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Sport: Alba sucht sich

Kontinuität oder Neuanfang – Berlins Basketballer wissen nicht mehr genau, was ihre Identität ausmacht

Henning Harnisch ist unsicher, ob er den richtigen Vergleich gefunden hat auf dem orangefarbenen Schalensitz im Spiroudome von Charleroi. Während des Wurftrainings hatte der Teammanager versucht, die Erfahrung zu beschreiben, die er seit seinem Dienstbeginn am 1. Oktober bei Alba Berlin gemacht hat. „Das ist wie bei einem Junglehrer, der nach dem Studium mit vielen Theorien und Idealen an eine Gesamtschule kommt, und die Schüler sagen in der ersten Stunde: Fuck you!“ Wobei, darauf legt Harnisch großen Wert, dieser Vergleich nicht heißen soll, dass Albas Basketballprofis so auf ihn reagieren würden. Vielmehr wollte er ausdrücken: „Man wird mit der Realität konfrontiert.“

Die Realität ist schmerzhaft. Als Henning Harnisch am 1. Oktober bei Alba Berlin anfing, hatte er auch den „Alba-Spirit“ stärken wollen. Diesen Gemeinschaftssinn, den er aus seiner aktiven Zeit kannte. „Alba-Spirit heißt für mich, ich identifiziere mich mit dem, was ich hier mache, ich verstehe hier mehr“, sagt Harnisch. „Und jetzt ist Emir Mutapcic nicht mehr da, der das am tiefsten gelebt hat – das ist eine riesengroße Enttäuschung.“ Der Verein hatte den Trainer, der seit 14 Jahren in unterschiedlichen Funktionen für Alba arbeitete, in der vergangenen Woche wegen Erfolglosigkeit entlassen. Gestern im Uleb-Cup bei Spirou Charleroi gab Interimstrainer Henrik Rödl sein Debüt. Mutapcic steht jetzt nur noch für eine erfolgreiche Vergangenheit – wie Svetislav Pesic, Marko Pesic oder Wendell Alexis. Was bleibt vom besonderen Gefühl für Alba?

„Ich glaube weiterhin, dass das ein einzigartiger Verein ist“, sagt Harnisch, „die Kontinuität ist auf vielen Ebenen zu spüren.“ Beim Interimstrainer beispielsweise. „Henrik Rödl ist eine Säule für die Zukunft, er trägt den Alba-Geist absolut in sich und lebt das auch vor.“ Er selber sei auch so eine Konstante wie Kotrainer Burkhardt Prigge, Vizepräsident Marko Baldi, Präsident Dieter Hauert oder die Spieler Mithat Demirel und Stefano Garris. Während Baldi inzwischen sagt, dass der Verein nicht so besonders sei, das sei ihm immer von außen auferlegt worden, findet Harnisch doch etwas Besonderes: „Das ist der Kontinuitätsgedanke, verbunden mit einer Spielweise, die das ausdrückt, wofür Alba steht: für erfolgreichen Basketball.“ Doch hier beginnt das Problem.

Alba war in der vergangenen Saison nicht erfolgreich und ist es in diesem Jahr auch nicht. „Wenn so Ziele wie ein Meistertitel nicht erreicht werden, kommen Mannschaften mit einer anderen Art in die Max-Schmeling-Halle“, hat der Teammanager festgestellt, „das kann man zulassen, oder man verhält sich dazu.“ Nach dem Bundesligaspiel gegen die Artland Dragons kam es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem gegnerischen Trainer Chris Fleming. Dieser Streit war auch ein Synonym für die gegenwärtige Situation, in der sich Alba befindet: Nach Jahren des Aufstiegs muss der Klub nun die Angriffe der anderen Vereine abwehren. Harnisch sagt: „Da ist die Frage, wer diesen Weg mitmacht, bei dem es anstrengend wird.“

Die Entlassung des treuen Trainers bildete auf diesem Weg die erste schmerzhafte Zäsur. Die Mannschaft ist immer noch überrascht, beim Frühstück sitzen die Spieler schweigend vor den Eierbechern und vermeiden beinahe demonstrativ jedes Lachen. Trotz der sportlich unbefriedigenden Ergebnisse will Vizepräsident Baldi nicht von einer Krise sprechen. „Wir gehen offensiv mit unseren Zielen um und am Ende werden wir sehen, ob wir sie geschafft haben.“ Gegenwärtig steht das Ausscheiden im Uleb-Cup zu Buche, Meistertitel und Pokalsieg sind hingegen noch möglich. Auch im Umfeld stimme es, sagt Baldi. „Das Problem ist, wenn das Fundament wegbricht – aber davon sind wir noch weit entfernt.“

Längst steht die Stärkung des Alba-Spirits bei Harnisch nicht mehr ganz oben auf der Agenda. „Man hat große Dinge im Kopf, aber die konkreten Alltagssituationen sind ganz andere.“ Ein unerfahrener Interimstrainer, der seine neue Rolle auszufüllen sucht, ein Verein, der mitten in der Saison einen neuen Trainer sucht – das ist die neue Realität bei Alba Berlin.

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