zum Hauptinhalt

Kultur: „Mythos der Stoffe“

Die Sommerausstellung im Schloss Sacrow erzählt sehr plastisch über die Kuna-Indianer in Panama

Die Sommerausstellung im Schloss Sacrow erzählt sehr plastisch über die Kuna-Indianer in Panama Von Heidi Jäger Die Kuna-Frauen nähen ihr Leben in farbenfrohe Stoffe. Diese textilen Wunderwerke – Molakana genannt – erzählen, wie die Kuna-Indianer in Hängematten zur Welt kommen und wie sie, in ihrer Lebenshängematte eingewickelt, begraben werden. Sie spiegeln in unerschöpflicher Vielfalt die tägliche Arbeit, Flora und Fauna, Glaubensvorstellungen und Mythen dieser an der Ostküste Panamas lebenden Stammesgruppe wider. Das Berliner Ehepaar Ursula und Günther Hartmann macht sich seit über 30 Jahren immer wieder auf die Reise zu den Atolls im Atlantik, um mit den Ureinwohnern den Alltag zu teilen. „Wir wurden von einer Kuna-Familie ,adoptiert“ und wohnen mit ihr in einer Bambushütte.“ Sie sind beim „Einkaufen“ und Wasser holen auf dem Festland dabei, beim Zubereiten der Speisen und erhalten sogar Einblick in die spirituellen Geheimnisse des Schamanen bei Heilung und Tod. Den reichen Schatz ihres Wissens breitet das inzwischen „gemeinsam 158 Jahre“ zählende Paar ab heute in einer Sommerausstellung im Schloss Sacrow aus. Die untere Etage ist Ursula Hartmann vorbehalten: Sie muss sich nach einem Unfall im Urwald derzeit auf Krücken stützen. Dennoch wird bereits die nächste Reise geplant. Sie hat ihren Mann, den Ethnologie-Professor und ehemaligen Leiter der Südamerika-Abteilung desMuseums für Völkerkunde Berlin, auf seinen zahllosen Forschungsreisen begleitet und sich besonders für die Arbeit der Frauen interessiert. Etwa sechs Stunden am Tag sitzen sie über ihre Näharbeiten, Applikationen zu Reliefs gestaltend. Die Muster sollen zum Schutz oder zur Abwehr dienen. Dabei haben die Frauen keinerlei Vorlagen. Alles entsteht aus der Fantasie, genährt durch ihr Leben. Die Kraft der Kreativität, das Kurgin, ist ihr großes Gut. Wer viel Kurgin besitzt, hat ein hohes Ansehen – im Diesseits- und Jenseits. Bis vor etwa 120 Jahren waren die Kuna noch unbekleidet, nur mit Symbolen bemalt. Durch Missionare – die von den Kunas vertrieben, getötet, mitunter aber auch geheiratetet wurden – lernten sie Kleidung sowie Nadel und Faden kennen. Nun übertrugen sie ihre Symbole auf Stoffe: eine Art Bilderschrift entstand. Sie ziert die Kleidung der Frauen. „Es sind sehr fröhliche, lebendige Frauen, die oft nur ihre Insel kennen. Die Frau ist die Herrin der Hütte.“ Ursula Hartmann bedauert, dass die Traditionen allmählich verdrängt werden. „Vor etwa zehn Jahren wurde die Schule eingeführt, die Mädchen haben nicht mehr so viel Zeit, die Nähkunst ihrer Mütter fortzuführen. Inzwischen sieht man sie auch in panamesischer Kleidung mit blauem Rock und T-Shirt.“ Den Beginn der Verdrängung beklagt auch Günther Hartmann, der in der oberen Schloss-Etage den ethnologischen Hintergrund zu der sehr einfühlsamen und gut nachvollziehbaren Schau liefert. „Als vor etwa 30 Jahren das Geld eingeführt wurde und die Kokosnuss als Bewertungsmittel vertrieb, begannen die sozialen Spannungen. Durch die Schuleinführung kommen neue dazu: zwischen Alt und Jung.“ Die Ausstellung entführt in den Alltag: zeigt eine Feuerstelle, ein Geburtsboot, in dem die Babys nach der Entbindung in der Hängematte gewaschen werden, Spielzeug aus Leichtholz, den Hahn als Seelenvogel, Rasseln und Panflöten als einzige Musikinstrumente. Auch zahlreiche Uchus – geschnitzte Holzfiguren, die gegen die bösen Dämonen kämpfen – durften Hartmanns nach Deutschland verschiffen, nachdem die Figuren zuvor vom Schamanen entseelt wurden. Der Bogen wird bis ins Heute gespannt: zeigt Kuna-Symbole auf modischen Kleidern, von Designern den Kuna-Künstlerinnen abgeschaut. Die Ausstellung und das Gartencafé sind bis 25. September, jeden Samstag und Sonntag von 12 bis 18 Uhr geöffnet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false