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Kultur: „Port“ in Potsdam

Schüler entdeckten ihre Stadt durch die Kamera

Schüler entdeckten ihre Stadt durch die Kamera Das Foyer in der Blechbüchse hat sich zur „Port-Lounge“ gemausert. Hier kann sich vor und nach der Vorstellung des Jugendstücks „Port“ auf der roten Couch gelümmelt, britische Musik, Sandwiches und Scotch genossen werden. Denn Port ist nicht weit weit. Ja es liegt eigentlich vor der Haustür, wie ein Foto-Fries zeigt, der sich in Augenhöhe die Wände entlang schlängelt. Die 700 Aufnahmen stammen von Potsdamer Schülern, die in Vorbereitung auf die Premiere das englischen Stücks von Simon Stephens in ein Theaterprojekt integriert wurden. Einige von ihnen waren gestern in der Lounge, um sich ihre kleine Ausstellung anzuschauen. Auf den Fotos wird ein Potsdam abseits der Touristenpfade gezeigt. „Ich wollte über die Lebensverhältnisse von Stockport schreiben, wie ich sie kannte. So viele Dinge geschehen dort, die mich prägten, sogar in meiner Abwesenheit, dass sie unvermeidlich in diesem Stück erscheinen mussten“, sagte Stephens über die Entstehung seines Stückes, das in der unteren Schicht der englischen Stadt Stockport angesiedelt ist. Wie sehen nun aber die Potsdamer Jugendlichen ihre Stadt? Anja Ostermann fotografierte zum Beispiel eine Hängematte im Kirchsteigfeld. „Dort lege ich mich immer hinein, wenn ich in Ruhe gelassen werden will. Diesen Platz kennt bislang kaum einer. Vor zwei, drei Jahren standen auch noch Pflaumenbäume hier.“ Anja geht in die 12. Klasse des Leibniz-Gymnasiums. Für sie ist Potsdam eine schöne Stadt zum Aufwachsen. „Aber ich bin sicher, dass ich nicht hier bleibe. Ich bin jetzt neugierig auf größere Städte, andere Länder und will da nichts verpassen.“ Auch ihr Mitschüler Christian Fuchs schärfte durch den von Dramaturg Andreas Steudtner angeregten Foto-Streifzug seinen Blick auf Potsdam. „Man hört immer nur etwas über die schöne Seiten, aber es gibt auch den Schlaatz, wo ganze Baumreihen gefällt wurden, und auch viele leer stehende Häuser.“ Für ihn lege die Stadt oft Wert auf die falschen Sachen. Statt in die kaputten Schulen zu investieren, gehe es um Kulturhauptstadt, Fortunaportal, Stadtschloss. „Wir haben nicht mal dichte Fenster und frieren trotz dicker Pullis im Unterricht“, pflichtet Anja ihm bei. Auch die angehenden Sozialpflegeassistentinnen vom Oberstufenzentrum „Johanna Just“ entdeckten , was sie an Potsdam lieben und vermissen. „Ich finde es geil, wenn die Häuser schick saniert sind“, sagt Sarah Müller. Die Potsdamer Discos findet sie hingegen schmutzig. „Da fährt man lieber nach Berlin.“ Beim genauen Hinschauen sei sie überrascht gewesen, wie häufig der „Nazi raus“-Aufkleber in der Stadt auftauche. Obwohl sich alle Schüler durch die Aktion mit dem Stück, ihre Stadt und sich selbst auseinander setzten, wurde nicht jeder vom Theatervirus infiziert. „Wir sind die Kinogänger-Generation“, meint Christian. „Ins Theater muss man gehen wollen, ins Kino wird man gestoßen, ob man will oder nicht.“ Dafür sorge schon die Werbemaschinerie. Übers Theater erfahre man meist nur etwas über die Zeitung, und die lesen die meisten von uns nicht, so die Erfahrung. Die Geschichte des Mädchens Racheal in „Port“ sei für sie nachvollziehbar gewesen, auch wenn im Stück vieles krasser sei, vor allem die Sprache. Inzwischen „strebten“ aber auch die Potsdamer Kids dahin. „Bin ich früher auch so intolerant und respektlos gewesen, wie die heutigen 12-Jährigen“, fragten sich einige. Für dieses „Cool sein“ machten sie die Eltern verantwortlich, die zu wenig Zeit für ihre Kinder hätten, aber auch den falschen Umgang. Anders als Racheal mögen die Potsdamer Schüler ihre Stadt und fühlen sich ihr zugehörig . Heidi Jäger

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