zum Hauptinhalt
„Peace“, schrie Andrew Parsons den anwesenden Athleten der Weltöffentlichkeit entgegen

© dpa

Paralympics als Friedensveranstaltung: China hat etwas dagegen

Die Paralympics könnten in Kriegszeiten ein wichtiges Zeichen senden. Doch bereits bei der Eröffnungsfeier kommt es durch die Zensur einer Rede zum Skandal.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Das Feuer war bei den Paralympics in Peking schon entfacht, noch bevor die olympische Fackel das Vogelnest erleuchtete. Sechs Minuten dauerte bei der Eröffnungsfeier am Freitag die Brandrede von Andrew Parsons, bevor er mit einem eindringlichen Appell endete. „Peace“ schrie der Präsident des internationalen paralympischen Komitees den anwesenden Athletinnen und Athleten und der Weltöffentlichkeit entgegen – deutlicher hätte das Zeichen in der aktuellen weltpolitischen Situation nicht sein können. Ähnlich schätzten es wohl auch die chinesischen Staatsmedien ein. Parsons Rede wurde zwar im Fernsehen übertragen. Nur leider ließ der Simultanübersetzer an den entscheidenden Stellen die richtigen Worte aus. Schon bei dieser Eröffnungsfeier zeigte sich das schlechte Omen, unter dem die Paralympics in diesem Jahr stehen. Die Spiele könnten ein eindrucksvolles Zeichen für Frieden, Solidarität und Völkerverständigung senden, doch der Gastgeber zensiert genau das. In China sind Spiele gestartet, die so niemals hätten stattfinden dürfen. 

Da ist Chinas Haltung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Für eine Veranstaltung, die Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt in Frieden zusammenbringen will, ist es ein Skandal, wenn der Gastgeber tagelang zögert, bevor er sich selbst zum Frieden bekennt. Bei der Abstimmung der Vereinten Nationen über die symbolische Verurteilung des russischen Krieges enthielt sich China. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Wang Wenbin bestrafte Putin damit, dass er Russland statt eines Verbündeten nur noch einen strategischen Partner nannte. Den russischen Autokraten dürfte das kaum beeindrucken geschweige denn davon abhalten, den Überfall auf einen souveränen Staat fortzusetzen.

Überraschend kommt Chinas Haltung nicht. Mit Menschenrechten nimmt es das Land nicht so genau. Während IPC-Präsident Parsons seine Eröffnungsrede hält, sitzen zur selben Zeit im selben Land hunderttausende Uigurinnen und Uiguren in staatlichen Lagern, werden gefoltert und fürchten um ihr Leben.

Kritik an der Vergabe perlte ab

Frei von Kritik ist dabei auch nicht das IPC. Wäre nicht der Krieg in der Ukraine ausgebrochen, hätte Parsons die Spiele als Riesen-Erfolg verkauft – trotz der Verbrechen der chinesischen Regierung. Kein Wunder: Die Erfolgsgeschichte von China und dem Behindertensport, deren Anfang bereits zu Beginn des Jahrtausends geschrieben wurde, als das Land bereits den Zuschlag für die Sommerspiele 2008 erhielt, war noch nicht zu Ende geschrieben. Das Grand Finale hatte Parsons bereits vorbereitet und vor einiger Zeit dem chinesischen Staatssender CGTN erzählt: „Die Winterspiele werden neue Maßstäbe setzen – so wie es die Sommerspiele damals auch getan haben.“

Kritik an der Vergabe der Spiele ins autokratisch regierte China ließ das Internationale Olympische Komittee und das IPC an sich abperlen. „Wir sind keine Weltregierung, die dafür sorgen kann, dass ein souveränes Land Gesetze verabschiedet, verschiedene Standards einhält“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Als Diplomat fungiert Bach später dann doch: Er ist der Mann, der dem Rest der Welt zu versichern versuchte, der Tennisspielerin Peng Shuai, die im vergangenen Jahr einen hochrangigen Politiker eines sexuellen Übergriffs bezichtigt hatte und anschließend verschwand, gehe es gut. Chinesische Medien zeigten Peng bei einem Besuch der Olympischen Spiele. Unabhängige Berichterstatter kamen nicht an die Sportlerin heran.

Thomas Bach ließ Kritik an der Vergabe der Spiele im Vorhinein an sich abperlen.
Thomas Bach ließ Kritik an der Vergabe der Spiele im Vorhinein an sich abperlen.

© AFP

Eine echte Überraschung ist das nicht. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ rangiert China auf dem viertletzten Platz, überhaupt von Pressefreiheit zu sprechen ist eine Farce. Die Anzahl der derzeit in China wegen ihrer Arbeit inhaftierten Journalistinnen und Journalisten gibt die Organisation derzeit mit 78 an. Sechs kamen Ende Dezember dazu, als Medienberichten zufolge über 200 Polizistinnen und Polizisten die Redaktionsräume der Hongkonger Nachrichtenwebsite Stand News durchsuchten. Kurz darauf stellte die Seite ihren Betrieb ein. Auch Reporterinnen und Reporter von den Spielen haben mit Repressionen zu kämpfen. Schon die Vorberichterstattung zu den Olympischen Winterspiele war, unter dem Deckmantel der Pandemie, stark erschwert. Die ZDF-Reporterin Christiane Hoffmann sprach in einem Beitrag von den wohl restriktivsten Spielen aller Zeiten, von totaler Kontrolle. Nach dem Ende der Spiele meldete die Vereinigung der in China tätigen Auslandskorrespondent:innen, der FCCC, massive Einschränkungen in der Berichterstattung.

Die Sportler machen nur ihren Job

Die entscheidende Frage ist, wer sich mit solchen Entwicklungen und Ereignissen auseinandersetzen muss. Und vor allem: wie. Die ersten, die dazu befragt werden und darauf Antworten finden müssen, sind oft die Sportlerinnen und Sportler. Es geht um die Zukunft ihres Berufs, mehr noch: ihrer Passion. Und darum, welchen Beigeschmack es hat, Feste in Ländern zu feiern, in denen Menschenrechtsverletzungen, Folter und Vergewaltigungen an der Tagesordnung stehen. Es gab viele Rufe, die die Profis dazu aufforderten, den anstehenden Spielen fernzubleiben. Seitens der Sportlerinnen und Sportler klang es im Vorfeld aber wie ein Konsens: In Hintergrundgesprächen hieß es immer wieder, sie machten nur ihren Job. Dass der durchaus politisch sein kann, stellte das deutsche Team bei der Eröffnungszeremonie unter Beweis: Um Solidarität mit der Ukraine zu zeigen, nahmen die Teilnehmenden symbolisch die Mützen ab.

Eine Mannschaft, eine Botschaft: Die Ukrainer stehen zusammen.
Eine Mannschaft, eine Botschaft: Die Ukrainer stehen zusammen.

© dpa

Auf politischer Ebene hatten schon vor dem Krieg viele Staatsregierungen Konsequenzen aus der Situation in China gezogen und zeigten klare Kante. Bereits im Dezember verkündete der US-amerikanische Präsident Joe Biden, aufgrund des anhaltenden Völkermordes sowie weiterer Menschenrechtsverletzungen keine diplomatischen Vertreterinnen und Vertreter zu den Spielen zu schicken. Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland schlossen sich an. Auch die Vertreterinnen und Vertreter Deutschlands waren bereits bei den Olympischen Spielen nicht zugegen – wenngleich der Bundesregierung die Worte „diplomatischer Boykott“ nicht über die Lippen gingen.

Die Zensur von Parsons Rede bei der Eröffnungsfeier hat vielen vor Augen geführt: Mit den Paralympics ist ein Sportevent gestartet, das so niemals hätte stattfinden dürfen. Die Spiele stehen in eine Reihe mit Sportveranstaltungen in autokratischen Ländern, für die Menschenrechte zweitrangig sind. Im Winter rollt der Ball in Katar auf den Gräbern von 15 000 Gastarbeitern. Selbst in der größten Krisensituation war China nichts daran gelegen, ein Stück seiner Reputation in der internationalen Gemeinschaft, die die Spiele doch zelebrieren sollen, zurückzugewinnen. Mit der Enthaltung bei der UN-Abstimmung ging auch der letzte Hauch an Legitimität für die Spiele verloren.

Die Paralympics könnten in der Krise ein solch wichtiges Zeichen setzen. Sie könnten insbesondere in der aktuellen Phase zeigen, dass es sich beim Krieg in der Ukraine um den Krieg eines autokratischen Verbrechers, nicht um den Krieg verschiedener Völker, handelt. Wie heißt es in John Lennons großer Friedenshymne, die gerade weltweit wieder traurige Popularität genießt? „All we are saying is give peace a chance“.

Nichts anderes wollte Andrew Parsons, nichts anderes wollen die Paralympics aussagen. Der chinesische Gastgeber hat da etwas gegen.

Lennart Glaser

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false