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Aller guten Dinge sind drei. Und am Ende muss auch noch die Landung passen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Unser Zehnkampf vor der Leichtathletik-EM: Dreisprung: Runter kommen sie alle

Dreisprung ist sehr ästhetisch, doch es wirken auch enorme Kräfte auf die Gelenke – Teil eins unseres ganz eigenen Tagesspiegel-Zehnkampfs.

Von Johannes Nedo

Laufen, springen, werfen – die Disziplinen der Leichtathletik sind Sport in seiner klassischsten Form. Doch sie sind schwieriger auszuüben, als sie aussehen. Bis zur Europameisterschaft vom 7. bis 12. August in Berlin probieren wir in unserer Serie „Tagesspiegel-Zehnkampf“ zehn Disziplinen unter professioneller Anleitung aus und beschreiben, worauf es bei den einzelnen Disziplinen ankommt.

Wie ein Pool sieht sie aus, richtig verlockend. Nur dass die Sprunggrube im Hanns-Braun-Stadion im Berliner Olympiapark eben nicht mit Wasser gefüllt ist, sondern mit Sand. Doch der ist so gelb, so fein und so glatt auf die etwa drei mal neun Meter große Grube verteilt, dass ich an diesem sonnigen Sommertag sofort hineinspringen möchte. Also zieht es mich direkt zur Anlaufbahn. Doch ich werde prompt zurückgepfiffen – von Birte Damerius.

Die 26-Jährige gehört derzeit zu den besten Dreispringerinnen Deutschlands und ist zugleich Landestrainerin beim Berliner Leichtathletik-Verband. An diesem Tag ist sie für eine Einheit auch meine Trainerin. Gemeinsam mit Hrvoslava Starcevic, der Landestrainerin Sprung für Berlin, bereitet sie mich auf den ersten Dreisprung meines Lebens vor. Bis ich allerdings auf die Anlaufbahn und in die Grube darf, dauert es noch. Damerius und Starcevic beginnen mit einer ausgiebigen Erwärmung und Teilübungen des Dreisprungs.

Denn so einfach die drei aufeinanderfolgenden Sprünge – Hop, Step, Jump – für den Zuschauer aussehen mögen, laut Damerius ist der Dreisprung eine der schwierigsten Disziplinen der Leichtathletik. Weil bei jedem einzelnen Sprung das Acht- bis Zehnfache des Körpergewichts auf die Gelenke wirke, sei zudem die Verletzungsgefahr enorm groß, betont sie. Deshalb absolviert auch sie als Spitzenathletin, die an diesem Wochenende bei den deutschen Meisterschaften in Nürnberg noch um einen Platz bei der EM in Berlin springt, niemals im Training einen Dreisprung aus dem kompletten Anlauf. Die Belastung wäre einfach zu hoch.

Bei jedem einzelnen Sprung wirkt das Acht- bis Zehnfache des Körpergewichts auf die Gelenke

Für mich ist da schon das Herantasten an die ersten Dreisprung-Elemente eine Herausforderung. Auf der Tartanbahn soll ich meine Hüfte stärken und beweglicher machen. Dazu absolviere ich Übungen, bei denen ich meine Hüfte nach vorne schieben und die Knie hochziehen soll, um große, kraftvolle Schritte hinzubekommen. Schließlich gehe es beim Dreisprung darum, die einzelnen Sprünge nicht zu hoch anzusetzen, sagt Damerius: „Runter kommen sie alle! Wir wollen ja auch weit kommen.“ Manche Übung ist für mich so komplex, dass ich sie nur korrekt ausführe, wenn sie es parallel vormacht. Zwischendurch weist sie mich darauf hin, ich dürfe bloß nicht auf der Ferse oder der Fußspitze springen, sondern unbedingt auf dem Mittelfuß. Wenn das mal so einfach wäre.

Trockenübungen. Sonst kommt man beim Springen durcheinander.
Trockenübungen. Sonst kommt man beim Springen durcheinander.

© Kitty Kleist-Heinrich

Damerius hat Hütchen auf die Tartanbahn gestellt, deren Abstände immer größer werden. Über die Hütchen absolviere ich nun Sprungläufe, mit wechselnden Beinen. So übe ich schon mal den Bewegungsablauf für die drei Sprünge. Denn die ersten beiden, der Hop und der Step, müssen immer mit demselben Bein ausgeführt werden. Das ist eine unumstößliche Regel. Die Schrittkombination ist also entweder links, links, rechts oder rechts, rechts, links.

Ich probiere die zwei Varianten aus. Als ich rechts, rechts, links springe, fällt Damerius auf, dass ich automatisch mit den Armen einen Doppelschwung mache. Bei der Variante links, links, rechts schwinge ich stattdessen abwechselnd mit dem linken und dem rechten Arm, mache also einen Gegenarmschwung. Beides wird auch von den Profis angewendet und ist ähnlich erfolgversprechend. Ich soll mich nun für eine Schrittkombination entscheiden. Mit rechts, rechts, links fühle ich mich wohler – und bin bei den Hüpfübungen auch etwas weiter gekommen.

Bloß nicht beim Aufstehen mit den Händen nach hinten aufstützen

Damit ich an diesem Nachmittag doch noch in der Grube lande, wechseln wir nun endlich auf die Anlaufbahn. Zunächst soll ich die Sprungkombination fast ohne Anlaufgeschwindigkeit durchziehen. Es wirkt sehr hölzern, und als ich nach dem Jump in die Grube plumpse, weist mich Damerius noch auf die richtige Landetechnik im Sand hin: die Beine und Arme nach vorne werfen und mit dem Po aufkommen. Und dann bloß nicht beim Aufstehen mit den Händen nach hinten aufstützen, sonst wird die Weite an der Stelle gemessen – und damit verschenkt man viele Zentimeter.

Die Höhe stimmt. Liegt aber vielleicht auch am Sprungbrett vor der Grube.
Die Höhe stimmt. Liegt aber vielleicht auch am Sprungbrett vor der Grube.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nach ein paar weiteren Versuchen quasi aus dem Stand legt Damerius ein Sprungbrett direkt vor die Grube. Darauf soll ich meinen dritten Sprung, den Jump, platzieren. Mit etwas mehr Anlauf und mehr Körperspannung kriege ich die Dreierkombination so hin, dass der letzte Sprung noch mit einigem Schwung gelingt. Ich bekomme sogar ein Lob. „Besonders dein Fokus auf den zweiten Sprung gefällt mir“, sagt Damerius. Viele würden sich nämlich schon beim Hop verausgaben und könnten beim Step dann nur noch einen Schritt hinlegen. Allerdings ergänzt sie auch: „Du bist bei deinen Sprüngen noch zu lieb. Du musst aggressiver springen und den Kopf ausschalten.“

Dieses Kopfausschalten ist wirklich überaus schwierig. Sobald ich mich mal nur auf einen Teilaspekt der Sprungkombination konzentriere, verhaspele ich mich oder bringe die Schrittkombination durcheinander. Diese drei Sprünge sind ohne Frage ein fragiles System. Doch so anfällig es für Fehler ist, für Damerius ist der Dreisprung einfach nur pure Schönheit. Als Jugendliche kam sie zu der Disziplin, weil sie die Sprünge so makellos und kraftvoll fand. Damerius ist also eine absolute Ästhetin.

Selbst Spitzenathleten absolvieren im Training niemals einen Dreisprung mit komplettem Anlauf

Perfektion kann ich mit meinem letzten Dreisprung des Tages natürlich auch nicht bieten, doch ich lege alles hinein. Vor dem kurzen Anlauf atme ich tief durch die Nase ein, um die Gedanken auszuschalten. Ich sprinte los, versuche beim Hop die Hüfte so weit wie möglich nach vorne und die Knie so hoch wie möglich zu ziehen, konzentriere meine Kräfte auf einen starken Step, drücke beim Jump noch einmal richtig durch – und verschenke auch bei der Landung wenig.

Damerius schätzt meine Weite auf mindestens siebeneinhalb Meter.

Dehnen ist gut für die Sehnen.
Dehnen ist gut für die Sehnen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ihre Bestleistung sind 13,69 Meter, der Weltrekord der Frauen liegt bei mehr als 15 Metern, der der Männer bei über 18 Metern. Davon bin ich Welten entfernt. Aber als ich aus der Grube zurück zu meinem Startpunkt schaue, wächst die Gewissheit: Dass ich mit drei Sprüngen so weit komme, hätte ich nicht gedacht.

Lange feiern lassen kann ich mich dafür von Birte Damerius jedoch nicht, sie drückt mir eine Harke in die Hand und entlässt mich mit den Worten: „Die Grube nach dem Sprung zu harken, ist auch extrem wichtig.“

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