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Kultur: Keine Hure als Heldin

Die Wanderausstellung „Fenster zur Welt“ im ZZF erzählt über die Zensurgeschichte des DDR-Verlages Volk und Welt

Die Wanderausstellung „Fenster zur Welt“ im ZZF erzählt über die Zensurgeschichte des DDR-Verlages Volk und Welt Der polnische Autor Stanislaw Lem rief die Zensoren hüben wie drüben auf den Plan. Während im westlichen Suhrkamp Verlag die kommunistischen Botschaften weg gebürstet wurden, lagen Bücher wie „Solaris“ im Osten bis zu 20 Jahre auf Eis, da ihnen die Gefahr von Pessimismus und Resignation anhaftete. Lems „Der Schnupfen“ wäre um ein Haar an einem Zensurgutachter gescheitert, weil er eine Schilderung des Wasserlassens als zu naturalistisch empfand und die berühmte Frage: „Wem nützt es?“ stellte. Der Schnupfen des Pessimismus hätte sich ja leicht auf den Leser übertragen können. Die derzeit im Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) gezeigte kleine Ausstellung „Fenster zur Welt“ weiß viele solche aberwitzig klingenden Zensurschrullen zu erzählen. Die Ausstellungsmacher stöberten im Archiv des 2001 liquidierten Verlages Volk und Welt, der in DDR-Zeiten als Begriff für den Blick nach außen galt. Autoren wie Aitmatow, Dürrenmatt, Frisch, Musil, Kishon, Neruda oder Camus brachten über ihn ihre Stimme in die abgeschottete Republik – falls sie der Zensur im stetig zähen Ringen abgetrotzt werden konnte. Die Idee, diese einstigen Verlagsinterna im Nachhinein öffentlich zu machen, kam von dem Verlagsforscher des ZZF, Siegfried Lokatis. „Als laut wurde, dass der Verlag zu macht, war davon natürlich auch das Archiv bedroht. In einem Rettungsteam mit Studenten verhinderten wir, dass das Material im Container verschwindet.“ Stattdessen kam ein Teil davon in die Akademie der Künste und das gesamte Bucharchiv ins Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR e.V. nach Eisenhüttenstadt. „Der dortige Direktor regte schließlich eine Ausstellung mit diesem spannendem Material an.“ Das stieß bei Lokatis auf offenen Ohren, der gerade bei Volk und Welt um die interessantesten Fälle für die Zensurforschung wusste. „Volk und Welt war der ,Leitverlag“ für Auslandsliteratur der DDR und publizierte bis 1989 über 3000 Titel von 1500 Autoren aus mehr als 80 Ländern, darunter 43 Nobelpreisträger.“ Auf 300 Quadratmetern breitete sich schließlich die von Lokatis kuratierte erste Ausstellung aus, die noch einmal berühmte Buchreihen wie Spektrum, die Weiße Reihe oder die Erkundungen hoch leben ließ – und an die heiß begehrte Bückware erinnerte. Dann verschwand die Schau im Keller, bis die Idee einer abgespeckten Wanderausstellung entstand. Für Lukatis war es natürlich ein schwieriges Unterfangen, den riesigen Fundus auf nur wenige Schautafeln zu pressen. Fortgeschrieben wird die Verlagsgeschichte indes durch eigene Erinnerungen. Denn natürlich ist uns B. Traven unvergessen, der uns mit nach Mexiko auf die Reise nahm, oder Amado, mit dem es sich so herrlich durch die fantasievolle Welt Brasiliens spazieren ließ. Welche Sträuße ausgefochten wurden, um diese gedanklichen Türen aufzustoßen, das erzählt in „Appetithäppchen“ diese kleine Schau, die als Nachschlag den im Ch. Links Verlag Berlin erschienenen Begleitband „Fenster zur Welt“ empfiehlt. Darin kommen auch die zahlreichen Lektoren zu Worte, wie beispielsweise Monika Müller. Sie erinnert sich, wie sie einen Tag nach dem Mauerfall in einer kleinen Gruppe in der Kantine saß und ein Kollege sagte: „Leute, ist euch eigentlich bewusst, dass uns heute Nacht das Programm weggebrochen ist?" Und fürwahr, während ihr Verlag jahrzehntelang um die Veröffentlichung irgend eines Beckett-Titels kämpfte, lagen sie ein paar Kilometer weiter hinter der Grenze als Ladenhüter herum. Absatzprobleme waren für sie bislang unbekannt. „Unsere Sorge bestand eher darin, dass der vorgesehene Plangewinn von drei Millionen nicht auf vier Millionen anstieg“, erinnerte sich der Geschäftsführer. Die Belletristik hatte Massencharakter. Die für 80 Pfennig erhältliche Romanzeitung wurde sogar in einer 100000er Auflage gedruckt – und ging weg wie warme Semmeln. Aber erst einmal musste der Druck genehmt sein und dafür galt es, den Zensor vorsichtig aufzuschließen. Freud und die Psychoanalyse war Ende der 70er Jahre noch immer tabuisiert. Daher schlug Franz Fühmann vor, zunächst dessen Schriften zur Literatur herauszugeben. 1982 folgte schließlich „Traum und Melancholie“ – und die DDR ging nicht davon unter. Calvinos „Baron auf den Bäumen“ wurde als „Tarzanschmöker“ taxiert und „Teresa Batista“ von Amado durfte nicht übersetzt werden, da eine Hure keine positive Heldin eines Romans sein konnte. Jedes einzelne ausländische Manuskript, auch aus den sozialistischen Bruderländern, wurde als Träger feindlicher Viren behandelt und notfalls unter Quarantäne gestellt. Doch steter Tropfen höhlt den Stein. Heidi Jäger Bis 20. September in der ZZF–Bibliothek, erreichbar durch Kutschstall-Bogen.

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