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Von Thomas Lähns: Auferstanden aus dem Ruin

Märkischer Verlag Wilhelmshorst führt DDR-Reihe „Poesiealbum“ fort und will Lust auf Lyrik machen

Michendorf - Bücherverbrennung, Bücherverschimmlung, Bücherverkippung: Es seien drei große Frevel gewesen, welche die Deutschen im vergangenen Jahrhundert an ihrem Kulturgut begangen haben, sagt Verleger Klaus-Peter Anders. Die beiden letzteren sind besonders eng mit seinem Heimatort Wilhelmshorst verbunden: Verschimmeln mussten 1964 Dokumente und Bücher des hiesigen Dichters Peter Huchel, nachdem die örtliche Obrigkeit sein Archiv in einen Schuppen verlagert hatte. Verkippt wurde kurz nach der Wende unter anderem das letzte Heft der beliebten Reihe „Poesiealbum“, das jetzt vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst neu aufgelegt worden ist.

Und nicht nur das: Die ganze Reihe wird fortgesetzt, nach fast zwei Jahrzehnten und mit Autoren, die zu DDR-Zeiten keine Chance auf Veröffentlichung gehabt hätten: Peter Huchel, Ernst Jandl, Esra Pound. Die ersten Hefte sind bereits gedruckt und an Abonnenten verschickt worden. Es sind kleine Sammlungen, mit biographischen Abrissen und einer Laudatio von Kennern angereichert. Der Amerikaner Esra Pound zum Beispiel wird von Ernest Hemmingway gewürdigt.

Die Hefte sollen Lust auf mehr machen, wie Anders sagt. An zirka 500 Abonnenten versendet er, erstaunlicher Weise gibt es in den alten Bundesländern mehr als hier in den neuen. Dies erklärt er damit, dass die Hefte früher am Berliner Bahnhof Friedrichstraße verkauft worden sind. „DDR-Besucher mussten bei der Einreise mindestens 25 D-Mark umtauschen, durften das restliche DDR-Geld nach dem Besuch aber nicht ausführen.“ So hätten viele ihre übrig gebliebenen Pfennige noch schnell in weltbekannte Lyrik investiert.

Vier reguläre Ausgaben und ein Sonderheft werden jetzt pro Jahr herausgegeben, letzteres erscheint zu Weihnachten und greift frühere Auflagen auf. Wie Nummer 275 mit Gedichten von August von Platen. Dass Klaus-Peter Anders überhaupt noch an dieses letzte Heft herangekommen ist, war eine Frage des Glücks und des Geldes: Der Niedersächsische Pfarrer Martin Weskott hatte 1990 zu einer Rettungsaktion für DDR-Bücher aufgerufen, die tonnenweise aus den Regalen gerissen wurden, um Platz für Westware zu schaffen. Ihm fielen auf einer Müllhalde in Leipzig auch einige Expemplare des Poesiealbums in die Hand – druckfrisch und mit den Abschiedsworten der Herausgeberin, denn danach wurde die Reihe eingestellt.

Lauter Jubel sei ihm aus dem Telefonhörer entgegen geschallt, so Anders, als er sein Vorhaben gegenüber der Druckerei in Zeitz vorgestellt hat. Mitarbeiter der damaligen Kombinatsdruckerei arbeiten noch heute in dem Nachfolgebetrieb und können sich gut an „ihr“ Poesiealbum erinnern. In vielerlei Hinsicht gibt es Anknüpfungspunkte: Die ersten zwei neuen Hefte sind vom Ur-Herausgeber Bernd Jentsch zusammengestellt worden, die nächsten übernimmt Richard Pietraß, der ebenfalls schon zu DDR-Zeiten an der Reihe gearbeitet hat.

Wer sind die Adressaten seiner Lyrikreihe? „Jeder sollte Gedichte lesen“, sagt Anders, und zitiert den Jean Paul: „Keine Zeit braucht den Dichter so sehr wie jene, die ihn entbehren zu können glaubt.“ Allerdings sei es schwer, die Menschen im 21. Jahrhundert wieder näher an das Buch heran zu führen. Droht nach den früheren Freveln nun die Bücherignoranz? Aus der Not heraus hätten die Menschen in der DDR zum Buch gegriffen, sich damit einen Rückzugsraum geschaffen und sich weltläufig gebildet. Nach der Wende hätten sie keine Zeit mehr dafür gehabt, musste sich doch jeder in die neue Gesellschaft einleben. Hoffnungsvolle Ansätze sieht Anders dennoch: Vorlesewettbewerbe an Schulen würden das Interesse bei Kindern wecken, „und Harry Potter war ein echter Glücksfall“. Der Wilhlemshorster Peter Huchel würde ihm wohl zustimmen.

www.poesiealbum.info/pa/

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