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Goldene Last. Die deutschen Weltmeister um Jerome Boateng (Mitte) und Mats Hummels (rechts) hängen physisch und emotional durch seit dem Titelgewinn in Brasilien. Die fehlende Leidenschaft in der Endphase lud die Iren zum späten Ausgleich ein.

© dpa

Deutschland nach dem 1:1 gegen Irland: Böses Erwachen für die Mannschaft von Joachim Löw

Das 1:1 gegen Irland beschert dem Weltmeister einen Stoß zurück in die Realität: Raus aus dem Triumph-Taumel, rein in den rauen EM-Quali-Alltag. Bundestrainer Joachim Löw hat aktuell nur ein Ziel...

Immer wieder drehte Joachim Löw das Gelenk seiner rechten Hand zu sich. Er blickte zur Uhr. Du liebe Güte, der Weltmeistertrainer ist nervös. Gegen Irland! Gegen biedere Iren, die 90 Minuten lang zu zehnt verteidigten und nur bei langen Torwartabschlägen in die deutsche Hälfte gelangten. Eine Mannschaft, die Löws Team noch vor wenigen Monaten im feuchtheißen Bahia zwischen Mittagsschlaf und Tee-Time vernascht, also auseinandergespielt hätte. Aber inmitten weltmeisterlicher Nachwehen muss Löw und mit ihm eine ganze Nation darum zittern, die zärtlichste aller Führungen irgendwie über die Zeit zu bringen. Es half nichts. Irland glich in der 94. Minute aus. 1:1. Es wurde nicht mal mehr angepfiffen.

Ja, es stimmt, dass Miroslav Klose vorn drin fehlt und hinten auch Philipp Lahm. Auf links wie auf rechts und im zentralen Mittelfeld sowieso. Ist das der Grund, weshalb solche Oktober-Ergebnisse zu- stande kommen wie das 0:2 in Polen und das 1:1 gegen die Iren, die – sorry – so Fußball spielen, wie ihre Fans singen – laut und leidenschaftlich, aber auch angetrunken und schräg?

Der klassische Typ Stoßstürmer hat sich verändert

Das mit den fehlenden Stoßstürmern und Außenverteidigern ist so eine Sache. Eine, die die deutsche Mannschaft seit der Heim-WM 2006 begleitet, also acht Jahre lang. Mal spielte Lahm links, dann wieder rechts, denn wieder links und irgendwann in der Mitte zentral. Und auch der ewige Klose legte lange schöpferische Pausen ein. Und wurde sein Vertreter Mario Gomez nicht schon bei jeder Gelegenheit in deutschen Stadien ausgepfiffen? Und trotzdem, bei all diesen Problemen, sind die Deutschen recht anständig durch die zurückliegende Weltmeisterschaft gekommen.

Denn hat dieses Turnier in Südamerika nicht auch gezeigt, wie sehr sich der klassische Typ Stoßstürmer verändert hat? Die meisten Tore in Brasilien, und es waren mehr als sonst bei Turnieren, erzielten stürmende Mittelfeldspieler. Spielertypen wie sie auch die Deutschen in Thomas Müller haben, in André Schürrle und Mario Götze.

Ja, diese Weltmeisterschaft. Neulich, beim Trainerkongress des Weltverbandes Fifa in St. Petersburg, hat Joachim Löw mit seinem französischen Kollegen Didier Deschamps geplaudert. Der Kapitän der Weltmeistermannschaft von 1998 wusste zu berichten, dass er nach dem Triumph damals ein halbes Jahr gebraucht habe, um wieder in die Nähe seiner Form zu kommen. Mehr brauchte Löw nicht zu hören.

Löw: "Eine gewisse Nervosität im Spiel"

Und nun erzählte Löw, wie ärgerlich es sei, dass die Iren mit einer echten Torchance zum Ausgleich gekommen seien. In der 94. Minute. Aber das habe seine Mannschaft sich auch selbst zuzuschreiben. Die war in der 90. Minute in den Feierabendmodus übergegangen. Keiner bot sich mehr dem ballführenden Spieler an, die Bälle wurden quer oder zurück zu Torwart Manuel Neuer gespielt. Das lud die Iren ein und machte sie richtig wild.

„Trotz der Führung war eine gewisse Nervosität im Spiel“, sagte Löw. Es fehle im Moment die geistige wie körperliche Frische und die Präzision im Tun. „Diesen Mangel spürt man schon bei einigen Spielern.“ Der Bundestrainer blieb gnädig in seiner Analyse, weil er schon ahnte, dass es schwer werden würde. „Das hatte ich fast erwartet“, schob Bundestrainer Löw leise hinterher.

Nicht aber jene Eselei seiner Mannschaft, dass sie sich in der Nachspielzeit einen Sieg stehlen ließ, nachdem sie zuvor 90 Minuten lang den Ball und das Spiel kontrollierte. Das hat in erster Linie mit Herz und Leidenschaft zu tun. Aber in diesem Post-WM-Herbst kommt scheinbar vieles zusammen, auf dass dann nicht mehr viel passt im Spiel des Weltmeisters.

Ziel: Stabilität

Die Qualifikation für die Europameisterschaft 2016 in Frankreich ist mit bisher vier Punkten und 3:4 Toren aus drei Spielen alles andere als gut verlaufen. Noch nie ist Deutschland seit der ersten Ausscheidungsrunde für die WM 1938 schlechter gestartet. Und so ist aus dem Gejagten plötzlich ein Jäger von Platz vier aus in seiner Gruppe geworden. „Wir hätten uns das auch anders vorgestellt, dass wir mit mehr Punkten aus den Oktober-Spielen kommen“, sagte der Bundestrainer.

„Das ist jetzt eine Drucksituation. Das müssen und werden wir hinkriegen“, sagte der Dortmunder Mats Hummels, der den Ausgleich nicht verhindern konnte. „Man denkt, das ist ein Kinderspiel“, wenn der Weltmeister gegen Teams wie Irland anzutreten hat. Doch ein Kinderspiel ist für die Helden von Maracana und ihre neuen Mitspieler derzeit gar nichts. „Khedira, Schweinsteiger, Lahm haben ganz jungen Spielern Halt gegeben in schwierigen Momenten, auf und neben dem Platz. Die Typen sind im Moment nicht da“, sagte Löw.

Man müsse erst mal einen Schritt zurückgehen, sinnierte der Bundestrainer vor ein paar Tagen. Um Stabilität nach dem Umbruch reinzubekommen. Man müsse schauen, dass man möglichst viele Spieler hat, die körperlich in guter Verfassung sind und sich nicht ständig mit Verletzungen herumzuschlagen haben.

Doch Löw hatte sich bald nach dem Spiel auch wieder gefangen. Als er schon im Gehen war, war er wieder ganz bei sich und sagte: „Im nächsten Jahr schlagen wir wieder zurück.“

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