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Von Klaus Büstrin: Hollywood lässt grüßen

Bruno Cathomas inszenierte am Hans Otto Theater Shakespeares „Romeo und Julia“

Ein Wort, ein ganz belangloses, dem Anderen gesagt, kommt manchmal anders an, als es gemeint ist. Es wird plötzlich zum Schneeball von Verleugnungen, Verdächtigungen, Beleidigungen und auch Hasstiraden. Befreundete Familien können sogar zu Todfeinden werden.

Gleich zu Anfang der Neuinszenierung von William Shakespeares „Romeo und Julia“, die am Freitagabend Premiere am Hans Otto Theater hatte, wird in einem „Vorspann“ eine hassbringende Menschenkette geschmiedet, die nicht zu durchbrechen ist. Und Lorenzo (René Schwittay), der Mönch, ein Intellektueller, ein Menschenfreund der mit Bier und Büchern, auf denen er sogar schläft, am Rande der Gesellschaft lebt, hört und sieht hilflos zu und kann das Verderben nicht aufhalten. Mit allerlei literarischen Traktaten von der Bibel bis zu Richard David Precht philosophiert er über die Liebe, vor allem über die reine Liebe. Er hofft als Moderator damit ein wenig mehr Vernunft in die Köpfe der Kontrahenten zu bringen. Doch als er das Hohelied der Liebe aus dem Neuen Testament zitiert ( die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht ) uriniert Benvolio, ein Freund Romeos, betrunken an eine Häuserwand. Entweder er hört den Text nicht oder er versteht ihn nicht. Letzteres ist wohl eher möglich.

Der Hamburger Schauspieler und Regisseur Bruno Cathomas betont in seiner Inszenierung des berühmten Shakespeare-Dramas – jedenfalls im ersten Teil – das Oberflächliche der Party-Gesellschaft und natürlich die Gewaltbereitschaft jugendlicher Cliquen. Damit aus dem betagten Stück eine Verjüngung entstehen kann, besorgte Frank Günther eine neue Übersetzung. Nicht mit altväterlicher Sprach-Grandezza kommt sie also daher. Ohne große Umwege soll man das Geschehen spontan verstehen. Mit aktuellem Sprachkolorit. Bei den Liebesszenen von Romeo und Julia aber wird der Text plötzlich ganz poetisch, so als ob die jungen Leute zu einem anderen Stern gehören. „Komm sanfte Nacht, gib mir meinen Romeo“, rezitiert Julia.

Etliche Figuren und Szenen wurden gestrichen. Immerhin sind aber noch gut drei Stunden Spiel- und Zuschaudauer zu bewältigen. Doch sie vergehen relativ schnell. Cathomas setzt nämlich weitestgehend auf Action-Theater, so bei den Auseinandersetzungen innerhalb der Capulet-Familie und der Straßenbande: laut und druckvoll. Da wird nicht mit Klamauk gegeizt, der jedoch manchmal über die Stränge schlägt. Virtuos weiß vor allem Holger Bülow den agilen, oberschlauen Plapperclown Mercutio, ein weiterer Freund Romeos, zu spielen, dessen leichtfüßige Wortspiele und Altklugheiten das Publikum zu Applaus bewegen. Dagegen wurde Florian Schmidtkes Benvolio von der Regie etwas stiefmütterlich behandelt. Aber er weiß sich geschickt an Mercutio zu hängen. Simon Brusis‘ finsterer Fanatiker Tybalt aus dem Hause Capulet könnte ein bisschen mehr kalte innere Glut und Wut vertragen.

Komik in die Tragödie bringen auch die Erwachsenen: der tobende Papa Capulet (Wolfgang Vogler), seine in Liebesdingen unzufriedene Gattin (Elzemarieke de Vos). Ihre Darstellung wurde an den Rand der Karikatur getrieben. Aber damit verloren Feindschaft und Intrige an Biss. Der von den Capulets auserwählte Verlobte Julias, Paris (Jan Dose), „geistert“ nichtssagend durch die Szenen, die ständig plappernde Amme Julias (Meike Finck) lässt man sich gefallen.

Wird im ersten Teil noch viel herum gefaselt, wenn man von den Begegnungen des berühmtesten Traumpaars der Dramenliteratur, Romeo und Julia (Eddie Irle und Juliane Götz), einmal absieht, so verdichtet sich der Abend nach der Pause immer mehr zu einer bilderstarken Tragödie, gerade bei den mit Klischees beladenen Szenen, wie dem Liebes-Erleben und dem Tod des jungen Paares. Doch die hierbei eingespielte softige Musik macht das Ganze leider nur zu einer nett-traurigen Lovestory: Hollywood lässt grüßen. Cathomas vertraut dabei wohl zu wenig dem Wort. Der romantische Zauber, der natürlich auch sein darf, verkommt zu einem Schmachtfetzen.

Eddie Irle als Romeo nimmt sich mitunter etwas blass aus in seinem elegischen Liebesleid. Ein bisschen mehr leidenschaftliche Kraft wäre ihm zu wünschen. Er wirkte oftmals so, als ob er doch lieber den zurückhaltenden Paris gespielt hätte. Juliane Götz als Julia dagegen kann mit einer überwältigenden Kombination aus Entschlossenheit und Hingabe, aus Scharfsinn und somnambuler Konzentration, aus Zartheit und Stabilität aufwarten. Auch sprachlich weiß sie wunderbar zu überzeugen.

Neben Bruno Cathomas waren auch Thomas Giger (Bühnenbild) und Elke von Sivers (Kostüme) für die Inszenierung verantwortlich. Die schön wirkenden Kostüme zitieren Zeitläufe und sind von beeindruckender Zeitlosigkeit. Einem Aquädukt ähnlich aussehende Wand aus der Antike beherrscht den Bühnenraum. Mit ihm lassen sich bestens die Wohn- und Schlafräume der Capulets, die Balkonszenen für die Trauung arrangieren. Auch für die Gruft Tybalts gibt sie einen würdigen Rahmen. Davor ein Plateau mit Kunstrasen, auf dem jugendliche Spiele und das Golfen der „Reiferen“ stattfinden und auf dem schließlich der Tod Einzug hält.

Anders als im Original gibt es bei Cathomas keine Versöhnung zwischen den Familien und kein Herzog beklagt, dass es ein größeres Leid gab, wie das von Romeo und Julia. Stattdessen hat Lorenzo das letzte Wort und erzählt dem Zuschauer noch einmal die Geschichte vom glücklich-unglücklichen Paar Romeo und Julia. In diesem Augenblick denkt man: Bitte, nicht noch einmal so viel Liebesleid. Für heute nicht. Nach wenigen Minuten geht das Licht aus. Die Darsteller formieren sich zum Schlussbeifall und erhalten ihn vom dankbar aufatmenden Publikum, lautstark und lang.

Wieder am Dienstag, 8. Februar, und am Mittwoch, 9. Februar, 19.30 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 11 8

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