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Ein letztes Mal rotieren. Robert Harting beendet nach diesem Jahr seine Karriere. Er gewann olympisches Gold und wurde drei Mal Weltmeister. Foto: Jan Woitas/dpa

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Leichtathletik: Warum Robert Harting seine Gesundheit aufs Spiel setzt

Robert Harting will seine Karriere mit einem letzten großen Erfolg zu Ende bringen. Für dieses Ziel nimmt er keine Rücksicht auf seinen Körper.

Robert Harting sitzt am Donnerstagmittag irgendwo im Berliner Brunnenviertel auf einer schwarzen Zweisitzer-Couch, die der Diskuswerfer mit seiner Kleiderschrankstatur gut ausfüllt. Er schaut mit kritischem Blick auf die Bühne, die er gleich betreten wird. „Meine Damen und Herren“, sagt der Moderator der Veranstaltung, „diesen Mann brauche ich ihnen nicht vorzustellen.“ Das ist sein Stichwort.

Harting soll noch einmal die Trommel rühren für das Leichtathletikmeeting Istaf, ein letztes Mal nach so vielen Jahren. Zumindest als Athlet, was danach kommt, weiß keiner, vielleicht weiß er das selbst nicht so genau. „Man weiß, dass es vorbei ist, aber man versteht es nicht“, antwortet Harting auf die Frage, wie sehr ihn sein Karriereende beschäftige. Nach etwa 15 Jahren ist nach dieser Saison Schluss mit dem Leistungssport für Harting. Mit ihm verliert die deutsche Leichtathletik die prägende Figur der vergangenen zehn Jahre, „ihr Gesicht“, wie Istaf-Direktor Martin Seeber sagt.

Tatsächlich hat Harting viele sportliche Bilder gemalt, die sich eingebrannt haben. Etwa jenes aus dem Jahr 2009, als er bei der Leichtathletik-WM in Berlin im letzten Versuch sich Gold schnappte und anschließend sein Trikot zerriss. Und Deutschlands Sprinterhoffnung Gina Lückenkemper erinnert sich auf der Istaf-Pressekonferenz, wie Harting nach seinem Olympiasieg 2012 als Zugabe einen kurzen Hürdenlauf hingelegt habe. „Das war geil. Das wollte ich auch schaffen.“

Wenn ein Mann der um Aufmerksamkeit ringenden Leichtathletik so viele hübsche Erinnerungen beschert und zudem noch Nachwuchs für die olympische Kernsportart heranschafft, dann hat er sich einen würdigen Abschied verdient. So sieht das am Donnerstag Istaf-Direktor Seeber, so sehen das im Grunde alle. Die Bühne könnte dafür kaum besser sein als in diesem Jahr. Denn neben dem am 2. September stattfindenden Istaf werden in Berlin vom 7. bis zum 12. August die Leichtathletik-Europameisterschaften ausgetragen.

Das Problem ist nur: Harting ist verletzt, mal wieder. Die Quadrizepssehne im rechten Knie des 33-Jährigen ist gerissen. Eine Operation würde acht Monate Pause nach sich ziehen. So bleibt Harting nur, es mit dem Sehnenriss zu versuchen, also mit Schmerzen und mit einer eingeschränkten Rotationsbewegung – für einen Diskuswerfer fatal. Im Grunde ist es ein Wahnsinn, dass Harting es trotzdem probiert. Aber er ist eben Leistungssportler und als solcher sagt er: „Ich habe keinen Bock, aufzugeben. Man muss jetzt eben sehen, wofür es reicht.“

Sein Bruder Christoph ist aktuell viel stärker als er

Bisher jedenfalls würde es für Harting nicht reichen, um bei der EM dabei zu sein. Beim Werfermeeting vor wenigen Tagen in Schönebeck schaffte er bei seinem Freiluft-Saisoneinstand 63,67 Meter und blieb damit knapp unter der EM-Norm von 64 Metern. Dabei dürfte weniger die Norm als vielmehr die Konkurrenz das Problem sein. So kam sein Bruder Christoph in Schönebeck auf 67,59 Meter, Martin Wierig auf 66,98 Meter und David Wrobel auf 65,98 Meter. Robert Harting muss einen der drei Werfer ausstechen, um ein letztes Mal auf ganz großer Bühne dabei zu sein.

Für Harting spricht seine Erfahrung, auch mit schwierigen Situationen umgehen zu können. „2016 hatte ich ’nen Muskelfaserriss und alle dachten schon, das wird nix“, erzählt er. „Aber dann bin ich doch nochmal zurückgekommen.“ Gegen Harting spricht alles andere, die Konkurrenz, die Verletzung. Zumal die Verletzung, wie Harting am Donnerstag anmerkt, „ja immer weiter kaputt geht. Je mehr Wettkämpfe ich mache, desto schlechter ist das“. Und trotzdem sagt er: „Es fühlt sich für mich nicht so an, als ob das keinen Sinn mehr macht.“

Diese Worte hört nicht nur sein langjähriger Gefolgsmann, Istaf-Direktor Seeber, gerne, sondern auch die Verantwortlichen der Leichtathletik-EM im August. Für das Event sind bereits 200 000 Tickets verkauft worden, aber die EM-Organisatoren hoffen auf einen großen letzten Ansturm in den Wochen nach der Fußball-WM. Eine Absage des deutschen Leichtathletik-Gesichts Harting wäre dem nicht zuträglich.

„Natürlich fiebern wir mit Robert Harting mit und hoffen, dass er die Norm schafft“, sagt Claus Frömming, der Kommunikationsdirektor der EM in Berlin. „Robert ist der bekannteste und beliebteste deutsche Leichtathlet. Wenn Sie hierzulande auf der Straße zehn Menschen nach einem bekannten deutschen Leichtathleten fragen, sagen wahrscheinlich neun von zehn Robert Harting. Klar hilft uns ein Athlet wie Robert.“

Und klar ist auch, dass Robert Harting helfen will. Er will es sogar so sehr, dass er seine eigene Gesundheit ein bisschen aufs Spiel setzt. „Solange ich Leistungssportler bin, gebe ich eben Vollgas“, sagt Harting. Er drückt also noch einmal voll durch.

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