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Kultur: It“s unglaublich

Gayle Tufts las im Krongut Bornstedt aus ihrem Erzählband „Miss America“

Nein, mangelndes Selbstbewusstsein kann man der Dame wirklich nicht nachsagen. Sie bringt ein paar Kilo zu viel auf die Waage, reißt den Mund immer etwas zu weit auf und ist – mit Verlaub – nun wirklich nicht mehr die Allerjüngste. Dennoch hat sich Gayle Tufts ganz unbescheiden mal eben selbst zur „Miss America“ gekürt: mit einem im März veröffentlichten Erzählband.

Die Frage dabei ist: Darf die das überhaupt? Mit ihrem musikalisch angereicherten Leseabend am Montag im Krongut Bornstedt versucht sich Gayle Tufts an einer Antwort. Klar ist, dass es ihr mit ihren kurzen Geschichten in „Miss America“ weniger um die Äußerlichkeiten einer echten Schönheitskönigin geht als vielmehr um charakterliche Stärke. Deshalb stilisiert sich die Frau mit dem losen Mundwerk auf dem Cover ihres Buches auch als Comic-Heldin in Superman-Pose. Wie gesagt: Bescheiden war die Dame noch nie.

Vermutlich ist das genau der Grund, warum sie von ihren Anhängern so geliebt, ja geradezu verehrt wird. Jedenfalls feiert das Publikum die Kabarettistin bereits beim Betreten der kleinen Bühne mit enthusiastischem Applaus und jubelnden Pfiffen. Die Euphorie des Anfangs wird sich im Verlauf des gut zweistündigen Programms noch steigern. Warum? Weil Miss Tufts mit ihren oft absurden Alltagsgeschichten auch dem letzten Griesgram wenigstens ein verhaltenes Schmunzeln zu entlocken vermag.

Das liegt in erster Linie an ihrem charmanten Akzent. „Dinglish“ nennt Gayle Tufts diesen zum Teil skurrilen Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch, der den Irrsinn ihrer Erzählungen oft erst richtig zur Geltung bringt. Zum Beispiel dann, wenn die seit 15 Jahren in Deutschland lebende Amerikanerin mit Entsetzen feststellt: „Ich bin zu deutsch geworden. It“s unglaublich, but it“s true.“ Ja, mitunter ist die Wahrheit ziemlich erschreckend.

Warum sich Gayle Tufts mit ihrem Deutschsein schwer tut, versucht sie mit einem kurzen Exkurs über ihre Herkunft zu erklären. Als Tochter einer streng katholischen Irin und eines Amerikaners wird sie 1960 im beschaulichen und eher prüden Brockton im US-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts geboren. Konservativ erzogen, kommt sie erstmals Mitte der 80er Jahre nach Deutschland – und landet in einem Punk-Club in Kreuzberg. „West-Berlin at it“s finest“, erinnert sich Gayle Tufts. Dass dieser Abend der bis dahin abstinent lebenden Amerikanerin im Gedächtnis geblieben ist, liegt vor allem an den Unmengen Bier, die bei diesem Club-Besuch geflossen sind.

Damit hat für sie das große Dilemma jedoch erst angefangen: der jahreszeitlich begründete Alkoholkonsum. Ob im Frühjahr die Maibowle, im Sommer die Erdbeerbowle, im Herbst der Federweiße oder im Winter der Glühwein – um einen Anlass zum Genuss von Hochprozentigem scheint man hierzulande offenbar nie verlegen. „Warum gibt es immer einen Grund hier in Deutschland to besauf yourself?“, fragt Tufts, während ihr Publikum lachen muss, in einer Mischung aus Verlegenheit und Belustigung.

Mindestens ebenso belustigt sind die Gäste über die deutsche Freizügigkeit, an der sich Miss Tufts stört. Etwa, wenn sie mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Lutz eine Fahrradtour durch den Berliner Tiergarten unternimmt und dort auf den Wiesen lauter nackte Männer mit ihren, nun ja, „gebleichten Gurken“ liegen.

Weniger über die Vorführung der eigenen Marotten amüsiert sich das Publikum über das von Tufts beschriebene Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen. Dabei schafft es die Entertainerin jedoch immer wieder, sich und ihre Gäste mit den kleinen und größeren Problemen des Alltags zu versöhnen – und sei es mit offenherzigen Selbstbekenntnissen oder gar Entschuldigungen. Zum Ausklang der Show bittet die Künstlerin mit einer Gesangsdarbietung um Verzeihung für all die amerikanischen Zumutungen: für Burger King, plastische Chirurgie oder die Wiederwahl von George W. Bush.

Am Ende dieses kurzweiligen Abends ist man sich eigentlich nicht mehr so sicher: ob Gayle Tufts nun wirklich eine „Miss America“ ist – oder nicht doch eher eine „Miss Germany“.

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