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Heute ist Jens Adler, 50, Torwarttrainer beim Halleschen FC.

© imago sportfotodienst

DDR-Torhüter Jens Adler: „Wir wollten den Belgiern eine überbraten“

Torhüter Jens Adler war der letzte Nationalspieler der DDR. Mit dem Tagesspiegel sprach der ehemalige Hertha-Spieler über seine zwei Minuten Ruhm.

Herr Adler, immer zum 12. September…

… sprechen Sie und Ihre Kollegen mich auf dasselbe Thema an. Das Spiel gegen Belgien, mein erstes und einziges Länderspiel. Ist das denn immer noch so interessant für Euch?

Es war ja nicht irgendein Spiel, sondern das letzte in der Geschichte der DDR-Nationalmannschaft. Am Samstag vor genau 25 Jahren, am 12. September 1990 – zehn Monate nach dem Fall der Mauer und drei Wochen vor der deutschen Wiedervereinigung. Und dann auch noch ein 2:0-Sieg.

Stimmt schon, aber ich habe doch keine besonders große Rolle gespielt. Nicht mal zwei Minuten in der Nachspielzeit.

Das macht Sie ja so interessant. Es waren die letzten zwei Minuten der DDR-Länderspielgeschichte. In der ewigen Statistik sind Sie der letzte Nationalspieler der DDR.

Sie glauben gar nicht, wie viel Autogrammpost ich deswegen noch bekomme und wie oft ich für Fototermine das alte Trikot aus dem Schrank holen muss. Seltsam, wofür sich die Leute so interessieren, und dann auch noch so lange. Die besten DDR-Spieler wie Thomas Doll, Ulf Kirsten oder Andreas Thom verdienten damals ihr Geld schon in der Bundesliga und wollten nicht mitspielen, weil sie sich nicht verletzten wollten. Trainer Eduard Geyer bekam 22 Absagen und nur 14 Zusagen. Heute behaupten viele, wir wären mit einer besseren Witzmannschaft nach Belgien gereist, aber das ist Blödsinn. Ja, die großen Stars haben gefehlt. Alle, die dabei waren, haben später im bezahlten Fußball gespielt, die meisten in der Ersten Liga. Ich gehörte ja auch schon vorher zum erweiterten Kreis und hatte für die B-Nationalmannschaft gespielt. So weit ist ja der Sprung dann nicht mehr.

Sie wurden als zweiter Torhüter hinter dem Chemnitzer Jens Schmidt nominiert, weil der Magdeburger Dirk Heyne und Perry Bräutigam aus Jena keine Lust hatten. Wann haben Sie den Anruf von Eduard Geyer bekommen?

Was heißt hier Anruf? Ich hatte doch gar kein Telefon in Halle. Ich bin am Sonntagabend nach Hause gekommen, da lag im Briefkasten eine kurze Nachricht: Morgen nach Kienbaum kommen, ins Trainingslager der Auswahl. Am nächsten Vormittag hat uns ein Fahrer vom Klub abgeholt. Wir waren zu zweit vom HFC, ich und Dariusz Wosz. Im Wartburg sind wir dann zweieinhalb Stunden nach Kienbaum gezuckelt.

Wo alle schon in großer Vorfreude auf Sie warteten?

Das mit den vielen Absagen war schon komisch, aber ich kann nicht sagen, dass das groß auf die Stimmung geschlagen hat. Viele von denen, die gekommen waren, hätten ja sonst gar nicht gespielt.

Nur Matthias Sammer war ein bisschen angesäuert.

Kann man wohl sagen. Der hatte das Wort von Thom und Doll und Kirsten und wie sie alle hießen, aber als er dann ankam, war keiner da. Es gab ja noch keine Handys, mit denen man sich hätte abstimmen können. Matthias ist gar nicht mehr zum Abendessen gekommen, er wollte dann sofort wieder weg, hat aber kein Flugzeug mehr zurück nach Stuttgart bekommen. Am nächsten Morgen saß er am Frühstückstisch und ist mit uns nach Brüssel geflogen. Im Endeffekt war das großartige PR für ihn. Der Mann, der sein Wort hält und seine Mannschaft nicht im Stich lässt. Die ganze Welt hat Matthias auf einmal als den Charakterkopf gesehen, der er ja auch wirklich war. Und dann hat er auch noch zwei Tore geschossen.

Hat die Mannschaft das Spiel denn wirklich ernst genommen oder war es nur ein netter Betriebsausflug?

Wie bitte? Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass sie mit Eduard Geyer als Trainer in ein Partyspiel gehen können? Natürlich haben wir das ernst genommen. Die Belgier hatten eine sehr gute Mannschaft, mit Preud’homme im Tor, davor Klasseleute wie Ceulemans, van der Elst, Scifo oder Vandenbergh. Die dachten bestimmt, sie könnten uns abschießen. Aber wir waren schon ehrgeizig und wollten den Belgiern unbedingt eine überbraten. Das ist uns ja auch gelungen.

Vor dem Spiel hat kein einziger DDR-Spieler die Hymne mitgesungen. Kannten Sie den Text nicht – oder wollte sich keiner mehr als nötig mit der untergehenden DDR identifizieren?

Ach, diese Mode mit dem Singen kam doch erst später. Aber das mit dem Text stimmt schon. Wir kannten ihn nicht, er wurde ja zu offiziellen Anlässen nicht mehr gesungen, weil die Passage ,Deutschland, einig Vaterland‘ drin vorkam. Das war nicht so angesagt in der DDR.

Was im Rückblick noch auffällt: Sie hatten alle sehr lustige Frisuren.

Na klar, vorne kurz, hinten lang, unsere Einheitsfrisur. Alle bis auf Matthias Sammer, der hatte damals schon seinen eigenen Kopf.

Auf der Bank saßen zwei Feldspieler und Sie als Ersatztorwart. Hatte Eduard Geyer Ihnen vorher den Einsatz versprochen?

So etwas wie eine Einsatzgarantie gibt es bei ihm nicht. Erst nach dem 2:0 von Matthias in der Schlussminute habe ich das Zeichen bekommen. Gerade noch rechtzeitig. Stellen Sie sich mal vor, der Schiedsrichter hätte das Spiel nicht unterbrochen und irgendwann abgepfiffen, dann hätte ich schön blöd ausgesehen an der Außenlinie.

Hatten Sie Angst, sich anderweitig zu blamieren? Mit einem blöden Gegentor in der Nachspielzeit?

So weit hab ich nicht gedacht, ich musste mich konzentrieren. Es flogen ja noch zwei Eckbälle in den Strafraum, da hätte durchaus was passieren können.

Nach genau 102 Sekunden war Ihre Länderspielkarriere auch schon vorbei, ohne dass Sie einmal den Ball berührt haben.

Hätte schlimmer kommen können. Natürlich wäre es schon schön gewesen, wenn die Mauer ein bisschen früher gefallen wäre. Aber ich kann mich nicht beklagen. Nationalspieler wird ja auch nicht jeder.

Wie war die Stimmung in der Kabine? Wehmütig oder ausgelassen?

Weder noch. Es ist ja damals so viel passiert, da hatte man gar keine Zeit, sich länger mit so etwas zu beschäftigen. Ich kann mich zum Beispiel kaum noch daran erinnern, dass an diesem Tag der 2+4-Vertrag in Moskau unterschrieben wurde. Wir haben alle von Tag zu Tag gedacht und haben uns nur ein bisschen über den Sieg gefreut.

Gab es noch ein rauschendes Bankett und eine lange Nacht in Brüssel?

Nein. Ein paar sind in die Stadt gegangen, andere an die Hotelbar, ich hab ein Bier auf meinem Zimmer getrunken. Wir hatten ja schon zwei Tage später mit dem HFC ein wichtiges Spiel bei Hansa Rostock, das war in dieser letzten Oberligasaison die überragende Mannschaft in der DDR.

Aber am Flughafen Schönefeld stand doch bestimmt ein Empfangskomitee.

Na klar. Wieder ein Wartburg, der Dariusz und mich nach Rostock gefahren hat. Und wissen Sie was? Das Länderspiel hat mich wirklich beflügelt. Wir haben ein 1:1 geholt und uns am Ende der Saison für die Zweite Bundesliga qualifiziert.

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