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Kultur: Eine Lesung als Personality-Show

Sarah Kuttner las in Potsdam und bewies vor allem durch ihre Spontaneität, dass sie dem Fernsehen fehlt

„So Leute, ihr könnt jetzt reinkommen.“ Die lautstarke Aufforderung hörte sich ein wenig nach Weihnachtsbescherung an. Und es wurde auch ein Abend voller Geschenke bei der Lesung der Moderatorin und Autorin Sarah Kuttner am Freitagabend in der Schinkelhalle.

Es ist die zweite Lesetour der einstigen Viva- und MTV-Moderatorin, die sie in den kommenden Wochen durch Deutschland führt und am Freitag in Potsdam startete. Die Kolumnen für die Zeitschrift Musikexpress und die Jugendseite der Süddeutschen Zeitung erschienen bereits im Februar diesen Jahres in Buchform – unter dem bedeutungsvollen Titel „Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart“. Es sind Alltagsbetrachtungen, Kurzweiliges zu aktuellen Dingen wie Wetter, Politik und Musik, das Sarah Kuttner von sich gibt. Und eben nun vorlas. Dazu gab es gut Abgehangenes aus zwei Jahren „Sarah Kuttner Show“, kleine Einspielfilme aus Kuttners eigener Show.

Etwas verunsichert wirkte die Schnellsprech-Berlinerin, die nach fast einem Jahr Bühnenabstinenz wieder mit eigenen Inhalten auftrat. Alten Inhalten, schließlich ist der Großteil der Texte aus dem vergangenen Jahr datiert, das Filmmaterial zwischen 2004 bis 2006 entstanden. Das Publikum in der nicht ganz ausverkauften Schinkelhalle störte dieser Umstand nicht, für sie war der erste Live-Auftritt Sarah Kuttners nach langer Zeit bereits ein Geschenk – auch wenn das nicht unbedingt an der Stärke der Texte lag.

Die sind, ohne es abwerten zu wollen, hervorragende S-Bahnlektüre. Für zwanzig Minuten Fahrt der perfekte Zeitvertreib, für eine intensivere Auseinandersetzung jedoch meist zu belanglos. Ausnahmen bestätigen die Regel, wie zum Beispiel Kuttners Kolumne über das „System Fernsehen“, in der sie sich kurz nach dem Aus ihrer Show ernst und gelungen mit der Qualität der deutschen TV-Landschaft auseinandersetzt. Doch in über zwei Stunden Lesung entlarvt sich – bei aller Liebe für Wort- und Gedankenspiele – das Schema, mit dem Sarah Kuttner insbesondere die Fragen der Süddeutschen Zeitung beantwortet, ziemlich schnell. Unterhaltsam blieb es trotz allem, weil es die Interaktion mit dem Publikum gab, sich Kuttner zum gemeinsamen Lesen Zuschauer auf die Bühne holte. Die sie - und da kam erneut die Bescherung ins Spiel – aus ihrem Privatfundus reich beschenkte.

Es waren genau jene Momente, in denen Sarah Kuttner wirklich brillierte, wenn sie mit dem Publikum spontan interagierte, frei von der Leber weg über Erlebnisse auf Jugendmessen referierte, sich mit Zuschauern über Lieblings-Frauenvornamen unterhielt oder zwischendurch den Bierkonsum einzelner Gäste thematisierte. Dann, wenn Kuttner ohne Textvorlage und doppelten Boden unterwegs war, wurde es schmerzlich deutlich, wie sehr die Berlinerin mit der ehrlichen und direkten Sprache in der Medienlandschaft der dauer-schmeichelnden und -grinsenden Pilawas und Kerners fehlt.

Doch gab es ein auf der Lesung durch Sarah Kuttner zumindest selbst angekündigtes Geschenk, was bereits verpackt auf dem Gabentisch liegt und am 11. November aufgerissen werden darf: Dann sind Sarah und Vater Jürgen mit ihrer neuen Show „Kuttner & Kuttner auf Radio Eins zu hören. Kay Grimmer

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