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Kultur: Drüber und doch mitten drin

Große Begeisterung für Dresens „Sommer vorm Balkon“, der im Thalia seine Voraufführung hatte

Am Ende stehen sie alle neben ihm auf der Bühne: Autor, Schauspieler, Kameramann, Dramaturgin, Kostümbildnerin, Musikverantwortlicher, Produzent – die ganze Filmfamilie. Und Andreas Dresen strahlt. Sein Heimspiel in Potsdam ist gewonnen, auch dank seiner Mannschaft. Obwohl er mit seinem neuen Film „Sommer vorm Balkon“ bereits auf internationalen Festivals Preise abräumte – in San Sebastian für das beste Drehbuch, in Chicago für die zwei besten Hauptdarstellerinnen – ist er vor der Potsdam-Premiere sichtlich angespannt. „Ich bin immer wieder aufgeregt, wenn so viele Leute ins Kino kommen und neugierig, ob sie an den richtigen Stellen lachen oder traurig sind. Es steckt ja doch ein großes Stück Herz drin und da wünscht man sich nichts sehnsüchtiger, als dass die Zuschauer ähnlich empfinden.“

Und sie taten es. Wieder ist es Andreas Dresen gelungen, das pralle Leben einzufangen, mitten hinein zu pieken in die ganz normalen Probleme, mit denen sich jeder herum schlägt. Die Vorlage von Wolfgang Kohlhaase gab ihm dafür den besten Kompass: Er führt in aufreibende Existenzängste, in das Abseits alter Menschen, in die immer währende Sehnsucht nach Liebe und menschlicher Wärme. Doch bei Dresen wiegt alles leichter, kann man plötzlich auch über Einsamkeit lachen.

Erzählt wird die Geschichte von Katrin (Inka Friedrich) und Nike (Nadja Uhl). Wenn sie abends auf dem Balkon ihren Wein schlürfen, sind sie ausgelassen wie junge Hühner. Sie flirten per Telefon und möchten die ganze Welt umarmen. Doch „Sommer vorm Balkon“ ist keine flirrende Alltagsgeschichte. Katrin ist seit drei Jahren arbeitslos. Schon der Wunsch ihres Sohnes nach den besten Turnschuhen – mit denen er seiner Flamme in die Arme rennen möchte – bringt sie in arge Bedrängnis. Die Bewerbungsgespräche werden immer frustrierender, auch ein Mann ist nirgends in Sicht. Am leichtesten lässt sich dieses Dilemma im Alkohol ertränken: bis sie plötzlich kurz vor dem Abgrund steht.

Die flotte Nike mit ihren aufreizendem Tangaslip und tiefen Dekolleté verdient ihre Brötchen in der Altenpflege. Mit gekonnter Routine schmeißt sie schnell den Haushalt, wäscht und windelt die alten Leute. So bleibt noch etwas Zeit, um mit ihnen zu erzählen oder vorzulesen. Doch auch Nike ist ausgehungert nach Liebe, und als schließlich der ach so coole Ronald (Andreas Schmidt) mit seinem Truck in ihr Leben fährt, hält sie ihn mit beiden Armen fest. Doch dieser Schwerenöter parkt auch gern in anderen Betten. Nike gibt ihm schließlich angewidert und zugleich tieftraurig den Laufpass, nachdem er auch auf Katrin sein Auge wirft.

Am Ende sind die Frauen wieder allein auf ihrem Balkon und essen die inzwischen reif gewordenen Tomaten, die Ronald zu Sommerbeginn in die Balkonkästen gesetzt hat. Kein Happyend. Was kommt ist der Herbst. Wird er eine neue Hoffnung heran wehen?

Nichts wird in diesem Film beschönigt oder zugekittet und doch gibt es immer wieder auch viel zu lachen. Vor allem über die wunderbaren Dialoge, die alles auf den Punkt bringen. Schön, wenn die hochbetagte, schrullig-sympathische Helene (Christel Peters) in den Spiegel schaut und sagt: „Ach wäre doch mein Gesicht noch so glatt wie mein Hintern“, und Nike in ihrer offenen Art nur erwidert: „Dann haben Sie aber lange nicht mehr ihren Hintern gesehen.“

Gekonnt lässt Dresen immer wieder auch reale Sequenzen einfließen, die er mit Laien drehte: mit einem echten Bewerbungstrainer, der Chefin einer Sozialstation oder der Ärztin in der Entzugsklinik. Und der Film ist auch ein Stück Berlin, die Kneipe um die Ecke, die S-Bahn-Schlucht, das raue, aber herzliche Klima. „Berlin ist mir immer lieb gewesen“, sagt Wolfgang Kohlhaase, der schon mit „Solo Sunny“ und „Berlin – Ecke Schönhauser“ seiner Heimatstadt eine Liebeserklärung gemacht hat. „Auch für dieses Buch musste ich meine Stimme nicht verstellen“, sagte er im Filmgespräch mit Knut Elstermann. „Wenn du Geschichten erzählen willst, musst du dir welche anhören.“ Kohlhaase ist ein guter Zuhörer und ein pointierter Schreiber. Das wusste Andreas Dresen natürlich zu schätzen und so hielt er sich zum Teil ganz präzise an den Text. „Ab und zu haben wir aber auch ein Tor aufgestoßen, um zu gucken, was sonst noch möglich ist.“

Und mit seiner Traumbesetzung, die bis in die kleinste Rolle überzeugt, ließ sich da einiges anstellen. Nadja Uhl kennt Dresen schon aus ihrer Zeit vom Hans Otto Theater, „wo sie als Gretchen im Fass auf die Bühne rollte. Ich liebe ihre Schnoddrigkeit und Verletzlichkeit.“ Mit Inka Friedrich arbeitete er bereits bei „Willenbrock“ zusammen. „Ihre Warmherzigkeit und Melancholie passte bestens zu Katrin. Für Inka Friedrich war es eine Riesenmesslatte, diese Frau zu spielen, vor allem ihr Alkoholproblem glaubhaft zu machen. Um sich besser einfühlen zu können, las sie die Biografie von Katrin Sass, sprach mit den Anonymen Alkoholikern.

„Es ist nicht immer einfach, seinen Arsch von morgens bis abends zu retten. Aber dann ist da jemand, der hält dir für einen Moment die Hand,“ sagt Andreas Dresen zu seiner Tragikomödie. „Sommer vorm Balkon“ erzählt von den vielen Auf und Abs. Am Ende gibt es für jeden Zuschauer Sonnenblumensamen für den eigenen Balkon – auf dem man so schön drüber sitzt. Aber doch mitten drin ist.

Die Kinopremiere ist am 5. Januar.

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