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Kultur: Priorität Klassik

Von Blechbläsern, einem Konzerthaus-Rekord, einer Oper im Gotteshaus und Kunst aus einem vergangenen Land: So war das Potsdamer Kulturjahr 2014

Hunderte Potsdamer werden am morgigen Neujahrstag wohl wieder den romantischen Pfingstberg besteigen. Vor der mit Schnee bedeckten Belvedere-Kulisse wird Musik vom Bläsertrio Intermezzo erklingen, mit der die Zuhörer beschwingt in das neue Jahr eingestimmt werden sollen. Schon beim Neujahrskonzert 2014 war das Trio aufgetreten und hat begeistert. Die Musiker haben ihre Kollegen von den Potsdamer Turmbläsern abgelöst, die viele Jahre die schöne Tradition des musikalischen Jahresauftakts auf dem Pfingstberg bestritten. Das Ensemble machte sich im zu Ende gehenden Jahr in der großen Öffentlichkeit ein wenig rar. Auch bei der beliebten Musik zur Christnacht in der Friedenskirche war es nicht mehr dabei. Nach jahrzehntelangem Musizieren, das immer wieder begeisterte, möchte wohl das Ensemble so manch wiederkehrende Konzerte in andere Hände geben.

Der festliche Auftakt auf dem Pfingstberg mitten im kalten Winter und Open Air will uns auch darauf hinweisen, dass das musikalische Geschehen in der Landeshauptstadt gleich am ersten Tag eines Jahres präsent ist. Von Musik wird ja Potsdam bekanntlich in besonderem Maße belebt. Vielleicht schauen andere Kulturträger ein wenig neidisch auf die Besucherzahlen von Konzertveranstaltungen, doch die Emotionen werden beim Erleben von Musik stark angesprochen, sei es bei der Klassik, bei Jazz, bei Rock oder auch Pop.

Darum ist es nicht verwunderlich, dass das Potsdamer Konzerthaus, der Nikolaisaal, 2014 wieder mit einem Rekord-Ergebnis in der Besucherauslastung aufwarten kann. „Mit 113 648 Besuchern bei 245 Veranstaltungen – 2010 waren es 110 392 Besucher bei 218 Veranstaltungen – fuhr der Nikolaisaal 2014 ein in seiner 14-jährigen Geschichte bislang einmaliges Spitzenergebnis ein“, teilte die Presseabteilung mit. „Allein bei den 76 Eigen-Veranstaltungen lag die durchschnittliche Auslastung bei 93 Prozent.“ Das Ergebnis bewertet die Nikolaisaal-Chefin Andrea Palent jedoch – bei aller Euphorie – ganz realistisch: „Diese Traumzahlen künftig nochmals zu überbieten, wird wohl kaum möglich sein. Das Haus mit seinen 720 Plätzen ist am Limit angelangt. Mehr geht einfach nicht.“

Die Vielfalt der Nikolaisaal-Angebote war auch im zu Ende gehenden Jahr enorm. Die Klassik hat naturgemäß im Konzerthaus Potsdams Priorität. Die sinfonischen Konzerte werden von der Kammerakademie Potsdam, dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt, dem Deutschen Filmorchester Babelsberg und den noch zu selten in der Landeshauptstadt auftretenden Brandenburger Symphonikern bestritten.

Die Kammerakademie hat gleich zu Beginn des Jahres ein ehrgeiziges Projekt hochachtungsvoll verwirklicht. Musiker und Zuhörer nahm es gleichermaßen geistig und körperlich in Anspruch: die Aufführung aller neun Sinfonien von Ludwig van Beethoven unter der Leitung des Chefdirigenten Antonello Manacorda.

Der Italiener Manacorda dirigierte auch die diesjährige Potsdamer Winteroper in der Friedenskirche. Der sakrale Raum im Park Sanssouci erwies sich als ein akustisch und atmosphärisch dichter Rahmen für die blutige Geschichte um Judith und Holofernes aus dem Alten Testament, die Wolfgang Amadeus Mozart in seinem Oratorium „Betulia liberata“ in Töne setzte. Das hervorragende Solistenensemble und die großartig spielende Kammerakademie haben das Werk des 15-Jährigen in der Inszenierung von Jakob Peters-Messer zu einem großen Opern-Ereignis gemacht. Die Friedenskirchengemeinde will auch weiterhin, solange das Schlosstheater im Neuen Palais wegen Sanierung- und Restaurierungsarbeiten geschlossen ist, ihr Gotteshaus für das Winteropern-Projekt zur Verfügung stellen. Die Kammerakademie, die es in Zusammenarbeit mit dem Hans Otto Theater bewerkstelligt, hat für die Inszenierungen biblische Themen im Blick. Zahlreiche Komponisten haben sich mit ihnen in Opern oder Oratorien beschäftigt.

ATMOSPHÄRISCHE OPERNABENDE

Die Oper gehört in Potsdam nicht zum alltäglichen Geschäft. Doch zu besonderen Musiktheater-Festen sind alljährlich die Potsdamer Winteroper und die sommerlichen Aufführungen während der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci geworden. Auch 2014 hat das Festival unter dem innovativen Thema „Mittelmeer - Zwischen Traum und Wirklichkeit“ wenig Bekanntes in hoher Qualität ihren Gästen aus der Nähe und Ferne vorgestellt, so mit „Der goldene Apfel“, einem Pasticcio, in denen Szenen von Antonio Cesti und Francesco Cavalli zu einem atmosphärisch dichten Opernabend zusammengeführt wurden. Auch „Die Rache der Stellidaura“ des Neapolitaners Francesco Provenzale wurde bewundert und fand begeisterte Anhänger. Aufführungen von Barockopern werden in Potsdam verdienstvoll gepflegt, doch leider erleben die bekannten und beliebten Höhepunkte von Verdi, Puccini oder Lehár zu selten in der Landeshauptstadt eine Wiedergabe. Das für die szenische Realisierung laut brandenburgischem Theatervertrag infrage kommende Staatstheater Cottbus kann anscheinend nur viermal im Jahr mit seinem großen Ensemble nach Potsdam reisen. Überlegenswert wäre, wenn die Brandenburger Symphoniker den Orchesterpart für die Cottbuser Gastspiele übernehmen, denn sie sind bereits in ihrem Stammhaus gute Partner für das Staatstheater. Übrigens würde es dem Hans Otto Theater gut anstehen, wenn es die Operngastspiele besser bewerben würde.

SAKRALE MUSIK

Die Kirchen Potsdams sind wichtige Konzertstätten geworden. Kantoren, Chöre und Orchester beleben das Musikleben immens, dank der Kirchenmusiker Joachim Walter, der 2014 das Kantorenamt an der Friedenskirche übernahm, und Björn O. Wiede (St. Nikolaikirche). Walter hat den Internationalen Orgelsommer, der im kommenden Jahr seinen 25. Geburtstag feiert, weiter geführt. Wiede erinnerte in beeindruckender Weise gemeinsam mit seinem St. Nikolaichor, der Neuen Potsdamer Hofkapelle und renommierten Solisten mit mehreren Veranstaltungen an den 300. Geburtstag von Carl Philipp Emanuel Bach. Man konnte nur staunen, wie vielseitig und modern die Musik des Kammercembalisten Friedrichs des Großen ist. Björn O. Wiede initiierte und verwirklichte auch das erste Konzert im Hof des wieder erstandenen Stadtschlosses, das aber mehr Unterstützung durch die Stadt Potsdam und das Land erfahren sollte.

Ud Joffe, künstlerischer Leiter und Dirigent von Musik an der Erlöserkirche e.V., hat mit dem Festival „Vocalise“ bewiesen, welch hohes sängerisches Potenzial in den Laienchören Potsdams steckt. Die Konzerte mit der Potsdamer Kantorei, dem Neuen Kammerchor Potsdam, dem Oratorienchor und der Singakademie Potsdam innerhalb des Festivals gehörten zu den Höhepunkten des musikalischen Lebens. Und noch ein Festival hat sich in Potsdam etabliert: das Brandenburgische Fest der neuen Musik „Intersonanzen“. Die nicht den Besucherandrang hervorrufenden Konzerte, die man bei der Klassik findet, sollten weiterhin unterstützt werden, denn sie geben neuen und neuesten Kompositionen ein spannendes Podium.

ANREGENDE THEATERABENDE

Für wertvolle Momente unseres Lebens sorgt nicht nur die Musik, sondern auch das Theater. Das Hans Otto Theater und die freien Gruppen der Stadt haben sich 2014 wieder ans Werk gemacht, um solche Momente zu schaffen. Mit einer publikumswirksamen Inszenierung des Erfolgs-Musicals „La Cage aux Folles“ konnte die städtische Bühne besonders auf sich aufmerksam machen. Sicherlich ist die Aufführung auch dazu geeignet, das Haus und die Theaterkasse besser zu füllen. Theater ist bekanntlich dazu da, Geschichte und Gegenwart zu durchleuchten und zum Nachdenken anzuregen. Das Hans Otto Theater versuchte es mit mehr und weniger gelungenen Inszenierungen, sich heutigen Fragen, die teilweise hoch aktuell sind, mit seiner Stückauswahl zu nähern. Man denke nur an das gedankenscharfe „Zorn“ der australischen Autorin Joanna Murray-Smiths, in dem auch die Frage behandelt wird: Wie weit darf man gehen, wenn man seine politischen Überzeugungen verwirklicht sehen will? Goethes „Urfaust“, John von Düffels „Die Rückkehr“ als heutige Version von Tschechows „Kirschgarten“ oder Christian Frascellas „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“, eine humorvolle Geschichte um einen Antihelden, haben anregende Theaterabende gebracht, die zu Diskussionen einladen. Die von vielen Problemen überhäuften Stücke, die das Theater in den vergangenen Jahren eher mit schwerer Wucht auf die Bühne brachte, erhielten in diesem Jahr durch die Regieteams eine größere Leichtigkeit. Das tat den Akteuren auf der Bühne und den Zuschauern gut.

Fünfzehn Jahre alt ist 2014 das freie Theater „Poetenpack“ geworden, das von Anfang an von Andreas Hueck geleitet wird. Mit seinem Programm und den Inszenierungen konnte es immer wieder von sich reden machen. Manche Stücke des Poetenpack werden bereits jahrelang mit großem Erfolg gespielt, vor allem Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“. Im Sommer gab es die Premiere von „Minna von Barnhelm“ von Gotthold Ephraim Lessing. Mit dieser Inszenierung hat das Poetenpack nicht nur eine luftig-leichte Komödie auf den Q-Hof gezaubert, sondern deutlich gemacht, wie der Krieg Menschen verändern kann.

BILDER EINES VERGANGENEN LANDES

An den Beginn des Ersten Weltkriegs erinnerte eine Ausstellung des Potsdam Museums seine Besucher. Die Kuratoren der bewegenden Schau „Zu Hause im Krieg – im Krieg zu Hause“ setzten dabei ihr Hauptaugenmerk auf die einstige Residenzstadt Potsdam. Vor allem mit Fotografien, Dokumenten und Grafiken wurde das Erleben des Weltkrieges von Potsdamern verdeutlicht, in der Stadt, in der einer der wichtigsten Akteure lebte, die zu dem barbarischen Gemetzel beitrugen: Kaiser Wilhelm II. Auch eine weitere eindrucksvolle Ausstellung ist dem Potsdam Museum zu verdanken. Sie ist dem 25. Jahrestag des Mauerfalls gewidmet. Unter dem Titel „Stadt-Bild / Kunst-Raum“ sind Bilder von Potsdamer und Ostberliner Künstlerinnen und Künstlern vereint, die in den Jahren 1949 bis 1990 entstanden sind. Eine hochinteressante Darstellung eines untergegangenen Landes. Die Maler haben nicht nur die zum Teil beängstigende und graue Wirklichkeit des DDR-Staates ins Visier genommen, sondern auch das Hoffungsvolle, von dem seine Bürger überzeugt waren, das Zeiten Überdauernde ins Bild gebracht. Eine sehenswerte, eine facettenreiche Schau.

Zum Erfreulichen dieses Jahres 2014 gehörte außerdem die Wiedereröffnung des sanierten Filmmuseums. Kinoabende sind wieder gesichert – und die Familienausstellung über Marco Polo bringt viele Zuschauer in den barocken Marstall.

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