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Alter Ball? Damals wurde noch mit richtigem Leder gespielt. Und deutlich anders sahen die Bälle nach dem Krieg auch noch aus.

© picture alliance/dpa

Berliner Fußball nach dem Krieg: Der Anfang endet mit einem Eklat

Vor 75 Jahren berichtet der Tagesspiegel erstmals über den Berliner Fußball. Nur wenige Monate nach Kriegsende gibt es bereits wieder einen Ligabetrieb.

Die Ausgabe des Tagesspiegels umfasst am 20. November 1945 vier Seiten und kostet 20 Pfennig. Auf der vierten Seite finden sich überwiegend kurze Texte. Überschriften lauten „Arbeitseinsatz für Studenten“, „Städtische Lastkraftwagen fahren mit Methan“ oder „Viehzählung am 3. Dezember 1945“.

Unten bei den Anzeigen steht, dass die Staatsoper am Abend Verdis „Rigoletto“ aufführt und das Scala-Kino täglich um 17.15 Uhr die amerikanische Komödie „Die ewige Eva“ spielt. Und es gibt eine Meldung mit der Überschrift „Fußball und Schwimmen“.

Knapp zwei Monate nach Erscheinen der ersten Ausgabe ist der Berliner Fußball erstmalig Thema in dieser Zeitung, an diesem Freitag auf den Tag genau vor 75 Jahren. Zuvor gab es zum Fußball lediglich zwei Texte zur besonders aus politischen Gründen vielbeachteten Reise des sowjetischen Meisters Dynamo Moskau nach Großbritannien.

Der Artikel zum lokalen Sport umfasst einige Zeilen zu verschiedenen Sportarten: ein Hallen-Schwimmfest im Charlottenburger Stadtbad, ein Geländelauf in Mariendorf und die Spiele im Pokal der Fußballer. Es waren in der zweiten Runde „schöne und harte Kämpfe“. Zwei Begegnungen endeten unentschieden und mussten wiederholt werden, den höchsten Sieg landete Spandau-Altstadt mit 12:1 gegen Friedrichshain.

Schon wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges wird in Deutschland organisiert Fußball gespielt. In der Oberliga Süd tauchen dabei die großen Namen wie Bayern München, der sechsfache Meister 1. FC Nürnberg oder VfB Stuttgart wieder auf. In Berlin erlassen die Alliierten dagegen ein Vereinsverbot, das bis 1949 besteht, weil der Fußball unter den Nationalsozialisten als eine NS-Organisation geführt wurde.

Die Alliierten fördern in der weitgehend zerstörten Stadt zusammen mit dem Magistrat zunächst den Sport auf kommunaler Ebene

Stattdessen fördern die Alliierten in der weitgehend zerstörten Stadt zusammen mit dem Magistrat den Sport auf kommunaler Ebene. „Ihnen war daran gelegen, dass das gesellschaftliche Leben schnell in die Gänge kommt. Dafür hat sich auch der Sport angeboten“, sagt Fußballhistoriker Christian Wolter, Autor des Buches „Rasen der Leidenschaften“ über Berliner Sportplätze und Vereine. Aktuell beschäftigt sich Wolter mit dem Arbeitersport in Deutschland.

Im Buch „Anpfiff in Ruinen“ wird aus einer Chronik des Berliner Vereins Meteor 06 zitiert, es geht darin um die Situation im Frühsommer 1945: „Die Vereine und der Sport sind tot, und trotzdem sollen sie leben. Zwei Mannschaften, aus Zurückgebliebenen und Heimkehrern zusammengesetzt, spielen zum ersten Mal nach der Hölle des Kampfes um Berlin Fußball.“

Die bisherigen Vereine waren nun nach Stadtteilen oder Bezirken benannt und bekamen den Zusatz Sportgruppe (SG). Sie durften nur Spieler aus dem jeweiligen Bezirk einsetzen. Die SG Gesundbrunnen spielte also mit vielen Akteuren von Hertha BSC, die SG Charlottenburg mit jenen von Tennis Borussia. Andere wie die SG Stadtmitte setzten sich nicht vornehmlich aus Spielern nur eines Vereins zusammen.

Der Tagesspiegel berichtet im November 1945, dass im Fußball, Hockey und Tennis derzeit Meisterschaften mit insgesamt 400 Mannschaften ausgetragen werden. Und: „Wir wollen auch nicht die Veranstaltungen im Faustball, Basketball, Tischtennis und Kegeln vergessen, denn sie zeigen, dass der junge Berliner Sport bereits im ersten Halbjahr Erhebliches geleistet hat.“

Auch große Sportveranstaltungen gibt es schnell nach Kriegsende – 1946 etwa mit bis zu 30 000 Zuschauern beim Bahnradfahren. Beim Pferdesport oder Boxen ist ebenfalls oft viel los.

Eine Fußball-Fachzeitschrift mit Schwerpunkt Berlin existiert zu dieser Zeit nicht, die „Fußball-Woche“ erscheint erst ab 1950 wieder. „Auf den Sportplätzen wurden mitunter kleine Mitteilungsblättchen verkauft, in denen die Orte und Termine der Spiele standen“, sagt Wolter. Mehrmals pro Woche werden nun im Tagesspiegel Neuigkeiten vom Sport vermeldet, regional und weltweit. Zunächst im „Sport-Mosaik“, dann als Rubrik „Aus dem Berliner Sportleben“.

Zum Fußball-Städtespiel zwischen Berlin und Dessau am Karfreitag 1946 auf dem Hertha-Platz am Gesundbrunnen, der Plumpe, heißt es: „Über 20 000 Zuschauer füllten die Tribünen ringsherum, die Zäune und Holzbuden mussten herhalten, um alle Schaulustigen zu fassen und viele fanden vor den gesperrten Toren keinen Einlass.“ Die Partie, die 2:1 für Berlin endet, ist Teil einer Dreifachveranstaltung. Zuvor hatte Berlin im Feldhandball jeweils gegen Weißenfels gespielt: die Frauen gewannen 9:0, die Männer 9:8.

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Bereits im September 1945 hatten die Fußball-Ligaspiele begonnen, mit riesigen Niveau-Unterschieden. Was daran lag, dass zunächst 67 Teams in der höchsten Klasse mitmachten, eingeteilt ausschließlich nach regionalen Gesichtspunkten. Das änderte sich jedoch im Januar 1946, nachdem das Hauptsportamt eine Verkleinerung auf vier Staffeln mit insgesamt nur noch 36 Mannschaften beschlossen hatte. Ziel der Maßnahme war eine Anhebung des Niveaus im Sinne der Spieler und Zuschauer. „Frischer Wind im Berliner Fußball“, schrieb der Tagesspiegel.

Es ging zum einen um die Qualifikation für die Stadtliga, die zur Spielzeit 1946/47 ihren Betrieb aufnehmen sollte. Die Sieger der Staffeln – die Sportgruppen Wilmersdorf, Staaken, Mariendorf und Prenzlauer Berg-West – ermittelten zudem in einer Viererrunde mit Hin- und Rückspiel den ersten Berliner Meister nach dem Krieg. Zwischendurch fand das Pokalfinale statt. Die SG Wilmersdorf setzte sich im März vor 10 000 Zuschauern in der Werner-Seelenbinder-Kampfbahn in Neukölln mit 2:1 nach Verlängerung gegen die SG Tempelhof durch.

Die Sportgruppe Wilmersdorf war in etwa identisch mit dem Berliner SV 92, der vor dem Zweiten Weltkrieg mehrmals an der Endrunde um die deutsche Meisterschaft teilgenommen hatte. Spieler der neuen SG war Hermann, genannt Männe, Paul, damals 25 Jahre alt. Er kam im August 1945 aus der Kriegsgefangenschaft frei und wohnte in Wilmersdorf.

In einem Interview mit der Zeitschrift „Libero“ im Jahr 1989 erinnerte er sich zurück. Training war einmal die Woche, die Stärke des Teams begründet Paul wie folgt: „Einmal waren viele gute Fußballer in dieser Mannschaft, zum anderen herrschte eine hervorragende Freundschaft.“ Als Honorar gab es in dieser Zeit „kein Geld, nur ein Essen pro Spiel“.

Die SG Wilmersdorf gewinnt die Meisterschaft am grünen Tisch

Paul, der später regelmäßig für die Berliner Stadtauswahl auflief, war am 28. Juli 1946 dabei, als seine Mannschaft gegen Prenzlauer Berg-West, mit zahlreichen Akteuren des BFC Alemannia 90, spielte. 15 000 Menschen verfolgten an der Plumpe die Meisterschaftsentscheidung. Wilmersdorf hatte die bessere Ausgangslage und war favorisiert. „Etwa 70 Minuten verlief der Kampf wohl hart und aufregend, aber die sportliche Anständigkeit wurde von niemandem verletzt“, beobachtete der Tagesspiegel.

Dann traf Prenzlauer Berg-West, kurz Prenzlau, doch der Treffer zählte aus „irgendeinem Grunde“ nicht. Stattdessen ging Wilmersdorf mit 1:0 in Führung und ein Spieler von Prenzlau hatte ständig Diskussionsbedarf mit dem Schiedsrichter. Als dieser ihn des Platzes verwies, stürzte sich der Spieler auf den Unparteiischen. Der Rest liest sich im Tagesspiegel folgendermaßen: „Inzwischen überfluteten Tausende den Platz, der Schiedsrichter wurde zu Boden geschlagen, Polizei rückte an – das Spiel war fünf Minuten vor Schluss geplatzt.“

Folge des Eklats: Die Spartenleitung Fußball im Hauptsportamt schloss den Spieler, der die Tumulte ausgelöst hatte, dauerhaft aus und wertete die Partie mit 1:0 für die Sportgruppe Wilmersdorf, die damit die Meisterschaft gewonnen hatte. Fußballhistoriker Wolter erzählt, welches Emblem im Spiel auf den Trikots der Wilmersdorfer zu sehen gewesen war: „Das Wappen des eigentlich verbotenen BSV 92“.

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