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Kultur: Zum Zuhören verurteilt

Dobberkes Interviews führten zurück zum Potsdamer Theater in der Wende. Es folgte ein osttriefig geleitetes „Gespräch“, das zur Ein-Mann-Show mutierte

Dobberkes Interviews führten zurück zum Potsdamer Theater in der Wende. Es folgte ein osttriefig geleitetes „Gespräch“, das zur Ein-Mann-Show mutierte Es hätte ein spannender Abend werden können – hätte man nicht Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann aus dem Urlaub geholt. Der PDS-Landtagsabgeordnete sprang in die Bresche, um in der Reithalle A für die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Diskussion über „Theater und Gesellschaft“ zu moderieren. Doch statt sich auf sein Ersatzspiel für Andreas Trunschke zu beschränken, lief er zur eitlen Höchstform auf und verwies kurzerhand die Gesprächsteilnehmer auf die „Ersatzbank“. Mit der Schauspielerin Jutta Wachowiak, dem ehemaligen Cottbuser Intendanten Christoph Schroth und dem Potsdamer Theaterchef Uwe Eric Laufenberg saßen ihm hochkarätige Partner zur Seite, die gewiss viel zu dem Thema zu sagen hatten – wenn er sie denn gelassen hätte. So driftete das Ganze zur Ein-Mann-Show ab, die sich in DDR–Triefigkeit ergoss und kaum zu ertragen war. Dabei hatte Claus Dobberke mit seiner gefilmten Interviewfolge über den gesellschaftlichen Umbruch am Hans Otto Theater eine gute Steilvorlage geliefert. Zu Worte kamen darin die ehemaligen Intendanten und auch andere Mitarbeiter des Hans Otto Theaters. Einige Episoden machten deutlich, gegen welche ideologischen Plattheiten sich die Künstler zu DDR-Zeiten wehren mussten. So erinnerte sich Peter Kupke, wie er noch am Berliner Ensemble Brechts „Puntila“ inszenierte. Darin gibt es den Satz: „Der Kaffee wird immer schlechter“. Zu der Zeit war nun gerade der Kaffee knapp und es wurde ein Ersatzgemisch verkauft. Die SED mokierte sich über den „der Partei zuwiderlaufenden Applaus“, der bei den Vorstellungen punktgenau einsetzte. Kupke sollte also den Satz ausmerzen. Der Regisseur wusste gut gegen zu halten: „Im Theater sehen dieses Stück vielleicht 3500 Zuschauer, mit Mundpropaganda erfahren etwa 10 000 Leute etwas davon. Wenn wir den Satz aber streichen, greift vielleicht der RIAS den Fall auf und titelt: ,Brecht wird zensiert.’ Das würden dann sicher 1,5 Millionen Leute hören.“ Nicht immer gelang so eine Argumentationskette. Als in Potsdam „Der Revisor oder Katze aus dem Sack“ gespielt wurde, kam es zu einer radikalen Absetzung bis hin zum Versuch der Ablösung des Intendanten Gero Hammer: „Und das bei einer völlig harmlosen Inszenierung“, so der gescholtene Hammer. Der Autor Jürgen Gross hatte den Revisor-Plott von Gogol in die DDR verlegt, „es war eine Systemkritik, die Ross und Reiter benannte, aber schon ein bisschen Kabarett war.“ Zur dritten Aufführung sei dann inkognito auch Günther Jahn gekommen. „Der Chef der SED-Bezirksleitung regte sich anschließend fürchterlich auf, ich wurde heruntergeputzt wie auf dem Kasernenhof vom Spieß. ,Du bist die längste Zeit Intendant gewesen’, so seine Drohung.“ Heinz Vietze, ebenfalls von der SED-Bezirksleitung, habe dann das Ganze ein bisschen zu glätten versucht. Aber das Theater sollte sich auf jeden Fall korrigieren. Kurz darauf kursierte in der Theaterkantine ein Brief vom damaligen Oberbürgermeister Manfred Bille. Er hatte dem Schauspieler Michael Walke, der im Revisor die Rolle des Bürgermeisters spielte, geschrieben, dass er sich gegen eine derartige Darstellung seiner Person auf der Bühne verwahre, außerdem sei seine Frau gar nicht drogenabhängig. „Alles bog sich vor Lachen, so absurd dumm war das Ganze.“ Es folgten weitere Briefe von anderen Funktionsträgern, die sich auf der Bühne ebenfalls wiederentdeckten und an den schauspielernden „Kollegen“ ihre Wut abließen. „Wir haben das Stück nur noch zwei Mal gespielt. Manche sagten: ,Das ist die typische Feigheit von Hammer.’ Aber ich habe es abgesetzt“, so der ehemalige Intendant in dem Dobberke-Interview von 2002. Für den Schauspieler Eckhard Becker war die Vorwendezeit die vitalste. „Wir merkten, wie wichtig wir für die Bevölkerung waren.“ Die Theater forderten in ihren Stücken echte Demokratie ein und trugen so sicher auch zur Wende bei. „Aber eingeschlagen wie eine Bombe hat erst das Verbot des sowjetischen Kulturmagazins ,Sputnik’“, so Hammer. „Die Wahlmanipulation kam dazu.“ Sein Weggang von Potsdam habe primär mit dem Kampf um den Theaterneubau auf dem Alten Markt zu tun. „Ich war mit dem Drängen zum Abriss nicht einverstanden, und der OB Gramlich drohte mir damals: ,Sie werden untragbar, wenn sie damit nicht aufhören. Ein selbst ernannter Theater-Sprecherrat sollte dann mit demokratischem Anstrich die politische Veränderung herbeiführen.“ Hammer mutmaßte in dem Interview, dass sich dieses Gremium auf Veranlassung von Gramlich gegründet haben könnte. Der Sprecherrat wurde dazu leider nicht befragt. Vom damaligen Mitglied KPM Wulff war nur zu hören, dass die neuen Politiker Hammer nicht mitgetragen hätten. Schauspieler und Sprecherrats-Mitglied Christian Kuchenbuch räumte ein, dass Hammer viele Sachen zugelassen und geschützt habe, es aber eben Zeit für frischen Wind gewesen sei. Der Schauspieler Torsten Bauer, der zu den engagiertesten in der Wendezeit gehörte, fehlte in dem Gesprächsreigen. Auf Gero Hammer folgte der Schweizer Guido Huonder, „ein richtiger Egomane, der für sich und das Theater kämpfte. Das war wichtig, denn die Politik hätte liebend gern das Theater abgewickelt“, wusste Bühnenbildner KPM Wulff zu berichten. Huonder selbst erzählte, dass er damals kaum konzeptionell arbeiten konnte. „Jeden Morgen war ein anderes Problem da“: auch zwischen den Ost- und Westkollegen. Besonders drastisch bekam er die Politik zu spüren, als die Reithalle A zur Spielstätte werden sollte. Am Tag der Eröffnung mit Taboris „Der Großinquisitor“ wurde sie ohne jede Vorwarnung kurzerhand baupolizeilich gesperrt. Dobberkes Zusammenschnitt kurbelte die Erinnerung der vielleicht 50 zumeist älteren Besucher – vor allem vom Theater und von der PDS – tüchtig an und sorgte in der Pause für viel Gesprächsstoff. Doch leider ging es dann in die zweite Runde - und besagte Plaudertasche Dr. Hoffmann hub zu seiner auch rhetorisch nervigen Selbstbespiegelung an, dabei von einem Fettnäpfchen ins andere tretend. Die drei Gesprächsgäste zeigten gute Miene zum „bösen“ Spiel. Immer wieder „reiste“ Hoffmann nach Schwedt, wo es seiner These nach nur noch ein Theater gäbe, weil Stücke aus und über die DDR-Zeit auf dem Spielplan stünden. Mit lauter Arbeitslosen im Publikum würde ein Spielplan wie in Potsdam dort nicht funktionieren. Laufenberg fuhr ihm bei seiner unentwegten Ostalgie-Beschwörung in die Parade: „Gerade wenn Arbeitslose im Zuschauersaal sitzen, wollen sie vielleicht auch etwas über sich heute erfahren.“ Da helfe ihnen „Sonnenallee“ nicht. Die Wende sei immerhin 15 Jahre vorbei. „Wir wollen den Leuten die Chance geben, sich selbst zu begegnen.“ Für ihn sei die DDR nur ein Kapitel in der reichhaltigen Geschichte. Auch Jutta Wachowiak betonte, dass Theater längere Wege der Rezeption zulassen müsse. Im Blick zurück auf ihre Potsdamer Zeit unter Kupke sagte sie, dass diese eine einzige Niederlage gewesen sei: „Ich fand sie angestrengt und unfröhlich“. Laufenberg, der auch im Westen die DDR-Inszenierungen wahr nahm, verwies darauf, dass das Publikum heute ein anderes Verhältnis zu den Mächtigen habe als früher. „Heute kann Schlingensief auf der Bühne sagen: ,Tötet Helmut Kohl’ und nichts passiert.“ Christoph Schroth pflichtete ihm bei: „Es werden neue inhaltliche Anforderungen an die Theater gestellt. Wir können nicht wie in der DDR-Zeit weitermachen. Theater muss sich von den Medien abgrenzen, seinen unverwechselbaren Stil finden.“ Spannend wäre sicher gewesen, wenn auch Gero Hammer mit auf der Bühne gesessen hätte, um so einen Potsdamer Bogen bis zu Laufenberg zu schlagen. Und auch im Publikum saßen Gäste, die man gern gehört hätte: wie die einstige OB Hanke oder Ex-Minister Enderlein. Aber auch das scheiterte an dem selbstverliebten Urlauber, für den die Uhren anders ticken. Heidi Jäger

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