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In Erklärungsnot. Wolfgang Niersbach, früherer DFB-Präsident.

© dpa/Arne Dedert

Sommermärchen-Verhandlungen: Ermittlungen gegen Wolfgang Niersbach sollen eingestellt werden

Es laufen die finalen Gespräche, in denen sich alle Beteiligten auf die Höhe der Geldzahlung von Wolfgang Niersbach einigen müssen.

Von Harald Stenger

Das Sommermärchen-Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt wird mit größter Wahrscheinlichkeit nur noch gegen die beiden Angeklagten Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger fortgesetzt. Nach den Ausführungen der Vorsitzenden Richterin Eva-Marie Distler am neunten Verhandlungstag wird eine Einstellung des Verfahrens gegen Wolfgang Niersbach gegen Zahlung einer Geldsumme angestrebt. Als Begründung für den Deal, der möglichst bis 10. Juni perfekt sein soll und den Ex-DFB-Präsidenten ca. 50.000 Euro kosten dürfte, nannte Distler: „Seine Schuld ist als gering einzuschätzen.“

Kein Schuldeingeständnis im Sinne der Anklage

Konkret bedeutet das in dem Verfahren wegen Steuerhinterziehung: Niersbach gibt kein Schuldeingeständnis im Sinne der Anklage ab, räumt aber entgegen früherer Behauptungen seine Mitwisserschaft bezüglich der Durchführung der 6,7-Mio.-Euro-Zahlung, mit dem der DFB Ende April 2005 ein Darlehen von Robert Louis-Dreyfus an Franz Beckenbauer über eine an die Fifa überwiesene und von dort sofort an Dreyfus weitergeleitete Zahlung ausglich, ein.

Seine Strippenzieher-Rolle bei der bisher erfolgreichen Vertuschung des wahren Zwecks der Überweisung wird vom Gericht jedoch nicht so schwerwiegend eingestuft wie die Aktivitäten von Schmidt und Zwanziger, die nach den bisherigen Zeugenaussagen die finanziellen und organisatorischen Entscheidungen und Abläufe der ominösen 6,7 Mio.-Euro-Zahlung koordinierten.

Ich freue mich für Herrn Niersbach.

Staatsanwalt Jesco Kümmel 

Ein erster Versuch der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Niersbach einzustellen, war vor Prozessbeginn am Veto der Vorsitzenden Richterin gescheitert, da damals neben Niersbach nur noch Horst R. Schmidt ein entsprechendes Vergleichsangebot unterbreitet worden war, nach ihrer Meinung aber auch Theo Zwanziger in die Verständigungsgespräche über eine Einigung hätte einbezogen werden müssen. Nun wurden Schmidt und Zwanziger am Donnerstag von der aktuellen Entwicklung überrascht.

Der Sommermärchen-Prozess hat viele Reizthemen

Seit dem 17. Mai gab es verschiedene Gespräche auf Initiative der Richterin. Staatsanwalt Jesco Kümmel hat bereits seine Zustimmung signalisiert, ebenso die Anwälte von Niersbach. Die finalen Gespräche, in denen sich alle Beteiligten auf die Höhe der Geldzahlung von Niersbach einigen müssen, scheinen Formsache. Das dokumentiert allein die Tatsache, dass Staatsanwalt Kümmel bei den letzten Informationen der Richterin zum Abschluss-Prozedere des Deals die Worte „Ich freue mich für Herrn Niersbach“ über die Lippen rutschten.

„Ein bemerkenswertes Verteidigerverhalten“

Es war zugleich eine Szene, die zum wiederholten Male den Verhandlungsstil in diesem Prozess in den Blickpunkt rückte. Besonders Richterin Distler erweckte zuletzt immer öfter den Eindruck, dass sie seltsame Positionen vertritt. Der vorerst letzte Konflikt mündete darin, dass sie wortgewaltig androhte, den Zwanziger-Anwalt Hans-Jörg Metz abzuberufen und für ihn einen Pflichtverteidiger einzusetzen.

Der Grund für ihre Reaktion: Metz hatte kürzlich per Schreiben an den hessischen Datenschutz-Beauftragten und den Landgerichts-Präsidenten moniert, dass die Richterin ein Attest seines Mandanten, das nur für das Gericht vorgesehen war, allen Zuhörern im Saal bis ins letzte Detail vorlas.

Das ist ein skandalöses Verhalten, ich schäme mich für den hessischen Rechtsstaat

Theo Zwanziger, ehemaliger DFB-Präsident

Die Idee, bei der Verlesung der Krankenakte die Öffentlichkeit vorübergehend zum Schutz des „Persönlichkeitsrechts“ von Zwanziger vorübergehend auszuschließen, war ihr nicht in den Sinn gekommen. Die Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Rechtspositionen – Richterin und Staatsanwalt haben eine andere Auffassung als der auf gültiges EU-Recht verweisende Zwanziger-Anwalt – eskalierte nun in der Feststellung, es handle sich um „ein bemerkenswertes Verteidigerverhalten“ und der vorwurfsvollen Frage der Richterin, ob Metz seinen Mandanten „noch angemessen“ vertrete.

Jurist Zwanziger konterte darauf empört: „Das ist ein skandalöses Verhalten, ich schäme mich für den hessischen Rechtsstaat.“ Bei allen Emotionen muss der Gedanke erlaubt sein, ob dem Anwalt eines Angeklagten, der der Richterin mit sachlichen Argumenten widerspricht, deshalb die Absetzung angedroht werden kann. Der rigide Kurs von Eva-Marie Distler lässt für das weitere Verfahren nichts Gutes erahnen.

Ein „heißes Eisen“ bleibt darüber hinaus die Absage von Günter Netzer, als Zeuge in Frankfurt zu erscheinen und sich auch nicht per Video vernehmen zu lassen wie der ehemalige Fifa-Präsident Sepp Blatter und Fifa-Generalsekretär Linsi. Klar ist, dass die Ladung der deutschen Behörden für Netzer bei ausbleibender Rechtshilfe aus seiner Wahlheimat Schweiz nicht realisierbar ist. Gleichzeitig stellt sich die kontrovers diskutierte Frage, wie und ob die deutsche Justiz reagiert, wenn Netzer etwa zum Besuch von EM-Spielen nach Deutschland kommt.

Der Sommermärchen-Prozess, in dem Beckenbauer-Adlatus Fedor Radmann am 10. Juni der nächste Zeuge ist, hat viele Reizthemen. Dazu gehört auch, dass Ex-DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock am Donnerstag quasi einen kompletten Gedächtnisverlust zum Besten gab, obwohl ihm zahlreiche in seinen Unterlagen gefundene Dokumente zum 6,7 Mio.-Euro-Deal mit vielen brisanten DFB-Interna von 2005 bis 2015 vorgelegt wurden. Sein Standardsatz lautete „Ist mir nicht mehr erinnerlich!“ Die Richterin und der Staatsanwalt waren macht- und sprachlos. Die Spesen für die Zeugenvernehmung hätte man sich sparen können!

Der Autor war 2006 Pressesprecher der deutschen Nationalmannschaft

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