturkollegium, das am kommenden Freitag zu einer Lesung mit Christa Kozik, René Schmidt und Gabriele Thiere einlädt.

Um die Ausstellungen kümmert sich der umtriebige Kunstagent Lars Kaiser selbst. Er hat sich ausschließlich auf realistische Darstellungen eingeschworen und zeigt derzeit seinen Lieblingsmaler Olaf Hoffmann, dem er auch schon Aufträge für Filme vermittelte. So für „Operation Walküre“, für die Hoffmann diverse Hitler-Porträts malte. „Ich möchte im 11-line Bilder zeigen, auf denen man das Handwerk sieht“, so Lars Kaiser, der Ausstellungen in ganz Deutschland organisiert und seit Jüngstem auch das Lendelhaus in Werder mit betreut und havelländische Künstler präsentiert.

Auch er selbst kommt vom Handwerk, arbeitete viele Jahre als Stuckrestaurator in Berlin. „Dabei habe ich so viel Geld verdient, dass ich die ganze Welt bereisen konnte“, erzählt der Potsdamer, der in seinem Redefluss kaum zu bremsen ist. Als er für längere Zeit in Brasilien bleiben wollte, kündigte er. „Wieder in Deutschland zurück, wollte ich ein Hängematten-Handel eröffnen, doch mein Ex-Chef kam mir zuvor, holte mich wieder in sein Boot und warf mir fast noch eine Galerie hinterher.“ Die eröffnete er im Prenzlauer Berg mit eigenen plastischen Arbeiten.

Inzwischen stellt Lars Kaiser sein Organisationstalent in den Dienst anderer Künstler und deren Zahl ist auf rund 80 angewachsen. Der 35-Jährige vermittelt sie über seine Agentur „kunsttick.com“ an Galerien und lässt sie zudem kleine Bilder für seine Kunstautomaten malen, die es in Potsdam bereits zehn Mal gibt. Für zwei Euro kann man daran ein Original in einer Zigarettenschachtel ziehen – die wiederum von behinderten Menschen in der Diakonie Potsdam zusammengeklebt werden: für 10 Cent das Stück.

„Künstler haben keine abgedrehten Wünsche. Sie wollen nur die Welt ein bisschen besser machen, aber auch ihr Leben bezahlen können“, sagt Lars Kaiser. Für ihre Automaten-Bilder können die Künstler im 11-line auch kostenfrei einen Kaffee schlürfen. Inzwischen gebe es schon Sammler der Automaten-Miniaturen, bei denen man zwangsweise auch neue Künstler kennenlernt, denn keiner weiß , was in den Schachteln steckt. Darin verbergen sich u.a. auch so bekannte Potsdamer Maler wie Christian Heinze, Alfred Schmidt, Menno Veldhuis oder Thomas Kahlau. Genommen werden nur Künstler mit Hochschulabschluss oder besonderer Begabung. Einmal durch den „TÜV“, haben sie dann alle Freiheiten, ihre Schachteln zu füllen.

Auch das „11-lein“ soll mit immer neuen Ideen gespickt werden. „Ich bin hartnäckig, wenn ich mich in etwas verbissen habe. Und ich gedenke, noch die nächsten 30 Jahre hier zu sein.“ Am liebsten an der Seite von Giancarlo , vielleicht mit einem zweiten Standbein in Neapel. Die Freunde wollen dem Kapital- und Temporausch etwas Bodenständiges, Kreatives entgegensetzen. Und dazu ist das ausgelagerte „Wohnzimmer“ eine gemütliche Alternative, wo es auch Massagen, Italienischkurse und Stepptanz gibt. In einen Temporausch gelangt man nur mittwochs beim Tischtennis auf Chinesisch. Dort schlagen sich Asiaten, Russen, Araber und Deutsche die Bälle zu. Später wird gemeinsam gekocht: als nächstes vietnamesisch. Mit Kultur als bester „Garnitur“. Heidi Jäger

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