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Kultur: Träume für alle, weil wir sie brauchen

Gerhard Schöne verabschiedete sich mit einem Doppelkonzert von Eiche

Gerhard Schöne verabschiedete sich mit einem Doppelkonzert von Eiche Möwen schreien, es zischt und braust, der Wind peitscht in die Wellen – für Minuten verwandelt sich mit Hilfe des Publikums das Kirchenrondell in eine aufbäumende See. Käpt’n Thomas hat Not, sein kleines Boot durch die Gischt zu führen – weg von den Eltern, die ihn so wenig verstehen. „Nur wegen der ,Fünf’ so ein Riesentheater. Das hält er nicht aus, er läuft weg von zu Haus.“ „Thomas, der Meeresbezwinger“ hat auf dem vollbeladenen Lied-Tanker Platz gefunden, den Gerhard Schöne bei seinem Abschiedskonzert in Eiche durch alle Höhen und Tiefen des menschlichen Miteinanders manövriert. Er eckt an, wo immer es sein muss, balanciert aus, wo es der Seele danach brennt. Mit der Klampfe vor dem Bauch streichelt der Sänger alle hellen und dunklen Seiten des Lebens, schlüpft mit poetisch-gewandter Stimme in die Rolle des Anwalts der Schwachen, Suchenden, Verzweifelten. „Es kann heilsam sein, wenn ein Mensch erzählt und singt“, heißt es in einer jiddischen Parabel, die er sich zu eigen gemacht hat. „Musik und Lieder können von der Angst befreien. Deshalb singe ich so gerne“. Und das nun schon 40 Jahre lang. Gerhard Schöne läutet mit seinem sonnabendlichen Doppelkonzert nicht nur den Umzug von Eiche nach „Siebeneichen“ in Meißen ein, er feiert zugleich auch ein Bühnenjubiläum. Und so wird aus seinem locker zusammen gestrickten, bestbesuchten Programm auch eine kleine private Zeitreise. In der 7. Klasse war er, als er sich mit selbstverfassten Schlagerparodien bei den „Jungen Talenten“ erstmals vor die Zuschauer wagte. Aus „Marmor, Stein und Eisen bricht“ wurde bei ihm „Weine nicht, wenn der Vater sagt: Ins Bett!“ Er singt es noch heute mit rockig-jugendlichem Pep, sein schulterlanges Haar wippt unter der grünen Wollmütze gezügelt mit. Später dann, als die Welt immer mehr aufrüstet, setzt der junge Dichter seine Beklemmung und Angst wiederum in Liedern um. Mit pathetischem Ausdruck, wie er heute meint. Natürlich macht auch die Liebe keinen Bogen um sein Gemüt. „Sie hieß Annett“, singt er mit Herz und Schmerz auf Simon & Garfunkels „Boxer“-Melodie. Die anderthalb Jahre Bausoldat will er nicht als „tote Zeit“ verschwenden, er findet in seinen Liedern eine Gegenwelt zum Stumpfsinn um ihn herum. In einem fensterlosen Kühlschrankraum mit summenden Neonröhren schreibt er die ersten Kinderlieder, auch „Thomas“ erblickt in diesem „Käfig“ das Licht der Meereswelt. 1981 erscheint schließlich seine erste LP, „und mein Produzent sagte, die romantischen, sanften Lieder würden mir besonders liegen. Das zeige auch die Presseresonanz. Bei solchen Ratschlägen bin ich meist skeptisch. Auch was verunsichert und belastet, muss besungen werden.“ Und schon katapultiert sich Gerhard Schöne musikalisch als Bräutigam vor den Altar, verkleidet mit Anzug und Fliege und allem Trara. Er bedient die Erwartung – und läuft neben sich her. Die Zeitschleifen werden größer – und Schöne stellt fest, dass Kälte und Gewöhnung zugenommen haben. „Da liegt eener, bestimmt nur ’n Penner. Guck weg, geh weiter. Uns hilft doch och keener“, singt er gegen den Egoismus an. Menschen, die auf alles eine Antwort haben, seien ihm verdächtig. Ihn inspirieren Fragen; „Fragen, wo sitzt das Unbehagen: Worauf könnten Sie sofort verzichten? Würden Sie gern mit Ihrem Enkel tauschen? Ist es abgedroschen: ,Ich liebe dich, zu sagen?’“ Gerhard Schöne pfeift, zupft, singt, erzählt sich durch den Abend – bricht die großen Fragen des Lebens auf ein menschliches Maß herunter. All’ seine „Helden“ kommen einem bekannt vor: die Friseusin Anna, die ihren Kunden so tief ins Herz schaut, der Vater, der erst im Alter Zeit und Milde findet und auch Teddy-Harald, der Tröster in allen Momenten. Sein Liedtanker treibt munter umher, vor Anker geht er noch lange nicht. Schöne hat noch viel zu erzählen, und die Zuhörer hängen gebannt – mit einem wissenden Lächeln und einer kleinen Traurigkeit – an seinen Lippen: Es sind auch ihre Geschichten, die er erzählt und Träume, die wir alle brauchen. Heidi Jäger

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