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Von Klaus Büstrin: Unverbrauchte Götterfunken

Jugendliche Aufführung von Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie im Nikolaisaal

„Die Neunte“ – ein Party- und Silvesterkracher? Ja, das Spätwerk Ludwig van Beethovens, seine Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125, ist längst zur Festtagsbeilage und zur Feuerwerksmusik der Deutschen verkommen. Wenige große Dirigenten setzen das Werk regulär aufs Programm. Die abgenudelte Schluss-„Ode an die Freude“ hinterlässt selbst zu Schillers 200. Todestag meist nur hohles Pathos. Und bei manchen Veranstaltern gibt‘s anschließend noch Orffs „Carmina burana“ oder Höhepunkte aus „Schwanensee“ getanzt. Es ist regelrecht ein Jammer mit Beethovens Neunter.

Dabei ist das Werk, dessen abrupter Schlusschor die Leute einst schockierte und dessen Riesenausmaße eine Art heroischer Monumentalität predigte, ein Meisterwerk. Dies versuchten die Kammerakademie Potsdam und ihr Noch-Chefdirigent Michael Sanderling am Jahresende im Nikolaisaal deutlich zu machen.

In den siebziger und achtziger Jahren gehörte „die Neunte“ zu den meistgespielten Werken in Potsdam. Jährlich erklang sie zum Abschlusskonzert der Musikfestspiele Sanssouci in mehr oder weniger gelungenen Freilichtaufführungen am Neuen Palais. Nach der Wende kommt das Riesenwerk in der Landeshauptstadt nur noch sporadisch aufs Konzertpodium. Es ist eben mehr als Zugabe für festliche Stunden.

Michael Sanderling schickte einen zahlenmäßig überschaubaren Orchesterapparat auf die Reise durch die Partitur voller Ecken und Kanten. Bereits die ersten Takte waren nicht mehr Ausdruck einer düster-ahnungsschwangeren Ursuppe wie beispielsweise zu Karajans Zeiten, sondern ein geradezu nervöses Vorwärtsdrängen. Keine Spur von routinehafter Abnutzung. Aber ein wenig gehetzt wirkten die beiden ersten Sätze dennoch, so dass man Angst hatte, jetzt würde den Musikern der Atem ausgehen. Leider pflegten die Streicher eine zum Teil harsche Artikulation, die in Staccato-Passagen zuweilen einen fast perkussiv spitzen Ton verursachte, insbesondere im Scherzo.

Das Adagio ist, wie Joachim Kaiser feststellte, für Musikliebhaber ein Heiligtum. Dieser Satz, der tiefe Ruhe und wunderbaren Frieden ausstrahlt, gelang dem Orchester im rein instrumentalen Teil der Sinfonie am besten, weil vor allem die Streicher dabei ein schönes kantables Legato- und Portato-Spiel zeigten. Hierbei konnte man auch beobachten, wie lebendig die Orchestermusiker miteinander kommunizieren, wie harmonisch die Stimmen ineinander übergehen und miteinander verschmelzen. Beim freudebrausenden Finale mit Schillers Ode „An die Freude“ waren zwei Potsdamer Chöre beteiligt: der Neue Kammerchor (Einstudierung: Ud Joffe) sowie der Chor des Helmholtz-Gymnasiums (Einstudierung: Helgert Weber). Durchweg junge Leute, die auf der Bühne standen, nicht nur im Orchester, sondern auch im Chor und bei den tadellos singenden Solisten Sophie Klußmann, Sopran, Olivia Vermeulen, Mezzosopran, Michael Smallwood, Tenor, und Julian Orlishausen, Bass.

Mit all diesen feinen und beweglichen Stimmen strebte Michael Sanderling kein dickes opernhaftes Finale an, sondern ein ganz natürliches und stringentes Musizieren. Mit ihnen konnte der Dirigent in die „Freude, schöner Götterfunken“ ganz frische und unverbrauchte Götterfunken schlagen. Den beiden Chören gilt aber ein besonderes Lob, haben sie die hohen stimmlichen Anforderungen des Werkes mit viel Engagement, Wortverständlichkeit und stimmlicher Rundung großartig verbunden.

Das festlich gestimmte Publikum vernahm Beethovens und Schillers Utopie von der Brüderlichkeit mit gespannter Aufmerksamkeit und dankte allen Mitwirkenden mit einem enthusiastischen Beifall.

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