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Regisseur Lutz Pehnert und Laudatorin Marion Brasch bei der Verleihung der „Clio“ 2022 im Filmmuseum Potsdam.

© Andreas Klaer

„Es geht um Kenntnisnahme, vielleicht auch Anerkennung“: Lutz Pehnert über den Umgang mit der DDR

Der Potsdamer Filmpreis „Clio“ ging in diesem Jahr an Regisseur Lutz Pehnert für sein Filmporträt „Bettina“. In seiner Dankesrede wurde er grundsätzlich.

Der Tag der Deutschen Einheit geht stets mit einer gewissen Ratlosigkeit einher. In diesem Jahr wird er ohne offizielle Feierlichkeiten an Potsdam vorüberziehen. Die muss es vielleicht auch nicht geben, aber Tatsache ist: Zu 32 Jahren vereinigtem Deutschland fällt der Stadt Potsdam (und nicht nur der) nicht viel ein.

So fällt der Blick umso begieriger auf Menschen, die doch etwas dazu zu sagen haben, Menschen wie Lutz Pehnert. Der Regisseur wurde am Freitagabend (30.9.) im Filmmuseum mit dem Filmpreis „Clio“ geehrt, für seinen außergewöhnlichen Dokumentarfilm „Bettina“ über die Liedermacherin Bettina Wegner. Eine Frau, für die die Einheit alles andere als abgeschlossen ist.

Die große Stalin-Liebe einer Sechsjährigen

„Ich sage immer noch ‘drüben’, wenn ich hier meine“, sagt Wegner in dem ehrlichen, berührenden Film einmal. Als sie das sagt, lebt sie seit Jahrzehnten in Berlin-West, Frohnau. Der Film zeichnet den Lebensweg nach, der Wegner dorthin gebracht hat. Von der Geburt 1947 in Berlin-Lichterfelde als Kind eines Kommunistenehepaares, über den Umzug nach Berlin-Pankow, die große Stalin-Liebe der Sechsjährigen, die Zwölfjährige, die mit dem Gedichteschreiben beginnt und die Siebzehnjährige, die todtraurige Liebeslieder singt.

Liedermacherin Bettina Wegner zum Filmstart von „Bettina“  im Mai zu Gast im Thalia-Kino Babelsberg.
Liedermacherin Bettina Wegner zum Filmstart von „Bettina“ im Mai zu Gast im Thalia-Kino Babelsberg.

© Manfred Thomas

Mit 21 bekommt sie ein Kind von Thomas Brasch, der sich darauf hin von ihr verabschiedet („Da dachte ick, die Welt jeht unter. Ging sie aber nicht.“) 1968 protestiert sie gegen den Einmarsch der Russen in die CSSR, wird verhaftet, muss das Schauspielstudium abbrechen und sich in der Produktion bewähren. Nachdem sie die Petition gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterzeichnet hat, kann sie kaum noch auftreten, tut es dennoch in Kirchen und ab 1980 in Westberlin.

1983 muss sie das Land verlassen. Da ist sie 36. Sie schneidet sich die Haare kurz, weil sie die Frau im Spiegel nicht mehr erkennt. Den größten Hit („Sind so kleine Hände“) hat sie da noch nicht geschrieben, mit Joan Baez wird sie sogar in der Waldbühne singen - aber zuhause wird sie sich nirgendwo mehr fühlen.

„Niemals vage, immer sehr konkret, immer sehr lässig“

„Bettina Wegner verlor ihre Heimat“, sagt Lutz Pehnert in seiner Dankesrede im Filmmuseum, als er die „Clio“ entgegengenommen hat. „Aber die DDR - und das ist genauso schlimm - verlor auch Bettina Wegner.“ Lutz Pehnert, Jahrgang 1961, Sohn des Stellvertretenden DDR-Kulturministers Horst Pehnert und Autor von Filmporträts über Jutta Hoffmann, Wolfgang Kohlhaase und „Die Ostdeutschen“ allgemein, nutzte seine Rede für einige grundsätzliche Bemerkungen zum Umgang mit dieser „Heimat in drei Buchstaben“, der DDR. Er tat das ganz so, wie Laudatorin Marion Brasch ihn kurz zuvor beschrieben hatte: „Niemals vage, immer sehr konkret, immer sehr lässig.“

„Ein Grundgedanke bei meinen Arbeiten über den Osten war immer, dass man die DDR nur begreift, wenn man sie von ihrem Anfang betrachtet“, sagt Pehnert. „Ich glaube, der Fehler in der Betrachtung der DDR ist, dass man sie allzu oft aus ihrem Unvermögen, ihren Fehlern und Absurditäten, ihren Brutalitäten buchstabiert.“ Sie sei aber nicht nur ein Ort gewesen, von dem man abhauen wollte, „sondern auch ein Land der Möglichkeiten, ein gelobtes Land“.

Die Ostdeutschen: schlau und störrisch

Die DDR sei gewiss „zu Recht verschwunden“, sie „war nie das bessere System, nie die bessere Gesellschaft“. Aber, so Pehnert, sie „existierte ihre paar Jahrzehnte auch durch die Illusion vieler, dass sie eine bessere Gesellschaft werden könnte“. Die Ostdeutschen seien durch die Erfahrung der Mauer und ihres Falls „schlau geworden, aber auch störrisch gegenüber dem andauernden Vokabular des Kalten Krieges“. Für die Erklärung, was das für ihn bedeute, erhielt er im Filmmuseum viel Applaus: „Ich habe kein Problem damit, wenn einer nichts über mein Leben weiß. Solange er mir nicht erklärt, wie mein Leben gewesen ist. Es geht einfach nur um Kenntnisnahme, vielleicht auch um Anerkennung.“

Sie hatte viel Angst, aber sie hat sich selbst nicht verraten. Das ist eine große Kunst. Vielleicht die beste.

Lutz Pehnert über Bettina Wegner

Über Bettina Wegner sagt Lutz Pehnert, er sei noch nie einem so hoch anständigen Menschen begegnet. „Sie hatte viel Angst, aber sie hat sich selbst nicht verraten. Das ist eine große Kunst. Vielleicht die beste.“ Ihre Lieder anzuhören, nächtelang und immer wieder sei die schönste, herausforderndste Arbeit an diesem Film gewesen. „Ich habe mich in diese Lieder verliebt, dabei gestrahlt, gekämpft und geheult.“ Eine Lieblingszeile nennt Lutz Pehnert auch: „Fass mich nicht an, ach fass mich an.“ Sie stammt aus Wegners „Liebeslied“. Es erzähle von unseren Wünschen „und davon, dass sie sich fast nie erfüllen“, sagt Pehnert. „Und dass wir damit klarkommen müssen.“

Inwiefern Letzteres auch für die Tatsache gilt, dass Potsdams „Clio“, vergeben jährlich für einen Film mit historischem Thema, ein Filmpreis ohne Heimat ist - das bleibt derzeit offen. Gegründet wurde der Preis bekanntlich 2017 im Kontext des Festivals „Moving History“, aber dem Festival fehlt seit der zweiten Ausgabe 2019 die Finanzierung. Während im letzten Jahr Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) persönlich ein Grußwort sprach, erledigte das in diesem Jahr Sigrid Sommer, Leiterin des Bereichs Öffentlichkeitsarbeit der Landeshauptstadt. Sie sei „zutiefst davon überzeugt, dass Potsdam das Festival Moving History braucht“, sagte sie. Aber die Förderung liege leider nicht in ihrem Ressort.

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