zum Hauptinhalt
Die Forschungspauschale für Promotionsstipendiat:innen beträgt gerade einmal 100 Euro pro Monat.

© dpa/Rolf Vennenbernd

Promovieren an der Armutsgrenze: Offener Brief von Doktoranden bemängelt Arbeitsbedingungen

Zu wenig Zeit, zu wenig Geld, keine Absicherung: Vor dem Inkrafttreten der neuen Fördersätze machen Promovierende mit einem offenen Brief Druck auf das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Am 1. Oktober gibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bekannt, mit welchen Mitteln Promotionsstipendiat:innen zukünftig gefördert werden. Während die Details noch unklar sind, steht fest: Die Nachwuchsforscher:innen erhalten monatlich zusätzlich 100 Euro, die dann allerdings an anderer Stelle fehlen werden. Die Geldtöpfe für die Begabtenförderung werden nicht größer.

Deswegen regt sich unter Promovierenden Protest. Im April haben rund 30 Doktorand:innen das „Netzwerk Stipendienerhöhung“ gegründet, um sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Nun haben sie einen offenen Brief an Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gerichtet sowie eine Online-Petition aufgesetzt. Darin fordern sie eine Erhöhung der monatlichen Bezüge um 300 Euro, die Rückerstattung der Sozialversicherungsbeiträge und die Anrechnung der Promotionszeit für die gesetzliche Altersvorsorge. Für ihre Doktorarbeiten wünschen sie sich eine einheitliche Laufzeit von drei Jahren mit der Option auf Verlängerung um ein Jahr. 

1450 Euro für Forschung und Lebensunterhalt

Detailliert schlüsselt die Initiative auf, unter welchen Umständen Promovierende aktuell forschen: 1350 Euro erhalten Stipendiat:innen monatlich von den Begabtenförderungswerken, hinzu kommt eine Forschungspauschale von 100 Euro. Selbst zahlen müssen sie davon Sozialversicherungsbeiträge, denn in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen ihre Arbeitgeber:innen, die Universitäten, nicht für sie ein. Abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge, die im Schnitt 300 Euro betragen und mit bis zu 100 Euro bezuschusst werden, blieben den Promovierenden für Forschung und Lebenshaltungskosten maximal 1250 Euro. Die Initiative sieht sie deshalb „am Rande der Armutsgefährdungsschwelle“. 

337
Unterzeichner:innen hat die Online-Petition bisher

Unter den 337 bisherigen Unterzeichner:innen des offenen Briefes ist auch Luisa. Ihren Nachnamen möchte sie dem Tagesspiegel nicht nennen. Die 32-jährige Kulturwissenschaftlerin, die an der Uni Leipzig promoviert und das Netzwerk mitgegründet hat, wollte eigentlich zu Schwangerschaftsabbrüchen in der DDR und Polen während des Realsozialismus arbeiten. Mittlerweile ist sie von ihrem Vorhaben abgerückt, den Schwerpunkt Polen hat sie gestrichen. „Die Forschung zu Schwangerschaftsabbrüchen in Polen würde mich ein Jahr kosten. Dafür habe ich weder die Zeit, noch kann ich mir die Archivaufenthalte in Polen leisten“, sagt Luisa. 

Promovieren in drei Jahren?

Seit Februar 2022 wird Luisa durch ein Stipendium von einem der dreizehn Begabtenförderwerke in Deutschland gefördert. Nachdem ihr zunächst einjähriges Stipendium um zwölf Monate verlängert wurde, läuft es im Februar 2024 aus. Doch auch wenn Luisas Stipendium dann noch einmal auf die Maximallaufzeit um ein weiteres Jahr verlängert werden sollte: Sie wird ihre Promotion vermutlich erst in zweieinhalb Jahren abschließen können. Damit ist sie keine Ausnahme: Im Schnitt bräuchten Doktorand:innen sechs Jahre für eine Promotion, so das Netzwerk. Wie Luisa sich nach dem Auslaufen ihres Stipendiums finanziert, weiß sie noch nicht. Vermutlich werde sie Arbeitslosengeld beziehen müssen.

 Die Interessen von aktuellen und zukünftigen Promovierenden werden gegeneinander ausgespielt. Wir brauchen mehr Geld und Zeit für unsere Arbeiten, wollen aber auch künftigen Promovierenden nicht im Weg stehen. Es ist am BMBF, dafür zu sorgen, dass es genug Mittel für alle gibt.

Luisa, Promotionsstipendiatin

Doch auch schon so kann sich Luisa, die aus Berlin nach Leipzig pendelt, ihren Lebensunterhalt nur durch eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft an der TU Dresden finanzieren. „Die zehn Stunden, die ich pro Woche als wissenschaftliche Hilfskraft arbeite, verlängern wiederum die Zeit, die ich für den Abschluss meiner Promotion benötige“, erklärt sie ihr Dilemma. Auf Erspartes könne sie nicht zurückgreifen, weil sie die Bafög-Kredite, die sie für ihr Studium in Anspruch genommen hat, begleichen musste.

Moralischer Druck auf Doktorand:innen

„Weil man maximal drei Jahre gefördert wird, stehen Promovierende unter einem enormen finanziellen und zeitlichen Druck“, erklärt Luisa, warum sich die Promovierenden erst jetzt zusammengefunden haben. „Das System ist eine Tretmühle, durch die man so schnell, wie es geht, hindurch kommen möchte. Da bleibt kaum Zeit, um sich gegen die prekären Arbeitsbedingungen zu wehren.“ 

Luisa und ihren Mitstreiter:innen stößt besonders auf, dass der finanzielle Rahmen die Promovierenden auch moralisch unter Druck setzt: „Die Interessen von aktuellen und zukünftigen Promovierenden werden gegeneinander ausgespielt. Wir brauchen mehr Geld und Zeit für unsere Arbeiten, wollen aber auch künftigen Promovierenden nicht im Weg stehen. Es ist am BMBF, dafür zu sorgen, dass es genug Mittel für alle gibt.“ Wie das Bundesministerium die Mittel zur Promotionsförderung künftig verteilt, wird sich am 1. Oktober zeigen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false