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Das gehörnte Tier ist nur eine der Hüllen des Mannes, den Aenne Schwarz in „Alle die du bist“ liebt.

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Michael Fetter Nathansky sucht Hoffnung ohne Kitsch: „Alle die du bist“ im Berlinale-Panorama

Eine Frau zwischen Erschöpfung und Aufbegehren, ein Mann in fünf verschiedenen Körpern: „Alle die du bist“ thematisiert das Ende einer Liebe. Und eine Ethik des Blicks.

Ein hoffnungsloses Ende ist das Einfachste, sagt Michael Fetter Nathansky. „Sterben geht immer.“ Tod, Tränen, Abspann. Maximale Emotionalität bei minimalem Einfallsreichtum. Der Filmemacher Nathansky sucht nicht das Einfache, sondern das Wahre. Dazu gehört die Tatsache, dass der Mensch ein zähes Tier ist. Ein gebrochenes Herz führt meistens nicht zum Tod. Und vielleicht lässt es sich ja sogar heilen, so ein Herz.

Dieses Vielleicht ist der Raum, den Michael Fetter Nathansky filmisch abtastet. Er selbst formuliert das als Frage: „Wie kann man ohne Kitsch von einer Hoffnung erzählen?“ Als Co-Autor von „The Ordinaries“ spielte er es 2022 gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin, der Regisseurin Sophie Linnenbaum, konsequent durch: als Deus-ex-machina Happy End. Nicht um Wahrscheinlichkeit ging es hier, sondern um Potenzial. Die Möglichkeit, das Richtige zu tun.

Regisseur Michael Fetter Nathansky.
Regisseur Michael Fetter Nathansky.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Auch der Film, mit dem Michael Fetter Nathansky am 16. Februar auf der Berlinale Premiere feierte, ist ein Ausloten von Potenzialen wider alle Wahrscheinlichkeiten. „Alle die du bist“ ist, wie schon der Kurzfilm „Gabi“ (2017), wie das Spielfilmdebüt „Sag du es mir“ (2019) das Porträt einer Frau.

Müdigkeit, Begehren, Bitterkeit

Nadine heißt sie hier, auf grandiose Weise zwischen Erschöpfung, Begehren und Bitterkeit pendelnd, gespielt von Aenne Schwarz. Eine Frau nahe der Lebensmitte, aufgerieben zwischen all den Rollen, die sie zu erfüllen hat: Als Gewerkschaftlerin in einer Fabrik, die von der Schließung bedroht ist. Als Ehefrau eines Langzeitarbeitslosen, der unter Panikattacken leidet. Als Mutter zweier Kinder, von denen sie eins nicht zu lieben glaubt. Oder ist sie nur zu erschöpft, um noch zu spüren?

Was Nadine auch ist: Brandenburgerin im Ruhrpott. Nathansky, Jahrgang 1993, ging selbst den umgekehrten Weg. Als 19-Jähriger kam er aus Köln nach Potsdam, an die Filmuniversität. Als Student tastete er sich filmisch nicht nach Berlin vor, nicht ins schöne Babelsberg, sondern in das Neubauviertel Am Stern. Zwei Filme entstanden dort. Was Potsdams Uni ausmacht, sagt er: Kollegialität und die Freude am Surrealen.

Aenne Schwarz ist ein absoluter Coup für „Alle die du bist“. Ein zweiter ist die Besetzung von ihrem Partner, Paul. Paul gibt es fünffach. Er ist mal Kind, mal junger Mann, mal Mann in der Lebensmitte, mal Frau mit weißem Haar. Den ersten Auftritt im Film hat Paul in seiner erstaunlichsten Form: als Tier. Ein Jungbulle, so könnte man denken. Aber die sind zu gefährlich für einen Dreh. Zu sehen ist eine Kuh.

Einmal, in einer Badewannen-Szene, wird Paul erst von Jule Nebel-Linnenbaum gespielt, dann von Carlo Ljubek. Dazwischen nur ein Kameraschwenk. Geschlecht, Alter oder Herkunft werden hier als das demaskiert, was sie womöglich tatsächlich sind: Äußerlichkeiten. Dass in diesem filmischen Ansatz etwas liegt, was man eine Ethik des Blicks, vielleicht sogar Utopie nennen könnte, lässt Michael Fetter Nathansky gelten; sein Ausgangspunkt aber war ein anderer. „Filme dürfen nicht zu viel wollen.“ Die Konstellation hat sich daraus ergeben, wie er schreibt, sagt er: „Ich schlüpfe dabei immer in verschiedene Rollen.“ Und außerdem sei es doch so: „Wir leben immer auch in Erinnerungen. Das ist schwer in Worte zu fassen. Darum muss man einen Film darüber machen.“

Die Stadien einer Liebe

Tier, Junge, Liebhaber, Freundin: Paul wird immer als das gezeigt, was Nadine gerade in ihm sieht - oder sah. „Alle die du bist“ ist ein Film über das Ende einer Liebe. Die verschiedenen Stadien der Liebe fließen hier ineinander. Glühender Beginn, große Nähe, erschöpfte Distanz. Dass auch der Paul, von dem sich Nadine entfremdet fühlt, von Carlo Ljubek als extrem liebenswert gezeigt wird, war Nathansky wichtig. Es berührt, was er die „Schmerzstelle“ nennt: Dass ein Mensch sich gar nicht verändern muss, um vom Geliebten zum Fremden zu werden. „Es ist der Blick auf ihn, der sich verändert.“

Was wäre Hoffnung anderes als: das Aufzeigen von alternativen Blicken? Das war schon die Grundidee des Kurzfilms „Gabi“. Gisela Flake als Fliesenlegerin, Ehefrau, Tochter, Chefin, probiert hier am eigenen Gesicht verschiedenste Gemütsverfassungen durch wie Wechselwäsche. Probt den Ausbruch aus der Konvention.

Wer sich länger mit Michael Fetter Nathansky unterhält, kommt am Fußball nicht vorbei („Mit einem Ball in der Hand bin ich glücklich“). Und nicht an Poesie (einen Film über Federico García Lorca will er noch machen). In seinen Filmen finden sich Spuren von beidem. Schnelligkeit im Dialog, aber auch Funken von Magie, Surrealismus. Seine Sprache ist direkt, poetisch, zwei Zentimeter über dem Alltag. Gedreht wurde „Alle die du bist“ in einer Industrielandschaft bei Köln. Gefilmt in hartem, hellem Licht. Oft scheint von irgendwo gerade die Sonne. Manchmal von draußen, am Ende von tief drinnen.

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