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Potsdam-Mittelmark: „Auf die Bürger konnte ich mich immer verlassen“

Seit 41 Jahren ist Siegfried Sagert das Oberhaupt von Schäpe – Dabei nahm er es sogar mit Panzern auf

Beelitz · Schäpe - Als Siegfried Sagert sein Amt antrat, sah die Welt noch ganz anders aus: Deutschland war geteilt, die Berliner Mauer stand erst seit kurzem. Diesseits des Eisernen Vorhanges hatte die Sowjetunion zirka 500 000 Soldaten auf dem Gebiet der DDR stationiert und damit ihren Machtanspruch unterstrichen. Auf dem Land wurde mittlerweile in Genossenschaften produziert, viele der ehemaligen Grundbesitzer waren längst geflohen. All dies hatte auch Einfluss auf das Leben in dem kleinen Ort Schäpe, dessen Bürgermeister Sagert seit nunmehr 41 Jahren ist.

Der 69-Jährige gehört zu den dienstältesten Kommunalpolitikern im Land. 1963 wurde er Sekretär des Rates der Gemeinde, zwei Jahre später Bürgermeister. Kürzlich wurde er mit der Beelitzer Ehrennadel ausgezeichnet, schließlich gehört Schäpe seit 2002 zur Spargelstadt. Sagert war in der vorherigen Wahlperiode auch Stadtverordneter. Diese Auszeichnung ist längst nicht die einzige, die er sich ans Revers heften kann. Stolz darauf ist der Rentner trotzdem – und er reicht die Lorbeeren gleich weiter. Denn bei all den Veränderungen in den letzten 41 Jahren sei eines beim Alten geblieben: „Auf die Bürger konnte ich mich immer verlassen.“

In Schäpe gibt es nur zwei Straßen. Der beschauliche 150-Seelen-Ort liegt mitten im märkischen Kiefernforst, nicht weit von hier verläuft die A9 in Richtung Leipzig. Die Einwohnerschaft bestand früher zum größten Teil aus Landwirten, heute findet sich hier auch der ein oder andere Ex-Berliner. Aufgereiht stehen Gehöfte, Kirche, Spargelhof und Gemeindezentrum an der Hauptverkehrsader – der Dorfstraße. Hier befindet sich auch Sagerts langjährige Arbeitsstätte. Das alte Schild am Gebäude mit der Aufschrift „Rat der Gemeinde“ hat er gleich dran gelassen, „das gibt bloß einen Fleck, wenn ich es entferne“, gibt er sich pragmatisch.

Weitere Zeugnisse früherer Zeiten befinden sich im Innern des Hauses, im Büro des Bürgermeisters: In einer Ecke steht noch der alte Kachelofen, in der anderen ein antiker Schrank. Bilder an der Wand zeigen Schäpe aus der Luft. Wenn er hinter seinem schweren Schreibtisch sitzt, entspricht Siegfried Sagert genau den Vorstellungen, die man von einem Brandenburgischen Ortsbürgermeister hat: Er strahlt Ruhe und Vertrauen aus, in seiner Mine liegt Zufriedenheit. Einzig die Augen bewegen sich rastlos über die Papiere vor ihm. Problem erkennen, Lösungen suchen. In diesen Räumen wurden schon viele Lösungen gefunden. Der ergraute Bart und die Brille verleihen dem Ortschef das verdiente Maß an Würde.

In dem Haus befand sich früher die Dorfschule, berichtet Sagert. Hier war er selbst bis 1951 jeden Tag hergekommen, „in Holzpantinen und mit Büchern unter dem Arm“. Erst drei Jahre zuvor war er mit Mutter und Schwester im Fläming gelandet. Wie viele andere musste auch seine Familie nach dem Krieg aus Ostpreußen fliehen. Nach der Schule machte er eine Lehre bei der Maschinen-Traktoren-Station (MTS) und arbeitete hier als Traktorist. 1965 wurde der Posten des Bürgermeisters vakant, der damalige 75jährige Ortschef Gustav Kretschmer hatte nach 16 Jahren sein Amt niedergelegt. Da sich kein anderer zur Verfügung stellte und ihn die Geschehnisse im Ort interessierten, trat der damals 29Jährige Sagert die Nachfolge an. Wechselvolle Zeiten standen ihm und seinen Bürgern bevor.„Die Gemeinde hatte damals viel mehr Verantwortung“, erklärt er den Unterschied zu heute. Sogar für die Gaststätte war der Rat zuständig, 1972 hatte die Ortsspitze um Sagert die Regie über den fälligen Ausbau übernommen. „Viel ist in Eigenleistung gemacht worden, auch wenn vom Kreis 200 000 Mark kamen.“ Mit der Fertigstellung fand sich aber kein Gastwirt und so musste für die ersten drei Monate der Bürgermeister den Ausschank übernehmen. Die Schäper waren schon immer engagierte „Eigenbauer“, „ich musste meistens nur von Haus zu Haus gehen und die Leute zusammentrommeln“. Auf diese Weise entstanden auch das Bestattungshaus - und 1979 eine neue Dorfstraße.

1979 waren 500 sowjetische Panzer durch Schäpe gerollt. Die waren auf dem Weg zu einem Manöver und hatten dabei die drei Meter breite Feldsteinstraße im Ort mit ihren Ketten kaputt gefahren. Der Bürgermeister machte sich für die Reparatur stark – und tatsächlich wurde ihm zugesagt, dass Soldaten der Nationalen Volksarmee den Ausbau übernehmen würden. „Den Unterboden sollten wir machen, aber die Zeit drängte. Der Schotter musste vom Bahnhof Beelitz mit LPG-Fahrzeugen geholt werden.“ Dafür stand das ganze Dorf Spaten bei Fuß und hielt den Zeitplan schließlich ein. Doch die Freude über die neue Straße währte nicht lange. An dieser Stelle setzt Sagert zu seiner Lieblings-Anekdote an: Kurze Zeit später standen die Sowjets abermals mit ihren Panzern vor dem Ortsschild und wollten auf ihrem Weg von Reesdorf nach Salzbrunn hier durch. Dieses Mal trat ihnen der Bürgermeister entgegen. „Ich musste das verhindern. Beim Rat des Kreises war niemand zu erreichen, es war ja schon spät abends.“ Lange diskutierte er mit dem Kommandeur, der nur gebrochen Deutsch konnte. Doch der beharrte auf seinem Marschbefehl. „Er hatte Angst, erschossen zu werden, wenn er den nicht befolgen würde.“

Glücklicherweise kam der Kolonne bereits ein Wagen mit russischer Militärpolizei entgegen. Und die hatte ein Einsehen. „Der Offizier hieß Alexander. Dem habe ich die Feldwege am Ort vorbei gezeigt.“ Und diese haben die Panzer dann auch genommen. Aus Dankbarkeit hatte der Bürgermeister dem Militärpolizisten dann noch eine Flasche Wodka zugesteckt.

Vom Rat des Kreises kam der erhobene Zeigefinger für Sagerts Eigenwilligkeit. „Das ging noch mal gut'', hatte mein Vorgesetzter gesagt.“ Von der nächsten Instanz, dem Bezirksrat, bekam der Bürgermeister dann aber eine Verdienstmedaille für seinen beherzten Einsatz.

Dass der Bürgermeister mit seinem Engagement für das Dorf nicht alleine steht, beweist ein Hefter voller Urkunden, den er aus dem Schrank holt. Schäpe als „produktives und schönes Dorf“ - unzählige Male wurde der Ort zu DDR-Zeiten für die Leistungen im Bau- oder gesellschaftlichen Bereich ausgezeichnet. "Unsere Feuerwehr hat ebenfalls viele Wettkämpfe gewonnen." Bis zu 30 Kameraden waren immer aktiv. Hier gilt das ungeschriebene Gesetz, dass jeder über 16 mitmachen soll.Wie lange werden die Bürger noch auf ihn bauen können? „Nur noch bis zur nächsten Wahl", kündigt er mit etwas Wehmut an. Aber ganz will er die Arbeit für den Ort nicht aufgeben: Bereits jetzt recherchiert er für die Ortschronik. Die Geschichte des Dorfes reicht bis zur urkundlichen Ersterwähnung im Jahr 1342 zurück – 664 Jahre Schäpe, von denen Siegfried Sagert selbst einen beachtlichen Teil mitgestaltet hat.

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