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Kultur: „Wir im Finale“

Fußballfieber auch im Hans Otto Theater: Heute ist die letzte Premiere in der Blechbüchse

„Um Deutschland im Finale zu sehen, muss man ins Theater kommen“, sagt Anne-Sylvie König. Mit ihrer Prognose stehe sie nicht allein, so die Regisseurin. Auch Friedrich, Herbert und Andreas – drei richtige Schiedsrichter, die ab heute auf der Bühne der Blechbüchse pfeifen – hegen starke Zweifel, dass Deutschland über das Achtelfinale hinaus kommt.

Der Titel der Inszenierung suggeriert indes einen anderen Ausgang: Da heißt es ganz selbstbewusst: „Wir im Finale“. „Dieses Stück von Marc Becker richtet sich gleichermaßen an Fußballfans und Fußballmuffel“, betont Anne-Sylvie König. Allerdings werden die elf „Spieler“ ganz ohne rundes Leder in der 90-minütigen Produktion auskommen und dennoch die Blechbüchse in ein emotionsgeladenes Stadion verwandeln. Die Elf besteht nicht aus strammwadigen, virtuosen Kickern: Hier haben vier Sportkommentatoren, ein DJ-Trainer, drei Privatpersonen (allesamt Schauspielstudenten der HFF) und eben die drei Schiedsrichter die Spielfäden in der Hand. Was auf dem Feld passiert, kann der Zuschauer nur den Spielberichten der Kommentatoren entnehmen, auf die der Spot gerichtet ist. Die zwei männlichen Reporter geben sich ganz intellektuell bzw. penibel genau, mit Zahlen jonglierend. In den weiblichen Moderationen hört man die Spielberichte indes kernig-rockig und elegant-erotisch, macht die Regisseurin neugierig.

Sie selbst sei seit ihrer Kindheit Fußball begeistert. „Früher bin ich mit meinem Vater und meinem Bruder zu Eintracht Frankfurt gegangen. Allerdings haben sie immer verloren, wenn ich mit dabei war.“ Heute drückt sie Hertha BSC die Daumen und ist zumeist die Glücksbotin. „Aber eigentlich bin ich St.Pauli-Fan, schon allein wegen ihres überzeugenden braun-weißen Outfits.“ Wenn sie zu Hertha geht, sitze sie natürlich in der Ostkurve, wo die Leidenschaften toben, wo Wellen, Echo-Gesänge, Höhen und Tiefen durchlebt werden. „Denn eigentlich sind ja die Zuschauer die Hauptfiguren des Fußballspiels.“ Und da kommt sie auch schon auf die philosophisch-psychologischen Aspekte zu sprechen, die natürlich in dem Theaterstück auch eine Rolle spielen. „Wir wollen ganz nebenbei etwas über Deutschland erzählen, und dazu schauen wir parallel auch auf das Leben von drei Privatpersonen, die nicht direkt etwas mit der Weltmeisterschaft zu tun haben.“ Die Schiedsrichter (zwei sind pensioniert) geben wiederum Nachhilfe in puncto Foul, Abseits oder Einwurf. Und der DJ fädelt in rasanter Schnitttechnik seine Musik ins Geschehen ein. Das wird durch fünf Tore seine euphorischen Spitzen bekommen. Musik und klare Lichtzeichen werden die verschiedenen Ebenen in den richtigen Spielfluss bringen, so die Hoffnung Anne-Sylvie Königs. „Es ist aber schon eine harte Nuss für einen Regisseur, den Becker-Text zu knacken. Er bietet nur Textflächen, keine Dialoge. Die wollen erst einmal lebendig gestaltet sein.“ Untertitelt habe Becker sein Stück: „Material für einen patriotischen Abend“ und so werden dann auch immer wieder theoretische Fragen reflektiert: Woran lässt sich Glück messen? Wie sehr braucht man den Erfolg? Wie bewerten wir uns selbst?

„Das Selbstvertrauen der Deutschen ist ja oft recht angeknackst, und wenn wir verlieren, wird sicher viel Bitterkeit folgen.“ Den Kommentar: „Wir können ja gar nichts mehr“, könne sie schon förmlich hören. „Ich sehe da einen Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Niedergang und dem politischen Desinteresse. Misserfolge der deutschen hochbezahlten Mannschaft würden diesen Pessimismus sicher weiter schüren. Dabei sind wir doch unterwegs, um mit Marc Becker zu sprechen.“ Sollte Deutschland trotz des großen Drucks gewinnen, werde das der Nation wirklich Impulse geben? Für Anne-Sylvie König ist das Stück nicht nur psychologisches Theater und auch nicht nur Sport – der Mix mache es. Und wenn ihre Hoffnungen aufgehen, könnten an den neun Fußball-getränkten Theaterabenden zwei gegensätzliche Zielgruppen nebeneinander sitzen: der kulturell interessierte Fußballfan neben dem Fußballlaien. „Die harten Hertha-Fans werden vielleicht nicht kommen, obwohl ich auch sie gerne hier hätte.“ Am meisten würde sie sich für diese allerletzte Produktion in der Blechbüchse aber etwas vom brasilianischen Feeling wünschen. Das letzte Spiel werde natürlich auch im Theater am 9. Juli abgepfiffen. Dort heißt es auf jeden Fall „Wir im Endspiel“.

Premiere heute 20 Uhr Theaterhaus, um 18 Uhr Live-Übertragung Deutschland-Costa Rica (Eintritt frei).

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