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Kultur: Zwischen Angst, Wut und Aufbegehren

Das Jugendstück „Port“ hatte im Blechhaus Premiere

Das Jugendstück „Port“ hatte im Blechhaus Premiere Von Heidi Jäger Sie versprüht ihre Energie wie ein ausgebrochener Vulkan. Mit voller Kraft wirft sich Alexandra Röhrer in ihre Rolle und entfacht ein wahres Dauerfeuer. Doch ihre eruptiven Entladungen verlöschen am Anfang des Premierenabends, ohne beim Zuschauer wirklich Funken zu schlagen. Alexandra Röhrer steht in dem Jugendstück „Port“ vor der schwierigen Aufgabe, das 11-jährige Mädchen Racheal zu einer jungen Frau heranreifen zu lassen. Im flotten, videoclip-artigen Schnitt durchschreitet sie ihre familiären Abgründe, die sie sehr früh auf sich selbst zurück werfen. Schon das erste Bild schleudert dem Publikum die ganze Wucht der aufgehäuften Probleme entgegen. Racheal sitzt mit ihrer Mutter (Katja Amberger) und ihrem jüngeren Bruder Billy (Niels Heuser) im Auto. Sie schlagen sich dort vor dem eigenen Wohnblock die Nacht um die Ohren, weil sie der Vater ausgesperrt hat. Racheal lässt ihrer Wut freien Lauf, zankt mit dem Bruder, fleht die gestresste Mutter an, diesen kranken Typen da oben doch einfach gemeinsam zu verlassen. Ja, sie werde abhauen, sagt die Mutter: „Aber ich verpisse mich allein, ohne Klotz am Bein. Euch zwei lasse ich bei dem Arschgesicht.“ Es geht auch verbal sehr drastisch zu in diesem Stück über die untere Schicht in der englischen Industriestadt Port. Wie oft das Wort „Scheiße“ fällt, vermag man kaum zu zählen. Aber es ist natürlich auch Ausdruck einer sprachlichen Verarmung vieler Jugendlicher, die der 34-jährige Autor Simon Stephens versucht, so authentisch wie möglich einzufangen. Racheal gehört zu den Starken ihrer Clique, die es schafft, sich dem Gruppenzwang zu entziehen. Oft schwankt sie zwischen Angst, Wut und Aufbegehren. Aber sie rückt sich immer wieder zurecht, obwohl ihr Lächeln mitunter wie eingemeißelt wirkt. Auch ihr leicht nach vorn gebeugter Oberkörper zeigt die Last, der sie sich zu stellen hat. Da stirbt der Großvater, der einzige, dem sie sich anvertrauen kann. Der Bruder fängt an zu klauen und spielt den coolen Typen, zu dem die anderen aufschauen sollen. Die sehr karikaturhaft gezeichnete Großmutter sinniert wiederum schwerhörig im Pflegeheim vor sich hin und verweigert der Enkeltochter finanziellen Beistand. Eine breite Palette seelischer Notstände, der sich Racheal erwehren muss. Alexandra Röhrer versucht diesem Gefühlschaos mit großer Aufgedrehtheit beizukommen. Kindsein wird mit ungestümer Quirligkeit interpretiert, um sie vom späteren Erwachsensein abzusetzen. Doch vieles bleibt dabei noch zu äußerlich, die übersprudelnden Bewegungen werden nicht immer zur Bewegtheit. Erst im letzten Bild vor der Pause tourt die Darstellerin zurück und zeigt in der aufkeimenden Liebesgeschichte mit ihrem Supermarkt-Arbeitskollegen Danny (Sebastian Wirnitzer) auch andere, weichere Facetten. Hier beginnt es, spannend zu werden – und diese Konzentration bricht auch nach der Pause nicht ab. Racheal ist inzwischen erwachsen und möchte mit ihrem Mann Chris in einem kleinen Hotel in das neue Jahrtausend hinein feiern. „Für mich ist es ein Anfang“, sagt sie hoffnungsvoll und schminkt sich dabei ihr schönes Gesicht. Was so harmonisch beginnt, eskaliert im nächsten Augenblick in einer jähzornigen Eifersuchtsszene. „Du bist genauso beschissen wie Dad“, schreit Racheal ihrem brutalen Gatten entgegen. Die Doppelbesetzung Axel Strothmanns für beide Männerrollen unterstützt auch äußerlich diese Feststellung. Dennoch ahnt man bei beiden Männern die lange Vorgeschichte, die zu ihrer Verrohung führte. Die Inszenierung Philippe Bessons ist nicht auf schnelle Urteile aus. Auch Nebenfiguren, wie die des sabbernden Entblößers, die Ronald Funke trefflich füllt, wirken gebrochen. Racheal schafft es schließlich, sich aus ihrer unglücklichen Ehe zu befreien und kehrt ihrer Heimatstadt für Monate den Rücken. Ein Abstand, der ihr hilft, sich über vieles klarer zu werden. Auch in ihren Gefühlen. Denn eigentlich ist es der inzwischen verheiratete Danny, dem sie sich zugehörig fühlt. Die Wiederbegegnung mit ihm gehört zu den eindrücklichsten Szenen. In dem etwas verkrampft-hölzernen Dialog schwingt sehr viel Unausgesprochenes mit, was die Figuren menschlich nahe bringt. Alexandra Röhrer und Sebastian Wirnitzer gelingt es hier, mit kleinen Gesten Spannung zu schüren. Man spürt die Sehnsucht und Traurigkeit über die verpassten Momente im Leben. Als Danny sich schließlich mit den Worten „Du kriegst das hin“ verabschiedet, erwidert Racheal nur schlicht: „Das sagen alle dauernd.“ Nach 13 Jahren schließt sich der Kreis: Am Ende sitzt Racheal mit ihrem Bruder Billy wieder in dem Auto vor der Wohnung des Vaters. Billy (differenziert ausgelotet) ist inzwischen vorbestraft, hat sich aber immer noch seine Träume bewahrt. Auch der Vater habe sich verändert, ist ruhiger geworden, versichert Racheal. Sie selbst wird sich nun – wie einst die Mutter – allein auf den Weg machen. Aufs College, um später Krankenpflegerin zu werden. Sie wird es schaffen. Bestimmt. Mit dieser Gewissheit verlässt der Zuschauer das Theater. Und trotzdem bleibt ein Stück Traurigkeit. Nach der anfänglichen Distanz wird das Publikum schließlich doch in das Geschehen hinein gezogen, das so auch vor der unmittelbaren Haustür spielen könnte. Schon der Foto-Fries im Foyer mit Potsdam-Motiven abseits der Touristenpfade weckt diese Assoziation. Gabriella Ausonio kam der Hallencharakter der Blechbüchse für ihr karges Bühnenbild sehr zu pass. Im grellen Neon-Licht-Geflacker verändern sich die Schauplätze und bleiben doch immer ähnlich. Die aufgehende Sonne hinter dem Hügel vermag nicht alles zu erwärmen.

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