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Kultur: „Meine Rollen gehen in mir auf“

Christian Hiemer sucht die Zwischentöne – Ab Freitag steht er in „Moon over Hollywood“ auf der Bühne des neuen Potsdamer Theaters comédie soleil

Christian Hiemer sucht die Zwischentöne – Ab Freitag steht er in „Moon over Hollywood“ auf der Bühne des neuen Potsdamer Theaters comédie soleil Er ist ein fesselnder Plauderer. Währende seine Gedanken von Indien bis in die Alpen, vom Minzetee bis zu Casanova flattern, sitzt Christian Hiemer sattelfest auf dem Stuhl und lässt seinen Schwejkschen Humor trefflich blitzen. Seine wilde Mähne sei sonst viel gezähmter, und das „Gestrüpp“ über der Oberlippe gehöre dort auch nicht hin. Man wisse doch, was sich fürs Alter ziemt, meint der Schauspieler und wieder blitzt es kess in den Augenwinkeln. Da er aber in dem Stück „Moon over Hollywood“ einen Griechen gibt, lässt er das Haar eben echt griechisch wuchern. Christian Hiemer gehört mit zu der kleinen Mannschaft des Theaters comédie soleil, die am Freitag eine private Theaterbühne in der Feuerbachstraße 3 eröffnet. Noch scheint Hollywood allerdings in weiter Ferne: der Innenhof zu der einstigen Tischlerei ist aufgerissen und Bauarbeiter rammen dicke Rohre in die Gräben. Doch der Vorhang wird sich trotz Zitterpartie pünktlich heben und letztlich bleibt ja auch in dem Stück von Michael Klemm Hollywood eher ein verlorener Traum. Christian Hiemer spielt in der Musiktheaterproduktion den Betreiber eines Coffee Shops mitten in Berlin. Nichts klappt, kein Besucher verirrt sich in den schmuddeligen Laden und auch mit der Band, die er managt, geht rein gar nichts. Doch immer wieder keimen Pläne. Und tatsächlich geschieht eines Tages ein Wunder „Ohne den Ausgang vorweg zu nehmen: Sie alle bleiben die sympathischen Verlierer: Wie es im Leben eben so ist. Man bleibt die selbe Person, aber vielleicht mit einem Leuchten in den Augen. Auch ich bin nicht weitergekommen.“ Das klingt indes reichlich tief gestapelt. Schließlich hat Christian Hiemer eine kunterbunte Biografie, die ein Buch füllen könnte. Und ganz vorne weg steht der Sohn, für den er lange Zeit das Theater aufgab, um sich allein um ihn zu kümmern und der Frau die berufliche Karriere zu ermöglichen. „Es ist schon ein absurder Werdegang“, schaut der liebenswert-aufgeschlossene Mann zurück. Geboren als halber Franzose und halber Deutscher wuchs er in der französischen Schweiz auf. „Meine Eltern sind beide im Krieg geblieben. Ich wurde Lehrer und merkte sehr schnell, wie schrecklich das ist.“ So trieb es ihn in den 60ern nach Amerika, wo er sich als einziger Weißer in ein Theater von Schwarzen in Harlem begab. Dort wurde er ausgebildet und hatte seine ersten Auftritte. „Ich stellte sehr schnell fest, dass ich nie so spielen würde wie sie. Ich komme vom Kopf her, sie aber haben ihr Gefühl als festen Wert. Also ging ich. Man muss seine Grenzen kennen.“ Die Liebe zum Theater blieb ihm erhalten. Allerdings mit sporadischen Verpflichtungen. „Ich spiele nicht sehr viel im Jahr, denn man muss ja auch leben können. Und da ich als Schauspieler unabhängig bleiben möchte, gehe ich eben jobben.“ Unter seinen 15 „Berufen“ sei ihm der Kinovorführer der liebste – „obwohl Film nichts mehr mit Schauspielerei zu tun hat“, wie er enttäuscht auch am eigenen Leibe erfuhr. „Durch die schnellen Schnitte werden die Persönlichkeiten nur noch produziert, nicht mehr selbst gestaltet.“ Er mag nur die alten italienischen und die französischen Filme. „Da gibt es Zwischentöne, bleibt auch dem Schurken eine letzte kleine Würde.“ Auch er versuche, diese Zwischentöne auf die Bühne zu bringen. „Ob es gelingt? – Auf jeden Fall ist die Schauspielerei schon deshalb schön, weil sie für den Moment ist. Wir sind zwei Stunden präsent, bringen Freude oder Nachdenken. Danach sind wir ,breit’ und das Publikum hat uns vergessen. Es ist so erschöpfend.“ Und gerade dieses Arbeiten für den Augenblick stachelt ihn auch heute noch an. „Es ist die Idee“, die ihn auch mit über 60 das Wagnis eingehen lässt. „Der Traum vom Millionär ist vorbei. Da ich aber durch mein Kinovorführen nicht am Hungertuch nage, stecke ich das Geld eben ins Theater, wie jetzt auch in Potsdam. Und wenn es nicht klappt und ich mir nur noch eine ,Packerlsuppe’ leisten kann, wird mir meine Frau schon helfen. Sie ist sehr freundlich zu mir, und das obwohl wir schon fast 40 Jahre verheiratet sind und ich schwer zu ertragen bin.“ Aber da sich Christian Hiemer von seinem Lebensmittelpunkt in Regensburg immer wieder gern auf den Weg macht, und es nie länger als drei, vier Monate irgendwo aushält, bleibt offensichtlich die Liebe jung. „Im Sommer treibe ich mich wochenlang in den Alpen rum, dort habe ich eine nette Sennerin, bei der ich für müde Wanderer kochen darf. Natürlich nur mit Zutaten aus der Region.“ Seine tschechische Frau zieht es indes mehr in die drei „Ruinen“ Südfrankreichs, die er als durchaus handwerklich begabter Mann recht hübsch bewohnbar machte. „Und dort gibt es auch sehr guten Wein“, weiß er vom Hören-Sagen. Selbst kann er es nicht beurteilen, da nie ein Tropfen Alkohol über seine Lippen rann. Das hänge mit seiner Zeit in Indien zusammen, die er als Religionsfindung beschreibt. Dafür schwärmt er von Nana-Minzetee aus Nordafrika, „der nichts mit unserem braven Pfefferminztee zu tun hat.“ Aber auch dem Kaffee sei er zugetan. „Schließlich bin ich dort zu Hause, wo es ein schönes Café gibt. Und das kann überall auf der Welt sein.“ In Potsdam hat er das Wiener Café zu seinem Refugium erwählt. Er mag Potsdam, „das platte Land mit den Seen und Wäldern und vor allem mit seiner Geschichte.“ Das übernächste Stück, das er in Potsdam spielt, hat durchaus mit der Stadt zu tun: „Casanova auf Schloss Dux“. Schließlich stand der legendäre Frauenverführer mit Friedrich dem Großen in Kontakt. Für Hiemer ist Casanova vor allem ein ganz großer Europäer und ein Mann, der die Frauen richtig ernst genommen hat. Vor Casanova wird er aber auch noch in „Bilder einer Ausstellung“ zu sehen sein. „Nach diesem Dreierpack breche ich wahrscheinlich zusammen.“ Egal, welche Rolle er spiele, sie gehe in ihm auf. „Da braucht es viel eigenen Charakter, um nicht aus der Kurve zu fallen und die eigene Mitte zu behalten. Auch das habe ich in Indien gelernt.“ Mit der Gruppe um Michael Klemm, die er schon viele Jahre begleite, wolle er Menschen auf die Bühne bringen, wie sie sind. „Das klingt simpel. Aber es ist eine Riesenarbeit, ehrlich zu sein.“ Heidi Jäger

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