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Kultur: Zauberkräftige Schatten

Das Meininger Puppentheater eröffnete die KinderkulturTage mit „Der standhafte Zinnsoldat“

Das Meininger Puppentheater eröffnete die KinderkulturTage mit „Der standhafte Zinnsoldat“ Wer verkriecht sich nicht gern mal in sein Bett, zieht die Decke über den Kopf und flieht in eine bunte Traumwelt. Auch Hans Christian Andersen sehnt sich nach dieser erholsamen Insel, als er winkend auf seinem Balkon steht und den Leuten im dänischen Odense dafür dankt, dass ihm die Ehrenbürgerschaft verliehen wurde. Doch statt sich in seinem Ruhm zu sonnen, denkt er unentwegt an seine Zahnschmerzen. Müde und alt fühlt er sich, und auch zu erschöpft, um sich hinzuknien, und Kindern weiterhin seine Geschichten zu erzählen. „Lasst mich doch einfach nur noch schlafen und träumen“, bittet der Dichter und zieht sich auf seine Schlafstatt zurück. Und als er sich so seine Kissen zurecht ruckelt, plustern sie sich plötzlich auf und quillen förmlich über vor Leichtigkeit und kuschliger Fülle. Die Kinder in den Theaterreihen halten fast den Atem an, als aus dem flachen weißen „Laken“ plötzlich ein großes Zelt erwächst: „Das ist ja geil“, flüstern einige euphorisch, andere schmiegen sich ängstlich und zugleich auch neugierig an ihre Betreuerinnen. Doch nicht genug mit der Überraschung: Nun werden die kleinen Zuschauer in der Reithalle A auch noch gebeten, sich von ihren Plätzen zu erheben und mit in das aufgebäumte „Federbett“ zu steigen. Mutig, aber auch zögerlich ergreifen die Kinder von dem gemütlichen „Iglu“ Besitz, schwingen sich auf den ausgebreiteten Sitzkissen zu kleinen Traumfängern auf. Und hier, in dieser verwunschenen Welt, steht er wieder voll im Saft, der abgetourte Märchenerzähler, der zuvor wie ein altes Grammophon seine Lieder nur noch herunterschnurren konnte. Er legt sein dickes Märchenbuch auf einen hohen schlichten Tisch und schon beginnt sich die bunte Zauberwelt zu drehen. Die Kinder kommen aus dem Staunen nicht raus: Das Meininger Puppentheater eröffnet die Internationalen KinderkulturTage mit Andersens Geschichte „Der standhafte Zinnsoldat“ sehr märchenhaft und doch sehr heutig. Wunderschöne Schattenbilder entsteigen den aufgeklappten Pappdeckeln und umkreisen die aufgekratzten Gemüter. Stefan Wey verleiht als kraftvoller Erzähler den scherenschnittartigen Figuren seine eindringliche und warme Stimme. Der bei Andersen noch etwas schablonenhaft daher kommende Zinnsoldat wird in dieser poetisch-dicht gewebten Inszenierung eine spannende Figur. Er wurde wie seine 24 „Brüder“ aus einem alten Löffel gegossen, doch bei ihm ging das Material aus: So fehlt ihm nun das zweite Bein. „Militärisch ist er eine Null, aber taktisch-strategisch könnte man ihn vielleicht noch am Hang einsetzen“, lästern seine Artgenossen. Trotz dieser Hänselei ist der einbeinige Zinnsoldat sehr standhaft und schlägt sich wacker durchs Leben. Vor allem weil ihm die Liebe Flügel verleiht. Denn er hat sich in die kleine Tänzerin verguckt, die wie er auf einem Bein stehen kann. Allerdings wohnt sie nicht zusammengepfercht in einer Kiste, sondern in einem schönen Schloss aus Papier. Und plötzlich fängt sie wirklich an zu tanzen, flirrt leibhaftig auf Spitzen durch das Zelt (Michelle Haugen). Als der verliebte Soldat dann durch einen heftigen Windzug mir nichts, dir nichts aus dem Fenster fällt, im Rinnstein landet und schließlich auf einem Papierboot zur fetten Kanalratte schwimmt, bleibt er tapfer, lässt sich die Angst nicht anmerken. Seine Odyssee treibt ihn immer weiter: bis in den dunklen Bauch eines großen Fisches. Doch selbst da verzagt er nicht. Zu Recht: Am Ende landet er wieder auf dem Tisch seines Zuhauses – und bei seiner Tänzerin. Als am Ende der standhafte Soldat im Feuer schmilzt und auch das schöne Mädchen in Flammen aufgeht – war es da nicht die Glut der Liebe, die sie vereint? Die Kinder haben nicht lange Zeit, darüber nachzudenken, denn plötzlich öffnet sich das „Dach“ des Zeltes, fällt die bunte Traumwelt wieder in sich zusammen. Es war eine prall gefüllte knappe Stunde: voller Verzauberung, witziger Dialoge, sinnträchtiger, von Licht durchfluteter Bilder, dramatischer Musik, spannender Abenteuer. „Der standhafte Zinnsoldat“ zeigte sich im besten Gleichgewicht. Heidi Jäger

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