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Besser vernetzt. Joachim Löw mit seinen Assistenten Miroslav Klose, Marcus Sorg und Thomas Schneider.

© Christian Charisius/dpa

Deutsche Nationalmannschaft: Assistent im Ohr

Bei der Weltmeisterschaft in Russland dürfen die Nationaltrainer und ihre Mitarbeiter auf der Tribüne erstmals miteinander kommunizieren.

Eine Zeitlang gehörte es in Deutschland geradezu zum guten Ton, sich über Berti Vogts lustig zu machen. Zuletzt war dieses Phänomen um die Jahrtausendwende zu beobachten, als Vogts Bayer Leverkusen trainierte. Bei Spielen seiner Mannschaft schickte er Pierre Littbarski, einen seiner beiden Assistenten, in der ersten Halbzeit zur Beobachtung auf die Tribüne. Heute macht das jeder halbwegs ambitionierte deutsche Zweitligist, damals aber wurde Vogts für seine Idee auf das Heftigste verspottet. Manchmal ist die Zeit eben einfach noch nicht reif für bestimmte Ideen.

So ganz allerdings stimmt das nicht. Denn schon zehn Jahre zuvor hatte Vogts selbst den sogenannten Tribünenadler gemacht. Es war bei der Weltmeisterschaft 1990, die für den deutschen Fußball bekanntlich mit dem Titelgewinn endete. Und anders als es erzählt wird, verließ sich der damalige Teamchef Franz Beckenbauer eben nicht nur auf die Kraft seiner Ausstrahlung; er arbeitete tatsächlich akribisch am Detail. Und dazu gehörte auch, dass Berti Vogts bei den Spielen der Deutschen auf der Tribüne saß und seine Erkenntnisse per Funkgerät an die Bank weiterleitete.

Möglicherweise hat sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) damals in einem rechtlichen Graubereich bewegt; möglicherweise aber gab es 1990 mangels Notwendigkeit auch noch gar keine Fifa-Regelung für die Nutzung technischer Hilfsmittel. Wie auch immer: Schon jetzt, schlappe 28 Jahre später, hat das Regelboard Ifab Vogts‘ Spionagetätigkeit gewissermaßen nachträglich legalisiert. Bei der WM in Russland dürfen die Nationaltrainer mit ihren Assistenten auf der Tribüne erstmals miteinander kommunizieren; sie dürfen „handliche mobile Geräte“ nutzen und darauf Informationen empfangen. Von Marcus Sorg und Thomas Schneider, den beiden Co-Trainern der Nationalmannschaft, wird man in den kommenden Wochen Bilder sehen, die sie mit einem Headset auf dem Kopf zeigen. Von ihrem Chef Joachim Löw ganz sicher nicht.

Marcus Sorg eilt von der Tribüne in die Kabine

In Löws Trainerteam nimmt Sorg schon jetzt die Vogelperspektive ein. Er schaut in der ersten Hälfte von der Tribüne aus zu, eilt in der Pause in die Kabine und berichtet der Mannschaft von seinen Erkenntnissen. „Es hat sich bewährt, in der ersten Halbzeit oben zu sitzen und einen gewissen Überblick zu haben“, sagt der 52-Jährige. „Das ist für uns ein gutes Tool.“ Künftig hat er sogar die Möglichkeit, „diese Informationen dem Trainerteam direkter und schneller zukommen zu lassen“, in Echtzeit quasi. Einen Praxistest hat es noch nicht gegeben, schon weil dem DFB die Technik erst bei der WM zur Verfügung stehen wird.

Andere Sportarten sind längst weiter als der oft träge und traditionsverliebte Fußball. Im Cricket, Rugby oder American Football werden die modernen Kommunikationsmöglichkeiten schon lange und weit intensiver genutzt. Auch im Hockey. Jamilon Mülders, 41, meint sich zu erinnern, dass schon bei der WM 1998 in Utrecht die Trainer auf der Bank mit ihren Mitarbeitern kommunizieren konnten – damals noch per Funkgerät. Da passierte es dann auch schon mal, dass man den Pizzaservice auf dem Ohr hatte. Der frühere Frauen-Bundestrainer Mülders, der seit dem Herbst das chinesische Frauenteam betreut, nutzt seit vier Jahren ein System aus der NFL. Es ist stabil, kann von außen nicht gekapert werden und garantiert eine exzellente Tonqualität. Bis zu acht Headsets sind verfügbar. Mülders ist mit seinem Videoanalysten verbunden, mit seinen beiden Co-Trainern und in China zusätzlich mit dem Dolmetscher. Dazu können bei Bedarf auch die Spielerinnen auf der Auswechselbank mithören und direkte Anweisungen empfangen.

Der Fußball hinkt weit hinterher

Wichtig ist die Funkdisziplin. „Am Anfang war es bei allen so, dass sie erst lernen mussten, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren“, sagt Mülders. „Wir haben deshalb klare Regeln entwickelt, wie der Kommunikationsfluss aussieht.“ Er will nicht die Einschätzung auf dem Ohr haben, dass eine bestimmte Spielerin einen schlechten Tag erwischt habe. Es geht um klare Anweisungen zur Veränderung. Und wenn der Videoanalyst eben die Anweisung erteilt, dass vom Dreier- auf einen Viereraufbau umgestellt werden soll, „dann frag‘ ich nicht mehr“, sagt Mülders. „Dann kommt diese Information in Sekundenschnelle bei den Spielerinnen an.“

Verglichen damit hinkt das Team von Joachim Löw noch weit hinterher. „Es sind noch viele Möglichkeiten da, den Fußball weiter zu entwickeln“, sagt Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff. Als Projektverantwortlicher der neuen DFB-Akademie ist er so etwas wie der Zukunftsbeauftragte des deutschen Fußballs. Im März war er mit seinem Team im Silicon Valley, hat Google und Apple besucht und sich einen Überblick über die noch ungehobenen Möglichkeiten der Digitalisierung verschafft. Big Data, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen (Machine Learning) werden – vermutlich eher früher als später – auch für den professionellen Fußball relevant. „Das hört man nicht so gern im traditionellen Sport“, sagt Oliver Bierhoff, „aber das wird natürlich auch eine Rolle spielen.“

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