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Jelena Issinbajewa jubelt mit der russischen Flagge.

© dpa

Debatte um Homosexuellen-Gesetz: Regenbogen über Luschniki

Die Debatte um Russlands umstrittenes Homosexuellen-Gesetz überlagert nach den Äußerungen von Jelena Issinbajewa und Nick Symmonds weiter die Leichtathletik-WM.

Als Emma Green-Tregaro dieser Tage in ihrem Moskauer Hotelzimmer ankam, erlebte die schwedische Hochspringerin ein imposantes Naturschauspiel. „Das Erste, was ich sah nach meiner Ankunft in Moskau, als ich die Vorhänge beiseiteschob, war ein Regenbogen. Das fand ich ein bisschen ironisch“, erzählte die 28-Jährige der schwedischen Tageszeitung „Expressen“. Es bedurfte nach dem Himmelsphänomen dann nur noch der Anregung eines Freundes, selbst ein Zeichen zu setzen gegen das umstrittene Anti-Homosexuellengesetz in Russland: In der Qualifikation am Donnerstag trat sie mit Fingernägeln an, die in den Farben des Regenbogens lackiert waren. Der Regenbogen ist das Symbol der Schwulen- und Lesbenbewegung.

Emma Green befeuerte zusammen mit ihrer Teamkollegin Moa Hjelmer, die im 200-Meter-Vorlauf ebenfalls Farbe bekannte, die Diskussion um das Thema, das auch bei der Leichtathletik-WM mehr und mehr im Fokus steht. Erster Aktivist in Moskau gegen das diskriminierende Dekret war am Dienstag der US-amerikanische Mittelstreckler Nick Symmonds, als er seine Silbermedaille über 800 Meter seinen „schwulen, lesbischen, bi- und transsexuellen Freunden in der Heimat“ widmete. „Egal ob du schwul, hetero, schwarz oder weiß bist: Wir haben alle ein Anrecht auf die gleichen Gesetze. Wenn ich irgendetwas tun kann, um diese Sache zu unterstützen, werde ich das machen, ohne Furcht vor Inhaftierung.“ Er respektiere die russische Regierung, „aber ich stimme ihren Gesetzen nicht zu“, sagte Symmonds nach dem Rennen im Luschniki-Stadion.

Das von Präsident Wladimir Putin im Juni unterzeichnete Gesetz stellt die Verbreitung von Informationen über Homosexualität an Minderjährige unter Strafe, wird von Lesben- und Schwulenorganisationen aber als Repressionsmittel gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften gewertet. Auch Demonstrationen mit der Regenbogenfahne sind verboten. Auf Zuwiderhandlung drohen Ausländern Geldstrafen bis 2300 Euro und bis zu 15 Tage Haft sowie die Ausweisung.

Bislang wurde Symmonds für seine offenen Worte nicht belangt. Der Zufall wollte es, dass der US-Amerikaner just ebenso am Donnerstagabend seine Medaille erhielt wie die nun dreimalige Stabhochsprung-Weltmeisterin Jelena Issinbajewa. Die Ikone Russlands hatte zuvor vor der internationalen Presse auf Englisch vehement das Gesetz verteidigt und eine Tirade gehalten gegen die Fingernägel-Aktion von Green und Hjelmer. Die Putin-Parteigängerin sagte: „Wenn wir all dieses Zeug auf den Straßen erlauben, müssen wir Angst um unsere Nation haben, weil wir selbst Normalbürger sind.“ Alles müsse seine Ordnung haben. „Bei uns leben Männer mit Frauen, Frauen mit Männern. Wir verstehen uns als traditionelles Volk“, sagte Issinbajewa. Aktionen gegen das Gesetz bezeichnete sie als „nicht respektvoll gegenüber unseren Menschen und Sportlern. Wir sind Russen, wir sind vielleicht anders als die Europäer, aber wir setzen unsere Regeln nicht über ihre. Ich unterstütze unsere Regierung.“

Die Worte der 31-Jährigen schlugen weltweit hohe Wellen, am Freitag ruderte sie zurück. In einer Erklärung stellte die perfekt Englisch sprechende Issinbajewa fest, dass Englisch nicht ihre Muttersprache und sie wohl missverstanden worden sei. „Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass Menschen die Gesetze anderer Länder respektieren sollten, insbesondere wenn sie Gäste sind.“ Sie selbst respektiere die Ansichten anderer Athleten und wolle „nachdrücklich feststellen, dass ich gegen jede Art von Diskriminierung Homosexueller bin“.

Das Statement dürfte auf Druck von oben zustande gekommen sein. Denn jedwede Verachtung sexuell anders orientierter Menschen als die Mehrheit ist gegen die Olympische Charta gerichtet. Wegen seines Anti-Homo-Gesetzes ist das Gastgeberland der Winterspiele 2014 in Sotschi weltweit in die Kritik geraten. Kommentare, die Zweifel daran äußern, ob in Russland die olympische Idee wirklich gelebt werden kann, häufen sich. Auch Boykottforderungen wurden bereits laut gegen die Spiele in Sotschi, wo Jelena Issinbajewa als Bürgermeisterin des Olympischen Dorfes vorgesehen ist.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat ebenso wie der Fußball-Weltverband Fifa vom Ausrichterland der WM 2018 eine Stellungnahme eingefordert, wie das Gesetz zu interpretieren sei. Andererseits kündigte die IOC-Sprecherin Sandrine Tonge gegenüber „Zeit online“ an, Athleten von den Sotschi-Spielen im Februar auszuschließen, falls sie für die Rechte Homosexueller protestieren. Das sei keine Sanktion, sondern ein Mittel dazu, Athleten zu schützen, die sich sonst zu einer politischen Aussage gezwungen fühlen könnten. Was das IOC unter Strafe stellen werde – etwa das Tragen von Ansteckern mit Regenbogenflaggen, Händchenhalten oder Küsse von gleichgeschlechtlichen Paaren –, wollte Tonge nicht erläutern. Gleichzeitig bekräftigte Tonge, das IOC habe von hochrangiger Seite der russischen Regierung versichert bekommen, dass die Gesetzgebung nicht diejenigen betreffe, die an den Olympischen Spielen teilnehmen oder ihnen beiwohnen.

„Der Umgang mit Homosexuellen in Russland ist nicht akzeptabel“, sagte Außenminister Guido Westerwelle der „FAZ“. Einen Olympia-Boykott lehne er jedoch ab. Auch der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) will es sich mit den Gastgebern nicht verscherzen. „Die Gesetze eines Landes sind zu respektieren. Außerdem kennt ja keiner den wirklichen Inhalt des Gesetzes“, sagte das Council-Mitglied Helmut Digel und betonte: „Das Stadion sollte nicht für politische Statements benutzt werden.“ Nicht nur für Emma Green, Moa Hjelmer und Nick Symmonds müssen diese Worte befremdlich klingen.

Reinhard Sogl

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