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Kultur: Tanzen gegen die Schatten

Patrick Scully schlägt den Bogen vom Kabarett der 20er Jahre zum Irakkrieg

„Wie kann es sein, dass wir so lange den Krieg im Irak haben, obwohl nur eine Minderheit dafür ist?“ Eine Frage, die Patrick Scully zusetzt. Um dem Gefühl der Hilflosigkeit zu entkommen, konzentriert er sich auf die eigene Verantwortlichkeit. Der homosexuelle Tänzer aus den USA arbeitet derzeit in der fabrik an einem zweiten Stück, das die Geschichte befragt, um die Gegenwart in seinem Land deutlicher vor Augen zu führen.

Dazu beleuchtet er die Szene der Kabarett-Künstler im Berlin der Weimarer Republik. „Da viele schwule und jüdische Künstler zu dieser Szene gehörten, suchte ich nach möglichen Antworten auf die Frage, was Künstler tun, wenn das Land, in dem sie leben, in den Faschismus abzugleiten scheint, wenn Freizügigkeiten bedroht sind, wenn neugewonnene Freiheiten verloren gehen könnten.“ Das starke Wort Faschismus wählt Patrick Scully ganz bewusst – nach dem Vorsatz: Wehret den Anfängen. „Was ist das, wenn der Präsident meines Landes behauptet, die Genfer Konvention sei für ihn nicht gültig, wenn Gesetze verändert werden, um Leute verhaften zu können – ohne jegliche Erklärung? Was passiert in Guantanamo? Wir sind auf dem Weg vom Weißen ins Schwarze und befinden uns derzeit im Grau. Wieweit müssen wir aber ins Schwarze gehen, bis wir über die Linie sind, um zu sagen, das ist Faschismus? Wir sind schon zu viele Schritte in die falsche Richtung gegangen!“

Ein Beispiel für die Abkehr von den demokratischen Werten findet Patrick Scully wiederum im Irak: „Es gab vor gut einem Jahr die Anweisung eines Ajatollahs, dass alle Homosexuellen sterben sollten. Und es folgten sehr schnell die ersten Morde. Ein schwuler Iraker ist deswegen in die Grün-Zone gegangen und bat die irakischen und amerikanischen Behörden um Hilfe. Doch sie entgegneten ihm nur: ,Das geht uns nichts an“.“ Patrick Scully entlud seinen ersten Zorn, indem er in seiner Heimatstadt Minneapolis auf Schildern, die vor Haustüren standen und die die Aufschrift trugen: „Befreit Irak“, hinzusetzte: „Befreit Irak-ische Schwule“.

Er fühle sich von seinem Land zutiefst betrogen, in der Außen- wie auch in der Innenpolitik. „Die Situation für Homosexuelle ist spürbar schlechter geworden. Was Kennedy angefangen und bis Ronald Reagan fortgesetzt wurde, nämlich mehr Geld vom Staat zur Förderung von Kunst, erlebt einen spürbaren Abbau. Vor allem Homosexuelle und feministische Frauen, die nicht mit der Politik der Republikaner einverstanden sind, bekommen das zu spüren. Selbst wenn sie nur ganz persönliche Stücke machen, werden diese zu Skandalen hochstilisiert.“

Patrick Scully nutzt seinen dreiwöchigen fabrik-Aufenthalt innerhalb des Tanzplans „Artist in Residence“ zur umfangreichen Recherche. Gemeinsam mit seinen Partnern Venus, Kats und Laurie besuchte er Gedenkstätten des Holocaust und das Schwulen Museum in Berlin. Geprägt von ihrer persönlichen Herangehensweise als Homosexuelle und Außenseiter suchen sie nach Impulsen für ihre Arbeit, die Musik, Tanz, Erzählung, Video und Theater verbinden soll und von den „Schatten des Kabaretts“ erzählt. „Ich gehe es mehr von der außenpolitischen Seite an, Lory über die Darstellung verschiedener Charaktere, Kats bedient sich der zeitgenössischen japanischen Tanzform Butoh und Venus reflektiert über das Leben als transsexueller Mensch. Lory sagte zu mir, dass er sich irgendwie verpflichtet fühle, eine große politische Arbeit zu machen. Das ist nicht mein Ziel. So ein Druck im Kopf kann manches blockieren. Ich möchte die Fragen stellen, jemand sein, der den Samen streut. Es ist einfach unsere Aufgabe als Künstler, neue Träume zu heben.“ Und der feinnervige Patrick Scully hat Träume, auch den, mit seinem Partner irgendwann in den USA vor den Traualtar treten zu können, auch wenn derzeit die erreichten Normalitäten für Schwule weiter wegzubrechen drohen. „Die National Endowment for the Arts, eine staatliche Stiftung in den USA zur Förderung von Kunst und Kultur, ist inzwischen durchsetzt von der neuen konservativen Zeit. Ein großes Kunstmuseum musste zum Beispiel versichern, seine Zuschüsse nicht mehr für die Weiterentwicklung der homosexuellen Lebensweise zu verwenden. Nur wenige Kultureinrichtungen lehnen solche Bedingungen ab.“ Das Resultat sei, dass es immer weniger Angebote aus dieser Richtung gebe. Und auch inhaltlich sei man vorsichtiger geworden. Für ihr eigenes Projekt bekamen sie keinen Cent Unterstützung, vielmehr werden die vier KünstlerInnen von der gegenwärtigen Verwaltung in den USA als degeneriert bezeichnet.

Trotz des Antidiskriminierungsgesetzes von 1978 werde die Angst vor Homosexuellen geschürt. „Bei der Armee dürfen sie sich nicht zu ihrer Sexualität bekennen, ansonsten werden sie entlassen. Man versucht einen gemeinsamen Nenner zu schaffen mit den rechtsreligiösen Menschen, denen suggeriert wird, wenn wir die Homo-Ehe erlauben, ist das der Untergang der westlichen Zivilisation.“

Die Emanzipation der Homosexuellen erinnert Scully an die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner in den USA. „Die Worte Martin Luther Kings haben auch heute ihre Berechtigung: ,Es ist keiner frei, bis wir alle frei sind“.“

Große Fragestellungen also für einen Tanzabend, der erst einmal als öffentliche Probe den Zuschauern offeriert wird. Den Kampf für die Rechte der Schwulen betrachtet Patrick Scully als seine sehr persönliche Innenpolitik. Doch der Schritt in die Außenpolitik ist nur ein kleiner, und der geht alle an.

Fr „Shadow of Cabaret, 20.30 Uhr, Sa „Deeper Shadow“, 20.30 Uhr, danach Gespräch mit dem Kurator des Schwulen Museums Berlin sowie ein Konzert mit Potsdamer Jazzmusikern, u.a. mit Olaf Mücke.

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